Der tütelige Brommhardt – Teil V oder: Das ganz normale Wunder

Groteske zum Thema Weihnachtsgeschichte

von  Saira

Am nächsten Tag war es still.
Unheimlich still.

Nicht das übliche Nordpol-Still, bei dem irgendwo etwas explodiert oder ein Elf leise „Oh nein“ flüstert. Sondern die Art von Stille, die nach Entscheidung klingt.

Der Schneeriese saß noch immer auf seinem Eisblock, eingewickelt in eine Lichterkette, die Bollwin ihm umgehängt hatte, „damit er festlicher wirkt“. Das Mammut döste daneben und träumte offenbar von besseren Statiken.

Bollwin selbst lag schnarchend unter dem Rednerpult aus Bierkisten. In der Hand hielt er einen Zettel mit der Aufschrift:

Idee Nr. 47: Weihnachten abschaffen und neu erfinden.

Die Elfen beschlossen einstimmig, diesen Zettel verschwinden zu lassen. Für immer.

Brommhardt aber stand mitten auf dem Platz, geschniegelt wie ein zerstreuter Monarch, die Mütze schief, die Augen klarer als sonst. Er betrachtete das Chaos, das keines mehr war, und sagte leise:

„So. Dann ist es wohl so weit.“

Die Elfen hielten den Atem an.
Der Schneeriese knabberte nervös an einem Keks.
Das Mammut öffnete ein Auge.

„Heute“, fuhr Brommhardt fort, „machen wir Weihnachten.“

„Chef“, wagte ein Elf, „wir machen doch immer Weihnachten.“

Brommhardt schüttelte den Kopf.

„Nein. Heute machen wir es richtig.“

Und dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte, am wenigsten er selbst.

Brommhardt setzte sich.

Nicht auf eine Schneekugel.
Nicht auf ein Rentier.
Nicht auf den Schneeriesen.

Er setzte sich einfach auf eine Bank.

„Ich erinnere mich“, sagte er langsam. „Nicht an alles. Aber an genug.“

Er sah die Elfen an.

„Ihr habt übernommen, als ich’s nicht mehr konnte.“

Er sah Bollwin an, der gerade im Schlaf „Prophet!“ murmelte.

„Und du hast Chaos gebracht. Aber auch Wärme.“

Bollwin lächelte selig.

Brommhardt sah zu Rudolphs leerem Platz.

„Und manche sind weggerannt, weil sie zu viel tragen mussten.“

Ein leiser Wind ging. Vielleicht war es der Nordwind. Vielleicht ein Seufzer.

„Weihnachten“, sagte Brommhardt schließlich, „ist nicht das Fliegen. Nicht die Geschenke. Nicht mal der Kalender.“

Er kramte in seiner Tasche und zog – überraschend treffsicher – einen Keks hervor.

„Es ist das Bleiben.“

Der Schneeriese nickte langsam.
Das Mammut machte ein zustimmendes Knarrgeräusch.
Ein Elf begann zu weinen und schob es auf Krümel im Auge.

Und so geschah das größte Wunder dieses Jahres:

Niemand rannte.
Niemand explodierte.
Niemand erfand etwas.

Sie saßen zusammen.
Aßen Kekse.

Bollwin hielt eine Rede, die nur aus dem Wort „Familie“ bestand, fünfzehnmal wiederholt, aber erstaunlich bewegend war.

Und irgendwo, weit weg, blieb Rudolph stehen, drehte sich um und dachte:

Vielleicht ist jetzt sicher.

Am Abend fragte Brommhardt wie immer:

„Und? Welcher Tag ist heute?“

Die Elfen sahen sich an.
Dann lächelten sie.

„Heute“, sagten sie, „ist Weihnachten.“

Und diesmal war es wahr.

 

 

© Sigrun Al-Badri / 2025



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