5 de octubre
Bericht zum Thema Reisen
von RainerMScholz
(von RainerMScholz)
San Miguel de Allende. Im Hotel Parador de San Sebastian sitzen wir in einem lichtdurchfluteten Innenhof. Ich schreibe, Conny macht die Planung für künftige Unternehmungen.
In der Stadt, die Jack Cassady, der reale Held vieler surrealer Texte des Ginsberg-Kerouac-Burroughs-Kreises, als letzte Stätte erwählte, - oder sie entschied sich auf aztekisch mysteriöse Weise für ihn und seinen Tod, dargebracht auf einem eisernen Schienenstrang. In einem Innenhof mit weißen gussarabesken Tischchen und gefangenen Singvögeln in großen, jugendstilrostigen Käfigen voller Vogelkot, die traurig ihrem Ende unter der brennenden Sonne entgegenzwitschern.
Im Staub der Straße sitzen Indiofrauen auf den blankgewetzten Treppenstufen und betteln lautlos mit stoischer Gebärde um einige Centavos. Immer sind es Indios, nie Weiße, selten Mestizen. Auch der halbe Tod, der die Hand ausstreckt. Ich gehe vorüber, bewusstloses Lächeln, weil es gleichgültig ist, gewalttätig, beinahe schier unverständlich.
Graue Spatzen springen an die Käfige und betrachten neugierig ihre bunten singenden Artgenossen.
Cassady ist immer noch tot.
Im Markt 'Nigromante' gibt es Obstsorten, für die ein deutscher Name nicht existiert: chirimoya, pitahaya, chicozapote, jícama, chayote, nanche, guanábanam guamúchil, arrayán, chapulin, mamey. Im Reiseführer steht: einfach 'mal probieren! Oder vielleicht doch lieber erst ein Bier? Exotische Düfte und Benzingeruch niedriger Oktanzahl. Blicke uralter Mestizenaugen, die die Fremden beargwöhnen, ohne dass ein Zentimeter Mimik verrutscht; vielleicht ein Lächeln, versteckt. Sierra Madre. Europäische Arroganz. Dürfen wir denn hier sein? Oder ist das Paranoia? Fremdenangst oder Angst in der Fremde? Dieses unbestimmte Gefühl im hinteren Teil des Schädels, das klar macht, dass wir wir sind - und sie sie.
Sie wird dennoch abebben, diese Befangenheit, die nur deutlich macht, wie weit wir uns entfernt haben von allem Ursprünglichen, von Riten und Gebräuchen zwischenmenschlicher Archaik und Gnomik, die andernorts ganz selbstverständlich stillschweigend kommuniziert werden, abzulesen an den Gesichtern, an den Gesten, oder eben an deren Abwesenheit; nichts ist, was nicht geschrieben steht, nicht benannt ist, kartographiert, registriert. Und dennoch steht es geschrieben, unsichtbar eben für die anthropologisch Analphabetisierten. Diese Beklommenheit an der Natur, nein, am Sein überhaupt vielleicht. Dann können die Kindlein zu mir kommen. Ja sicher.
6 de octubre
Das Instituto de Allende ist ein mächtiges spanisches Kolonialanwesen, in dem sich die hiesige Künstlerakademie eingenistet hat, ein imposanter Bau mit viel Kunst an der Wand. Überhaupt gibt es viele künstliche Menschen, vor allem, da in der Stadt die amerikanische Exilgemeinde Mexikos angesiedelt ist. Reiche und weniger reiche elitäre Americanos kaufen sich hier Kunst und chica/chico. Bemalte Totenköpfe.
An den Bordsteinen der steil an den Hang gebauten, grobgepflasterten Straßen sitzen alte Frauen für ihre Rente oder vielmehr für das, was wir so nennen. Dunkle Saloons, in denen ich schon immer 'mal nach dem Weg fragen wollte. Conny wartet draußen! Zweiflügelige Schwingtüren, die in ein dunkles Inneres führen oder nirgendwohin. Säuselnde Gerüchte. Männer in vergammelten Trainingshosen starren stieräugig vom pulque in die Hitze des Spätnachmittags, um dann schweigend hinter diesen Schwingtüren wieder zu verschwinden. Also: Coke (America`s pride) am Straßenrand, gekühlt, in Dosen. Ich schaue den Schulkindern in ihren kurzen Uniformröcken hinterher und wünsche mich zwischen zwei gekühlte Bettlaken.
