10 de octubre
Bericht zum Thema Reisen
von RainerMScholz
(von RainerMScholz)
Nach Guadalajara mit Primera Plus. Auf den winzigen Videobildschirmen über den Bussitzen flimmert 'Sobibor' mit Rutger Hauer, und wir beschließen, nur noch gedämpft deutsch zu sprechen. Nein, im Ernst, das ist bestimmt nur Zufall, dass die Nazis bis León bereits alle KZ-Inhaftierten ausgelöscht haben. Genauso gut hätte Rambo III laufen können.
Guadalajara, Hotel Posada San Pablo. Hier endlich muss Burroughs abgestiegen sein, wenn er sich auch in Algier statt in Mexiko die literarischen und die echten Spritzen setzte. Ein Bett, in dem Was-weiß-ich-wer schon gestorben ist, kein Waschbecken im Zimmer, 70 Pesos. Ein Kommilitone, dessen deutscher Dozent auch Tabak in kleine weiße Papierblättchen dreht, wie er uns lachend berichtet, checkt uns ein. Alemán? Yes. Die Eingangstür ist stacheldrahtgesichert und ein blindes Kameraauge starrt uns an.
Immerhin ist er hierher exiliert, nachdem er (irrtümlich) seine Frau erschossen hatte. W.S., versteht sich.
Im Foyer blicken wir in eine kirchenschiffhohe stahlgeträgerte Glaskuppel. Vögel fliegen umher, Kohlmeisen vielleicht und Pirole, Rotkehlchen, Sittiche zwitschern aus einem Käfigbau und ein Tucan sitzt schweigend und angekettet auf einer Stange. Riesige Farne und Palmbäume wachsen bis unter das Dach und streuen das einfallende Sonnenlicht. Eine breite, zersprungene Marmortreppe windet sich in das obere, im Dunkeln liegende Stockwerk.
Der Weg zu den morbiden Waschräumen wird von einer alten runzligen Frau bewacht, die sonor auf spanisch von ihrer Kindheit, von ihrer Jugend erzählt, während ich das kalkblinde Urinal benutze.
Traditioneller Hard-Core-Punk in einem kleinen verdreckten Park im Häusermeer gegenüber einer Kirche, die für immer geschlossen zu haben scheint. Guadalajara hat vier Millionen Einwohner. Hier stehen welche mit Ein-Liter-Bierflaschen in der Hand.
Drei verschmutzte rotznasige Gören laufen uns hinterher, nachdem wir ohnehin schon schiefe Absätze haben. Hinter der metallverstärkten schiefen Eingangstür der Disko Copenhagen 77 am nördlichen Ende des Parque Morelos: Jazz. Kein Rock und kein Roll, keine Mariachis, kein Motörhead (wieso auch?). Der Kleinste der Kinder hängt sich mit der Gebärde Finger-in-den-Hals an mich dran. Vielleicht habe ich das auch missverstanden, jedenfalls fliegen Conny schon die Dreckbatzen an's Hemd, während ich ihm zwanzig Centavos gebe, die ich wie zufällig in der Hosentasche finde.
Ja, schmeiß mir ruhig den Groschen hinterher, Bankert. Ich habe keine Angst vor deinem großen Bruder. Kleine Kinder eben. Ich hätte es wohl genauso gemacht. Schnell weg jetzt, bevor doch noch der große Bruder... - Fersengeld.
Ein vierstrahliges, fünf Meter hohes goldenes Sonnenrad mitten im menschenbewegten Gewölke des Viktualienmarktes.
11 de octubre
Parque de Meridor? Si, si. Nur dass uns der Busfahrer dann an der Endstation des Meridores abgeliefert hat, statt im Park. Im Ghetto! Na gut, nicht ganz das Ghetto, immerhin fuhren Busse, allerdings nicht auf herkömmlichen asphaltierten Straßen, eher lavierten sie um Kanalisationsstutzen herum, die einen halben Meter aus dem Staubboden ragten. Keine brennenden Autowracks, keine Vermummten, kein Belfast. Weshalb auch sollten die Menschen hier andere sein als anderswo. Also den Blick gesenkt und durch, dennoch. Schlussendlich hat uns niemand überhaupt beachtet, geschweige denn, dass uns ein Mensch zu nahe getreten wäre. Was ist das für eine diffuse Angst, zwischen den Armen zu sein (die sich selbst womöglich gar nicht so empfinden), unter denen, die sich eine solch weite Reise, wie wir sie unternommen haben, niemals gestatten könnten, die nicht einmal Urlaub bekommen, wie wir ihn kennen in der westlichen Zivilisation, die keine Arbeitsstelle haben, von der sie überhaupt freinehmen könnten.
Zwischen den halbfertigen Bauten aus Beton und Sperrholz, den zerbeulten Autos am Straßenrand und den an die bröckeligen Mauern gelehnten schiefen Fahrrädern. Die Bilder der Deprivilegierten anderer Kontinente vom Fernsehen in den Kopf gebrannt; zu reich (relativ gesehen), um verstehen zu können, vielleicht. Zuviele Vorurteile im Hirn. Keinen interessiert das hier. Und niemand interessiert sich für uns. Ghetto ist wohl noch ein Stück weiter.
