Ein schwingendes Leben (Märchen aus der Welt des Tanzes)

Märchen zum Thema Fantasie(n)

von  tastifix

Unsere Geburt verlangte unserer männlichen Hebamme, einem Schuster, viel Fingerspitzengefühl und Geschick ab. Sie verlief in mehreren Phasen, der Näh-, der Nagel- und der Klebphase. Zu Anfang waren wir noch nicht als das zu erkennen, was wir später mal vorstellen sollten. Da lagen nur ein Lederlappen, die Innen- beziehungsweise die Untersohle und ein dicker, schiefer Holzklotz herum. Am Leder baumelten so eigenartige Strippen mit einem blitzenden, zierlichen, rechteckiges Etwas.
Später lernten wir, die Strippen hießen nicht ´Strippen`, sondern ´Riemen`, und das blitzende Etwas war eine schicke Schnalle.
Doch wir sollten noch viel mehr erfahren: Alle unsere Einzelteile wurden verklebt, vernäht und vernagelt. Nach beendeter Arbeit betrachtete der Schuster uns zufrieden. 
„Na, ihr werdet manchen die Schau stehlen!“, trumpfte er auf.

Wir versuchten, an unserem Leder-Metall-Leib herunter zu linsen. Wie wir wohl aussahen? Als ob der Herr und Meister diese Frage erraten hätte, hielt er uns einen Spiegel vor.
„Hm, nicht schlecht!“, murmelten wir leise zwischen den Riemen durch.
Unsere geschmeidige Lederhaut glänzte mit der Sonne um die Wette und dies komische blitzende Ding namens ´Schnalle` gab dem Riemchen den letzten Pfiff. Gerade schon wollten wir vor Wonne klappern, da fiel uns der Holzklotz, jener schräge Turm zu Pisa, an unserem hinteren Ende auf. Was sollte das denn und wieso war der so enorm hoch, mindestens sieben Zentimeter??
„Den braucht ihr dringend. Das ist sozusagen euer Markenzeichen!“, lachte unser Meister.
Wieder ernster führ er fort:
„Keine Sorge! Alle eure Artgenossen tragen so etwas. Manchmal niedriger, manchmal höher. Je nachdem ... !“
Wir hatten atemlos zugehört:
´Was meint der denn bloß mit ´je nachdem`?` - „Wiee?“, machten wir verwirrt in seine Richtung.
„Also, ihr seid außergewöhnlich edle Exemplare. Deshalb ist dieser ´Holzklotz`, wie ihr ihn nennt, auch so hoch ausgefallen. Richtig heißt der übrigens ´Absatz`!“, setzte er lächelnd hinzu.
Uff, da hatten wir schon wieder etwas dazu gelernt!

Unser Herr und Meister trug uns zu ´mehreren Brettern übereinander`, einem Regal. Überrascht entdeckten wir dort mindestens zwanzig ähnliche Paare. Fast alle trugen Absatz. Brav in Reih und Glied stehend, rührten sie sich nicht von der Stelle. Gleichmütig machten wir es ihnen nach. Wenigstens wären wir nicht allein.
Scheu musterten wir die Anderen. Die mit ohne Absatz, die mit niedrigem oder erst recht die mit etwas höherem Absatz. Unser Schuster hatte die Wahrheit gesagt. Wir waren etwas Besonderes. Einen so hohen Absatz wie wir besaß kein zweites Paar.
Wir genossen diesen Triumph, doch leider nicht allzu lange. Mein Gegenpart entdeckte vor jeweils vier der umstehenden Schuhpaare kleine, am Regal klebende Schilder, die mit gut lesbaren Druckbuchstaben sorgfältig beschriftet waren.

Jetzt regierte nur noch die Neugierde.
„Wieso haben die ... und wir nicht??“
Die Entrüstung machte uns kecker. Wir lasen:
„Haus-, Halb-, Sport-, Regenschuhe ... !“
Verunsichert schauten wir uns an:
„Was bedeutet das denn?“
Nach einer Minute des Nachdenkens kam ich auf die wohl nur einzig richtige Erklärung:
„Du, es sind schlicht und einfach deren Namen. Die haben Namen und wir nicht!!“
Beleidigt entschieden wir, am nächsten Morgen unseren Meister so lange zu löchern, bis wir eine zufriedenstellende Begründung dafür bekamen.   

