Dieses vermaledeite tägliche Frühstücksei, nachhaltig muss es jetzt auch sein und tierwohlfreundlich, von glücklichen Hennen soll es stammen, die im Mist nach Würmern kratzen – einem Misthaufen, der von glücklichen Milkakühen stammt, die irgendwie auf Heidi-Almen grünes Kräutergras weiden. Und alle sind froh und frei und dauernd glücklich und krähen und picken und scharren bis zu ihrem natürlichen Tode, der aufgrund von Altersschwäche wie von selbst irgendwann später eintreten wird. Achtung, jetzt tritt er ein: Noch ein letztes, merkwürdiges, kehliges, langgezogenes, schnurrfiependes Hennengeräusch, das Tier sinkt zur Seite und schließt die kleinen braunen Äuglein, entschlummert friedlich nach einem ausgefüllten Hühnerleben voller weißer und brauner Eier, die ein froher und zufriedener Eierbauer täglich in gegenseitigem Einverständnis aus dem selbstgescharrten Nest entliehen hat. Alles ist Lächeln und dankbares Nicken und Wohlbefinden.
Wir verpacken in der Firma gerade das Plakat zu diesen würdigen Vorkommnissen, das die Konsumenten zu beruhigten Käufern machen soll; ein nachhaltiges Plakat kommt in eine wiederverwertete Kartonage, bevor dies mit biokraftstoffbetriebenen Fahrzeugen in die Märkte des Westens transportiert wird. Die Märkte des Westens? Was ist mit denen im Osten? Essen die ihr Frühstücksei mit geschredderten Küken? Ich könnte es mir vorstellen: Nein, du Verkäufer, ich will mein Hühnerei mit Schredderküken! Blutig muss es sein und ehrlich und ohne Moraldiktatur!
Wer hat die Kükenschreddermaschine eigentlich erfunden. Das muss doch ein hocheffizient denkender, integrer Ingenieursmensch gewesen sein, der im Geflügelwesen sein Glück gefunden hat, ein eloquenter Eichmann für Hühner und deren Nachkommenschaft. Hühnerbarone auf der ganzen Welt wollten ihm bestimmt die Hand schütteln. Bis sozusagen das Fähnchen des Zeitgeistes sich wendete. Eine üble Sache.
Ohne Küken töten. Wer nimmt schon Küken mit zum Töten. Früher haben die sich ihre Schippchen im Sandkasten auf den Kopf gehauen. Dann gab es Geschrei und Geplärre, die Mütter kamen angerannt, beschwichtigten die Streithähne (!) und dann wurde wieder einträchtig mit den Förmchen gespielt oder auf der Wippe gewippt oder auf der Schaukel geschaukelt. Ohne Küken töten. Oder dass sie gerade aus der Windel herausgewachsen sind und dann ab an die Front. Da kämpfen doch nicht die Alten aus der Etappe, und schon gar nicht jene, die Schreddermaschinen erfinden.
Damals hatte ich ein Otto Waalkes-Buch, da gab es eine schnoddrige Zeichnung von einem Typ, der auf einen zierlichen, verhungert wirkenden Vogel herabsieht, der auf seiner linken Handfläche sitzt.
„Na, mein Kleiner,“, sagt der Typ, auf das Vögelchen blickend, „kannst du noch nicht fliegen? Dann lernst du es auch nicht mehr.“, und die rechte Handfläche saust klatschend auf die linke herab. Damals fand ich das lustig.
Ich packe jetzt den wiederverwerteten Container zu, in dem sich die wiederverwerteten Kartonagen mit dem hochglänzenden Plakat befinden, verklebe alles mehrmals, umwickle es ordentlich mit Plastikfolie und schiebe die Wegwerfpalette auf die Rampe. Dann bin ich fertig für heute.
© Rainer M. Scholz