Weiter zum Zoo de Guadalajara. Auch ein Erlebnis. Tiere hinter Gitterstäben.
Nur Conny fürchtete sich ein wenig.
Der Blick hinab in die Schlucht Barranca de Oblata ist wie ein Tauchen ins grüne Herz Mexikos. Straucheln am Malström. Die unerreichbare Tiefe. Das wilde schaurige Schwanken, bevor die Außenwelt mich einholt, Conny am Arm. Lass uns gehen. Ich kann nicht weiter hinunterblicken. Habe ich nicht gesagt! Ich habe das nicht gesagt! Aber du hattest Durst und wolltest doch zum Ausgang. Ja, zum Kiosk und so. Ja, auch. Etwas trinken. Ja, lieber fort von hier.
Über den 670 Metern hinab in die Schlucht fliegt ein Adler.
Während die Messe - es ist wieder ein Feiertag - in einer unchristlichen Lautstärke aus der Kathedrale per Megaphon auf die Straßen übertragen wird, trinkt Luzifer das fünfte Indio in einem altehrwürdigen Kolonialstilbau. Engelsgesichtrige strecken die Hände bittend durch das gusseiserne Gitter hindurch zu den Gringos, und bitter mehr als bittend, als ich wieder nur eine Zwanzig-Centavo-Münze aus der Hosentasche expediere, damit sie endlich Ruhe geben. Gracias! Vete a la chingada!
In den Gassen ist die Hölle los, einen Tag, bevor Columbus landete. Hinkende, krankende, vergrätzte, verratene Krüppel und Versehrte krauchen auf die Plätze vor den Kirchen. Um geheilt zu werden. Oder ein paar Pesos zu verdienen.
El Tourismo im La feria y amigos. Angetrunkene, leichtbeschürzte, mehr oder weniger alte Frauen tanzen den Flaschentanz auf einer kleinen wackligen Schaubühne in der Mitte des Lokals. Sie bewegen sich hüft- und busenschwenkend zu folkloristisch degenerierter Gitarrenmusik um eine langhalsige Likörflasche, unterstützt von der Moderation des sardonisch lächelnden Animateurs, angefeuert von der johlenden Begeisterung des
angesoffenen Publikums. Ballermann in Mexiko. Lauter noch ist allerdings die Bandera der Mariachis. Die niemals aufgeben. Die ihre mehr oder weniger geneigte Hörerschaft in jeder lautstillen Minute akustisch penetrieren. Mucho romantico, amigo. Sie wissen, was 'amigo' bedeutet, nicht wahr!?
Guadalajara, Hotel Posada San Pablo. Hier endlich muss Burroughs abgestiegen sein, wenn er sich auch in Algier statt in Mexiko die literarischen und die echten Spritzen setzte. Ein Bett, in dem Was-weiß-ich-wer schon gestorben ist, kein Waschbecken im Zimmer, 70 Pesos. Ein Kommilitone, dessen deutscher Dozent auch Tabak in kleine weiße Papierblättchen dreht, wie er uns lachend berichtet, checkt uns ein. Alemán? Yes. Die Eingangstür ist stacheldrahtgesichert und ein blindes Kameraauge starrt uns an.
Immerhin ist er hierher exiliert, nachdem er (irrtümlich) seine Frau erschossen hatte. W.S., versteht sich.
Im Foyer blicken wir in eine kirchenschiffhohe stahlgeträgerte Glaskuppel. Vögel fliegen umher, Kohlmeisen vielleicht und Pirole, Rotkehlchen, Sittiche zwitschern aus einem Käfigbau und ein Tucan sitzt schweigend und angekettet auf einer Stange. Riesige Farne und Palmbäume wachsen bis unter das Dach und streuen das einfallende Sonnenlicht. Eine breite, zersprungene Marmortreppe windet sich in das obere, im Dunkeln liegende Stockwerk.
Der Weg zu den morbiden Waschräumen wird von einer alten runzligen Frau bewacht, die sonor auf spanisch von ihrer Kindheit, von ihrer Jugend erzählt, während ich das kalkblinde Urinal benutze.
Traditioneller Hard-Core-Punk in einem kleinen verdreckten Park im Häusermeer gegenüber einer Kirche, die für immer geschlossen zu haben scheint. Guadalajara hat vier Millionen Einwohner. Hier stehen welche mit Ein-Liter-Bierflaschen in der Hand.
Drei verschmutzte rotznasige Gören laufen uns hinterher, nachdem wir ohnehin schon schiefe Absätze haben. Hinter der metallverstärkten schiefen Eingangstür der Disko Copenhagen 77 am nördlichen Ende des Parque Morelos: Jazz. Kein Rock und kein Roll, keine Mariachis, kein Motörhead (wieso auch?). Der Kleinste der Kinder hängt sich mit der Gebärde Finger-in-den-Hals an mich dran. Vielleicht habe ich das auch missverstanden, jedenfalls fliegen Conny schon die Dreckbatzen an's Hemd, während ich ihm zwanzig Centavos gebe, die ich wie zufällig in der Hosentasche finde.