In diesem Institut würde ich auch arbeiten können. Ich glaube schon. Wer nicht?
Hausmeister? Mit literarischen Ambitionen?
Gehen wir weiter.
In der Stadt, die Jack Cassady, der reale Held vieler surrealer Texte des Ginsberg-Kerouac-Burroughs-Kreises, als letzte Stätte erwählte, - oder sie entschied sich auf aztekisch mysteriöse Weise für ihn und seinen Tod, dargebracht auf einem eisernen Schienenstrang. In einem Innenhof mit weißen gussarabesken Tischchen und gefangenen Singvögeln in großen, jugendstilrostigen Käfigen voller Vogelkot, die traurig ihrem Ende unter der brennenden Sonne entgegenzwitschern.
Im Staub der Straße sitzen Indiofrauen auf den blankgewetzten Treppenstufen und betteln lautlos mit stoischer Gebärde um einige Centavos. Immer sind es Indios, nie Weiße, selten Mestizen. Auch der halbe Tod, der die Hand ausstreckt. Ich gehe vorüber, bewusstloses Lächeln, weil es gleichgültig ist, gewalttätig, beinahe schier unverständlich.
Graue Spatzen springen an die Käfige und betrachten neugierig ihre bunten singenden Artgenossen.
Cassady ist immer noch tot.
Im Markt 'Nigromante' gibt es Obstsorten, für die ein deutscher Name nicht existiert: chirimoya, pitahaya, chicozapote, jícama, chayote, nanche, guanábanam guamúchil, arrayán, chapulin, mamey. Im Reiseführer steht: einfach 'mal probieren! Oder vielleicht doch lieber erst ein Bier? Exotische Düfte und Benzingeruch niedriger Oktanzahl. Blicke uralter Mestizenaugen, die die Fremden beargwöhnen, ohne dass ein Zentimeter Mimik verrutscht; vielleicht ein Lächeln, versteckt. Sierra Madre. Europäische Arroganz. Dürfen wir denn hier sein? Oder ist das Paranoia? Fremdenangst oder Angst in der Fremde? Dieses unbestimmte Gefühl im hinteren Teil des Schädels, das klar macht, dass wir wir sind - und sie sie.
Sie wird dennoch abebben, diese Befangenheit, die nur deutlich macht, wie weit wir uns entfernt haben von allem Ursprünglichen, von Riten und Gebräuchen zwischenmenschlicher Archaik und Gnomik, die andernorts ganz selbstverständlich stillschweigend kommuniziert werden, abzulesen an den Gesichtern, an den Gesten, oder eben an deren Abwesenheit; nichts ist, was nicht geschrieben steht, nicht benannt ist, kartographiert, registriert. Und dennoch steht es geschrieben, unsichtbar eben für die anthropologisch Analphabetisierten. Diese Beklommenheit an der Natur, nein, am Sein überhaupt vielleicht. Dann können die Kindlein zu mir kommen. Ja sicher.
6 de octubre
Das Instituto de Allende ist ein mächtiges spanisches Kolonialanwesen, in dem sich die hiesige Künstlerakademie eingenistet hat, ein imposanter Bau mit viel Kunst an der Wand. Überhaupt gibt es viele künstliche Menschen, vor allem, da in der Stadt die amerikanische Exilgemeinde Mexikos angesiedelt ist. Reiche und weniger reiche elitäre Americanos kaufen sich hier Kunst und chica/chico. Bemalte Totenköpfe.
An den Bordsteinen der steil an den Hang gebauten, grobgepflasterten Straßen sitzen alte Frauen für ihre Rente oder vielmehr für das, was wir so nennen. Dunkle Saloons, in denen ich schon immer 'mal nach dem Weg fragen wollte. Conny wartet draußen! Zweiflügelige Schwingtüren, die in ein dunkles Inneres führen oder nirgendwohin. Säuselnde Gerüchte. Männer in vergammelten Trainingshosen starren stieräugig vom pulque in die Hitze des Spätnachmittags, um dann schweigend hinter diesen Schwingtüren wieder zu verschwinden. Also: Coke (America`s pride) am Straßenrand, gekühlt, in Dosen. Ich schaue den Schulkindern in ihren kurzen Uniformröcken hinterher und wünsche mich zwischen zwei gekühlte Bettlaken.
In diesem Institut würde ich auch arbeiten können. Ich glaube schon. Wer nicht?
Hausmeister? Mit literarischen Ambitionen?
Gehen wir weiter.