Sonntagsszenen

Alltagsgedicht

von  Redux

sonntags neun uhr früh
waren wir in der kirche
immer
papa stand hinten
mit den anderen papas
und trug schlips und war herausgeputzt
und katholisch

am Vormittag
stand er mit den anderen papas
in der dorfkneipe
am tresen
und mama
die schon um sieben
in der ersten messe war
stand am herd in der küche
und rührte rotkohl
und legte bratenscheiben auf porzellanplatten
und trug einen schneeweißen sonntagskittel

die kneipe war immer berstend voll
am sonntagmorgen
und sie tranken
pils und korn
kurz und lang
kurz und lang
und papa bestellte häufig
ein pilschen und ein körnchen
so niedlich

manchmal nahm er uns kinder mit
wir spielten auf dem spielplatz der kneipe
waren scharf auf süßigkeiten
manchmal warteten wir im wagen
und an trüben tagen
beschlugen die fensterscheiben
und wir malten abstrakte bilder
ins kondensat
und aßen weingummi

die kneipe war laut und voller rauch
ein herdfeuer zischte und knackte
ein ausgestopfter fuchs mit aufgesetzter sonnenbrille
hing an der wand
und sie erzählten von willi brandt
oder einer ölkrise
saßen an tischen
oder spielten doppelkopf
und tranken pilschen und körnchen

mama und oma
kochten rindfleischsuppe
mit markklöschen
und oma traktierte mama
achtzehn jahre lang
danach wischte mama der oma
sieben jahre lang den hintern ab
und wenn wir kinder
nicht mit papa zur kneipe waren
lief die sendung mit der maus

zwischen zwölf und eins
fuhren alle krawatten tragenden fürsten
fein säuberlich
mit ihren wagen
und ihren kindern
mit glasigen augen
heim an den gedeckten tisch

wir kinder liebten diese sonntagvormittage
ein pilschen
ein körnchen

ich weiß
das alles gibt es noch irgendwo
in bernstein eingeschlossen
achteinhalb meilen
unter dem meeresboden

erstaunlich hell

 



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Kommentare zu diesem Text


 Teo (26.09.25, 10:07)
Sach ma...Hebbert,
Habt ihr nich doch vielleicht in Herne gewohnt?
Dat kommt mir sowatt von bekannt vor!
Gruß aus der Stadt der Träume 
Teo

 TassoTuwas (26.09.25, 13:04)
Ich kenn Landstriche (Ich sag nich wo), da legen sich die trink- und bibelfesten Papas nach dem Essen zwei Stunden aufs Ohr und dann gehts wieder ab in die Kneipe.
Übrigens ist das Sauerland sehr schön  :D !
LG TT

 Moppel meinte dazu am 27.09.25 um 20:16:
ich kenne Landstriche, Tasso, da legt sich der Papa dazwischen noch auf de Mama. Kurz.... sehr kurz. :D
Sowas kenne ich von zuhause nicht. mein Vater war weder kneipen. noch noch kirchaffin... <3
gott seis gedankt lG von M.

 Didi.Costaire (26.09.25, 17:59)
Ja Wahnsinn, das war normal damals. Gut beschrieben. 

Schöne Grüße, 
Dirk

 Eigenlicht (26.09.25, 22:21)
Klingt vertraut und weckt nostalgische Gefühle. Zieh aufs evangelische Land! Da kannst du dir den Schlips sparen.

 AchterZwerg (27.09.25, 07:29)
Nostalgie pur!

Eins muss ich noch sagen: Die Kneipe mit angelehntem Spielplatz ist für mich der ansolute Hit!  :D

 Antagonist (27.09.25, 20:11)
Seit 1968 wurde Ficken Fressen Fernsehen bekämpft, lieber Herbert, und nun sehnen wir uns danach.

 Moppel (27.09.25, 20:18)
eine wenn auch bedrückende, doch ziemlich realitätsnahe Skizze von Fmilienidylle in den Sechzigern, redux.
Gibgt es heute auch noch. Nur die Kirche fällt aus.... der Alte geht direkt in die Kneipe... ;)
lG von M.

 Antagonist antwortete darauf am 27.09.25 um 20:35:
Nun sag doch mal was, Herbert ...
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