24 de octubre

Bericht zum Thema Reisen

von  RainerMScholz

Illustration zum Text
(von RainerMScholz)
Teotihuacán. Die beiden Pyramiden sind von weitem im Dunst tiefhängender Wolken zu sehen. 2300 Meter über dem Meeresspiegel erstreckt sich das ursprünglich zwanzig Quadratkilometer weite Areal in die Berghänge. Der heute begehbare Teil, der bis auf fünfzig oder sechzig Quadratkilometer angewachsenen Aztekenstadt, beträgt lediglich zwei Kilometer längs der avenida de los muertos, die Sonnen- und Mondpyramide verbindet. Die Allee der Toten ist die Achse des Bezirks. (Hier werden die Beisbolspiele stattgefunden haben!).
Die beiden Pyramiden, die pirámide del sol ist die drittgrößte der Welt, sind begehbar, und die Einheimischen, vornehmlich Schulklassen, tun dies mit größtem Vergnügen und noch mehr Elan. Die pirámide de
la luna haben wir dann auch nur bis zur Hälfte erklommen. Aber die
Azteken haben es schließlich auch nur bis ins siebte Jahrhundert ihrer Zeitrechnung geschafft, als die sechstgrößte Stadt der damaligen Welt endgültig geplündert wurde. Allerdings war Teotihuacán noch Jahrhunderte nach seinem Fall Wallfahrtsort: Die Götter hatten sich hier das Leben genommen, um die Sonne am Anfang des fünften Zeitalters wieder in Bewegung zu setzen.
Und auch heute gilt der Fluch der Götter noch. Glauben Sie einem deutsch sprechenden mexikanischen Souvenirverkäufer mit Jaguarköpfen aus Onyx!
Welch ein Schauspiel, wäre man alleine auf der Welt. Sind wir aber nicht. Und bis Ciudad sind es fünfzig ungewisse Kilometer.
Ein heiliger Ort.

Am Zocalo gegenüber der cathedral metropolitana findet ein Markttag statt. Wir machen Pause im Café und schauen dem scheinbar chaotischen Gedränge auf der Straße zu. Auf dem Vorplatz sitzen alte Männer, trinken Bier, versuchen ein Gespräch in Gang zu halten, rauchen. Hinter uns, im Innern des Lokals, rauscht eine Wand zahlreicher Fernsehbildschirme verschiedenste Programme aus, MTV natürlich und Kindersendungen, Nachrichten, alles kakophon durcheinander, des Geflimmers wegen, der Attraktion. Ein kleiner, dreckiger, zerlumpter Junge, der Schundwaren an den Tischen feilbietet, setzt sich schließlich vor unseren Tisch auf den nackten Boden, legt vorsichtig seinen Kram ab und sieht über unsere Köpfe hinweg einer Zeichentrickserie zu, die sich mit den Funktionen des menschlichen Körpers befasst. Zu Anfang sind wir verdutzt ob der ungenierten Zwanglosigkeit des Jungen, der mit unverhohlener Neugier gebannt
die Bildschirme betrachtet, die Welt um sich herum vergessen zu haben scheint. Conny und ich sehen uns an und wissen auch nicht so genau, was das zu bedeuten haben mag. Aber der kaum zehn Jahre alte Junge, der sich ab und an die Nase mit dem Pulloverärmel wischt, scheint von uns gar keine Notiz zu nehmen. Wie in Trance starrt er die Wunder an, die ihm die glitzernden Bilder vorgaukeln. Ich versuche ein Foto von ihm zu schießen, vorsichtig, wissend, dass ich seine Seele damit stehle. Da bemerkt er mich, zieht schamvoll den groben zerrissenen Stoff seines Pullovers über den Kopf und bewegt sich nicht mehr. Der Kellner spricht ihn an, er nimmt seine Habseligkeiten auf, trollt sich wie ein Hund, verschwindet in der Menge.
Conny hatte gesagt, dass ich es nicht tun solle. Seine Seele stehlen.

Wir gehen, nachdem die Bedienung auf zehn Prozent Trinkgeld bestanden hat, und schlendern als leichte Beute über den Markt. Ja, wir kaufen auch 'was. Wer weiß, wozu es gut ist.
Auf dem Rückweg ins Hotel sehe ich den Jungen wieder, erkenne ihn unter all den anderen, er kommt uns entgegen. Er scheint sich an uns nicht erinnern zu können - weshalb auch -, bietet uns eine armselige Figurette für fünf Pesos an.
"Paß 'mal auf Junge: Ich will das Ding da nicht, aber hier hast Du fünf Pesos, und die sind für Dich, für nichts anderes. Für das Foto, das ich nicht gemacht habe."
Ich gebe ihm das Geldstück, versuche zu lächeln, wir gehen weiter. Vielleicht hat er mich doch wiedererkannt. Wenn nicht - dann ist es eben für meine Seele. Projektion der eigenen scheinbaren Erkenntnis.

In der Bucareli 29 ist ein Konzert in einem besetzten Haus, ich hab's von den Plakatwänden: mexikanische Punk'n Roll Bands, deren Namen ich leider schon wieder vergessen habe. Weil wir uns schon wieder verlaufen, rennt ein verhutzeltes kleines Männchen trunken aus einer Kneipe und schnorrt mich um eine Zigarette an. Ob wir Italiener seien? Nein, alemán. Ah, bueno, denn ist es nicht großartig. Der weiß natürlich, wo die Straße ist, nur dass sie sich nicht dort befindet, wo er uns hingeschickt hat.
Das Konzert ist bereits im Gange. Wir zahlen den Eintritt, passieren die Körperkontrolle und betreten den Innenhof des abbruchreifen Gebäudes. Bier fünf Pesos, und während ich eine Zigarette drehe startet ein Flugzeug nach Paris Charles de Gaulle.                                                              Die nach einer Seite hin offene Fabrikhalle ist bequem gefüllt. Das illustre Publikum tanzt mit Gas- und Atemschutzmasken Pogo entgegen dem Uhrzeigersinn, Stagediving passiert ohne Stage von außen nach innen in den Ring sich drehender Leiber hinein zu einer Musik á la Mano Negra und Les Negresses Vertes. Niemand verletzt sich, niemand fällt hin. Eine Chiapas-Skimaske bittet um Feuer. Mal abtesten, was das für Typen sind. Gracias, compadre.                                                            Dos cerveza mas!                                                               
Ich glaubte, ein Lächeln zu sehen.


25 de octubre

Alles vorbei. Wir packen. Auschecken.
In der Metro wird mir beinahe der Geldbeutel aus der Gesäßtasche gestohlen, wie der Portier des Hotels prophezeite. Aber wer war's in diesem Gedränge. Jemand grinst mich an. 
Haben wir auch nichts vergessen?
Wir wollen das Gepäck am Flughafen deponieren, um in Ruhe noch ein wenig Kultur genießen zu können, durch die Stadt flanieren, hier und dort ein Souvenir vielleicht, ein Mitbringsel für die Freunde und Verwandten, Abschied nehmen von dieser größten aller Städte, diesem Land. Geistig ausrollen und die Eindrücke wirken lassen, loslassen. Haben wir auch nichts vergessen, Conny. Conny?

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