Als Glockenschlag die Zwölf erklang,
lag Frost auf Stein und Fensterrand.
Die Nacht war still und tief und lang,
als ob sie Maß und Ordnung fand.
Doch fern von Licht und frommer Pflicht
hielt keine Regel länger dicht.
Da saßen Männer rot und schwer,
der Mantel offen, scharf der Wind.
Der Bart voll Reif, der Becher leer,
weil auch die Heil’gen sterblich sind.
Sie tranken auf verlorne Zeit
und auf der Wünsche Bitterkeit.
„Ich trug die Wünsche Jahr um Jahr“,
sprach einer leis mit müdem Sinn,
„doch mancher Wunsch war nimmer wahr,
er fraß sich mir ins Herze hin.“
Ein andrer lachte kurz und rau,
als wüsst er selbst nicht mehr genau.
Sie sangen roh von Schuld bei Nacht,
von Maß und Gabe, schwer und schlicht.
Kein Ton war glatt, doch gab er acht,
auf das, was aus dem Innern spricht.
Der Mond stand still im Wolkenkreis
und hörte zu, geduldig leis.
Da tat der Himmel leis sich auf,
kein Donner schlug, kein Feuer fiel.
Nur Flügel nahmen ihren Lauf
und brachten Tanz und wildes Spiel.
Die Engel bar im Sternenschein
vergaßen Maß und Zucht und Pein.
Sie warfen Schuh und Kranz ins Feld,
kein Schritt hielt Takt, kein Schritt hielt Stand.
Die Freude herrschte über Welt,
als wär sie lang schon fortgebannt.
Die Sterne klirrten hart und klar,
weil Lust nicht still noch frömmlich war.
Da polternd aus der Erde Grund,
wo Erz und alte Märchen ruhn,
kam Zwergenvolk mit Spott im Mund
und Glöcklein an den krummen Schuhn.
Sie trugen Schnaps und scharfes Wort
und trieben Maß und Zeit hinfort.
„Was feiert ihr?“, rief einer keck,
„die Regel oder euer Herz?“
Er riss den Stern vom Tannenheck
und warf ihn hoch mit wildem Scherz.
Die Engel jauchzten ohne Scheu,
die Männer füllten Becher neu.
Da tanzte Bart an Flügel dicht,
der Schnee begann sich selbst zu drehn.
Die Nacht vergaß ihr Maß und Licht,
die Welt verlernte still zu stehn.
Und heimlich ging im wilden Lauf
die Hoffnung neu im Dunkel auf.
Als Morgen grau den Zauber brach
und Hahnenruf die Stille schnitt,
lag alles still wie jeden Tag,
als ob nichts Sonderbares litt.
Doch wer den Schnee genau besah,
der sah, was nie verloren war.
©Sigrun Al-Badri/ 2025