Ein Groschen für die Musik ... Henrike und der Leierkastenmann

Kurzgeschichte zum Thema Weihnachten

von  Saira

Es war kalt an Heiligabend im Jahr 1957, und die Straßen waren festlich geschmückt mit hellen und bunten Lichtern. Während der Schnee draußen leise auf die Erde fiel, spielte Klein-Henrike vergnügt in ihrem Zimmer, als sie plötzlich ein vertrautes Geräusch hörte. Es war das fröhliche Drehen des Leierkastens, das durch die Fenster drang. Aufgeregt rannte sie zu ihrer Mutter in die Küche.

 

„Mama, Mama, der Leierkastenmann ist schon im Nachbarhof!“ rief sie begeistert.

Die Mutter lächelte, während sie in einem großen, krummen Topf rührte, aus dem der köstliche Duft von Erbsensuppe aufstieg. „Ich weiß, Rikchen, ich weiß. Ich habe ja keine Bohnen in den Ohren!“ antwortete sie mit einem Schmunzeln.

 

Henrikes Augen strahlten wie der Weihnachtsstern am Himmel, wenn er die Nacht erhellt. „Gibst du mir einen Groschen?“ fragte sie hoffnungsvoll.

 

Die Mutter grinste, doch als sie in ihr Portemonnaie griff, verschwand das Lächeln. „Oh, Rike, ich habe keinen Groschen mehr!“

 

Henrike ließ sich nicht entmutigen. Stattdessen dachte sie schnell nach, und ein schelmisches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Soll ich noch etwas einkaufen?“ schlug sie vor.

„Das ist eine gute Idee! Hier, nimm diesen Fünfziger und kaufe für vierzig Pfennig Schmalz. Den Groschen, der übrig bleibt, steckst du dem Leierkastenmann in die Büchse!“ sagte die Mutter und gab ihr das Geld.

 

Voller Freude flitzte Henrike die Treppen hinunter, über den Hof und zur Straße hinaus, bis sie vor dem kleinen Laden von Herrn Neumann stand. Sie hielt kurz inne, um durchzuatmen, bevor sie eintrat.

 

„Moin, Herr Neumann!“ rief sie fröhlich.

 

„Moin, Henrike! Du bist aber heute in Eile. Was darf es sein?“ fragte der freundliche Kaufmann.

 

„Für vierzig Pfennig Schmalz mit Grieben, bitte!“ antwortete sie. Während Herr Neumann das Schmalz wog, schauten Henrikes große, blauen Augen zu den bunten Bonbongläsern hinüber. Plötzlich hatte sie eine Idee.

 

„Darf ich auch Fruchtbonbons haben? Für vier Pfennig?“ fragte sie schüchtern.

 

„Natürlich, das kann ich dir einpacken!“ sagte Herr Neumann und packte ihr zehn Bonbons ein. Kaum hatte sie die Tüte in der Hand, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen. Schnell riss sie die Tüte auf und steckte sich einen Bonbon in den Mund. Der Rest verschwand in ihrer Schürze, und mit einem kurzen „Tschüss!“ flitzte sie zurück zum Hof.

 

Dort angekommen, sah sie den Leierkastenmann, Karl, der gerade ein neues Weihnachtslied spielte. Umringt von einer fröhlichen Kinderschar, die im Takt der Musik tanzte, war er ganz in sein Spiel vertieft.

 

Henrike musste sich durch die Menge drängen, schubsen und ringen, bis sie endlich vor Karl stand. „Ich habe heute nur einen Sechser für dich, Onkel Kalle!“ rief sie fröhlich und hielt ihm das Geld hin.

 

„Macht doch nichts, Henrike! Für einen Sechser gibt es immerhin ein Brötchen, oder?“ lachte der Leierkastenmann und drehte weiter an seiner Kurbel, während die Musik die kalte Winterluft mit festlicher Stimmung erfüllte.

 

 

 

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2024



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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (16.12.24, 10:23)
Moin Sigi,

das waren schöne Zeiten und die halbe Mark war sogar noch zweiundfünfzig Pfennige wert.  ;)

Liebe Grüße, 
Dirk

 Saira meinte dazu am 17.12.24 um 09:04:
Moin Dirk,

ich weiß noch, dass ich ziemlich lange sparen musste, um mir eine Tüte gemischte Süßigkeiten beim Kaufmann kaufen zu können, da es von den Eltern nur Pfennige nebenbei gab. Die Dinge im Leben hatten einen anderen Stellenwert als heute.

Danke und liebe Grüße
Sigi

P.S.: Danke für den Hinweis, den ich erst heute begriffen habe :(

Antwort geändert am 17.12.2024 um 10:10 Uhr

 TassoTuwas (17.12.24, 00:58)
Liebe Sigi,
heute hört man so viel von der Einsamkeit, nicht nur die der Alten, sondern zunehmend auch der Kinder. 
Ich erinnere mich an die Zeit, wo wir wenig hatten, aber Freunde mit denen wir uns aber über vieles freuen konnten!
Herzlichen Dank für eine Geschichte die Erinnerung lebendig macht!
TT

 Saira antwortete darauf am 17.12.24 um 09:10:
Lieber Tasso,

Freunde waren für mich ein Lebensanker. Mit ihnen war es möglich, ohne Geld und teures Spielzeug die Fantasie auszuleben und in Welten einzutauchen, die mir sonst eher verschlossen waren.

Ich freue mich sehr, dass meine Geschichte Erinnerungen wecken konnte!

Herzlichst
Sigi

 plotzn (17.12.24, 09:09)
Eine schöne Weihnachtsgeschichte, liebe Sigi, die das Herz erwärmt. Damals drehte sich die Welt noch etwas langsamer, wie die Kurbel des Leierkastens.

Liebe Grüße
Stefan

 Saira schrieb daraufhin am 17.12.24 um 09:16:
Servus lieber Stefan,

das ist ein schöner Vergleich!

Danke und liebe Grüße
Sigi

 Teo (17.12.24, 10:57)
Moin Sigi,
Eine anrührende Geschichte.
Jau...so war dat wohl.
50 Pfennig....gab es da damals in den 50ern nicht sogar 5 Brötchen für?Oder 4?
Ach ach...heute kost ein Mehrkornbrötchen 80 Cent.
Ja, Sigi...eine nette Erinnerung. 
Gruß aus dem Westen 
Teo

 Saira äußerte darauf am 17.12.24 um 18:11:
Moin Teo,

Brötchen können sich heutzutage nicht mehr viele Menschen leisten. Sie sind teuer geworden, aber ein Bäcker wird dadurch nicht reich.

Freu mich, dass dir die Erinnerung gefällt.

Grüße aus dem Norden,
Sigi
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