Ja, schmeiß mir ruhig den Groschen hinterher, Bankert. Ich habe keine Angst vor deinem großen Bruder. Kleine Kinder eben. Ich hätte es wohl genauso gemacht. Schnell weg jetzt, bevor doch noch der große Bruder... - Fersengeld.
Ein vierstrahliges, fünf Meter hohes goldenes Sonnenrad mitten im menschenbewegten Gewölke des Viktualienmarktes.
11 de octubre
Parque de Meridor? Si, si. Nur dass uns der Busfahrer dann an der Endstation des Meridores abgeliefert hat, statt im Park. Im Ghetto! Na gut, nicht ganz das Ghetto, immerhin fuhren Busse, allerdings nicht auf herkömmlichen asphaltierten Straßen, eher lavierten sie um Kanalisationsstutzen herum, die einen halben Meter aus dem Staubboden ragten. Keine brennenden Autowracks, keine Vermummten, kein Belfast. Weshalb auch sollten die Menschen hier andere sein als anderswo. Also den Blick gesenkt und durch, dennoch. Schlussendlich hat uns niemand überhaupt beachtet, geschweige denn, dass uns ein Mensch zu nahe getreten wäre. Was ist das für eine diffuse Angst, zwischen den Armen zu sein (die sich selbst womöglich gar nicht so empfinden), unter denen, die sich eine solch weite Reise, wie wir sie unternommen haben, niemals gestatten könnten, die nicht einmal Urlaub bekommen, wie wir ihn kennen in der westlichen Zivilisation, die keine Arbeitsstelle haben, von der sie überhaupt freinehmen könnten.
Zwischen den halbfertigen Bauten aus Beton und Sperrholz, den zerbeulten Autos am Straßenrand und den an die bröckeligen Mauern gelehnten schiefen Fahrrädern. Die Bilder der Deprivilegierten anderer Kontinente vom Fernsehen in den Kopf gebrannt; zu reich (relativ gesehen), um verstehen zu können, vielleicht. Zuviele Vorurteile im Hirn. Keinen interessiert das hier. Und niemand interessiert sich für uns. Ghetto ist wohl noch ein Stück weiter.
Weiter zum Zoo de Guadalajara. Auch ein Erlebnis. Tiere hinter Gitterstäben.
Nur Conny fürchtete sich ein wenig.
Der Blick hinab in die Schlucht Barranca de Oblata ist wie ein Tauchen ins grüne Herz Mexikos. Straucheln am Malström. Die unerreichbare Tiefe. Das wilde schaurige Schwanken, bevor die Außenwelt mich einholt, Conny am Arm. Lass uns gehen. Ich kann nicht weiter hinunterblicken. Habe ich nicht gesagt! Ich habe das nicht gesagt! Aber du hattest Durst und wolltest doch zum Ausgang. Ja, zum Kiosk und so. Ja, auch. Etwas trinken. Ja, lieber fort von hier.
Über den 670 Metern hinab in die Schlucht fliegt ein Adler.
Während die Messe - es ist wieder ein Feiertag - in einer unchristlichen Lautstärke aus der Kathedrale per Megaphon auf die Straßen übertragen wird, trinkt Luzifer das fünfte Indio in einem altehrwürdigen Kolonialstilbau. Engelsgesichtrige strecken die Hände bittend durch das gusseiserne Gitter hindurch zu den Gringos, und bitter mehr als bittend, als ich wieder nur eine Zwanzig-Centavo-Münze aus der Hosentasche expediere, damit sie endlich Ruhe geben. Gracias! Vete a la chingada!
In den Gassen ist die Hölle los, einen Tag, bevor Columbus landete. Hinkende, krankende, vergrätzte, verratene Krüppel und Versehrte krauchen auf die Plätze vor den Kirchen. Um geheilt zu werden. Oder ein paar Pesos zu verdienen.
El Tourismo im La feria y amigos. Angetrunkene, leichtbeschürzte, mehr oder weniger alte Frauen tanzen den Flaschentanz auf einer kleinen wackligen Schaubühne in der Mitte des Lokals. Sie bewegen sich hüft- und busenschwenkend zu folkloristisch degenerierter Gitarrenmusik um eine langhalsige Likörflasche, unterstützt von der Moderation des sardonisch lächelnden Animateurs, angefeuert von der johlenden Begeisterung des
angesoffenen Publikums. Ballermann in Mexiko. Lauter noch ist allerdings die Bandera der Mariachis. Die niemals aufgeben. Die ihre mehr oder weniger geneigte Hörerschaft in jeder lautstillen Minute akustisch penetrieren. Mucho romantico, amigo. Sie wissen, was 'amigo' bedeutet, nicht wahr!?