Am nächsten Morgen betrat unser Meister schon sehr früh sein Geschäft. Währenddessen wir Regalbewohner noch schläfrig ins Helle blinzelten, war er dagegen bereits putzmunter und voller Tatendrang. Erinnert Ihr Euch? Gestern hatten wir, mein spiegelverkehrter Zwilling und ich, jene eigenartigen Schilder mit den für uns total fremd klingenden Aufschriften entdeckt. Heute würden wir den Schuster, deswegen zur Rede stellen.
Dreißig Minuten später bot sich eine günstige Gelegenheit. Kein Kunde da und unser Meister machte Frühstückspause. Also, ran an den Feind!

Unsere Lederhaut hob und senkte sich zitternd vor Aufregung.
„Meister!", sprach ich ihn an und versuchte mit fester Stimme zu reden, um möglichst souverän zu wirken. `Nicht, dass der am Ende glaubte, es mit Angsthasen zu tun zu haben.`
"Na, habt ihr euch schon mit den Anderen bekannt gemacht?", fragte er doch tatsächlich noch so total unschuldig. Dem würde die Unschuld noch vergehen!
„Ja, haben wir!", klackten wir wie aus ein- und demselben Riemenloch.
„Hm, und da haben wir etwas entdeckt ... ,“ hub mein Zwilling an.
Er ließ seine blitzende Schnalle als aufforderndes Zeichen an mich, jetzt zum Angriffe überzugehen, extra stark aufblitzen. Ich kapierte sofort und schoss zur Bestätigung ein grelles Blinken zurück.
"... was uns nicht so ganz gefiel, um nicht zu sagen, weswegen wir echt sauer sind!", setzte ich eins drauf.

Verunsichert guckte unser Meister mehrmals erst meinen Partner, dann mich an und umgekehrt:
„Was sollte das denn sein?", forschte er nach.
„Also, vor den Anderen kleben Schilder. Auf denen stehen Namen. Vor unserem Stellplatz klebt kein Namensschild. Warum nicht??!"
„Genau, wieso nicht? Wir sind doch angeblich besonders edle Exemplare. Und ausgerechnet die bleiben dann ohne Namen ... ??", hakte ich nach.
Der Schuster wand sich wie ein Aal, wusste offensichtlich keine vernünftige Ausrede zu seiner Verteidigung vorzubringen und entschied sich für die Wahrheit:
„Entschuldigt, ich hab`s schlichtweg vergessen!", gab er zu. Das schlechte Gewissen war ihm deutlich anzusehen.

Dermaßen leicht aber kam er uns nicht davon:
„Eigentlich, Meister, steht uns jetzt eine Entschädigung für diese lange Nacht zu, die wir unbenannt neben all den Namensträgern im Regal verbracht haben. Schließlich hätte das unserem noch neugeborenen Selbstwertgefühl sehr schaden können."
´Hat es aber gottlob nicht!`, sagte ich mir.
„W..was verlangt ihr?"
Der Schuster stand vor uns, mittlerweile ein gebrochener Mann.
„Wie wäre es mit einem ganz persönlichen Vornamen für uns beide? Damit fielen wir deutlich aus dem Schuhrahmen.`
„Zudem möchte ich endlich wissen, welche Schuhart wir vertreten. Das hast Du uns immer noch nicht verraten!", bearbeitete mein Zwilling den armen Mann.

Vor lauter Ärger kräuselte sich inzwischen schon unser sonst so wunderbar glattes Oberleder. Der Schuster registrierte es erschrocken: 
„Bitte, bitte nicht!". flehte er. „Wie soll ich denn dann noch einen Käufer für Euch finden?"

Ein paar Minuten Bedenkzeit gönnten wir ihm notgedrungen. Zu seinem Glück war er ein fixer Denker.
„Ihr seid wirklich edle Schuhe, nämlich Tanzschuhe. Ihr werdet wunderschöne Räumlichkeiten kennen lernen und euch auf wertvollem Parkett zu romantischer Musik im Kreise drehen. - Dies ist längst nicht allen Schuhen vergönnt," ergänzte er hastig, um uns zu versöhnen.
Prompt verrauchte unser Zorn, glättete sich unser Leder. Verflixt, der wusste, wie er mit seinen Pappenheimern reden musste!

„Und was ist mit dem Namen...?!", bohrten wir hartnäckig.
Eine Sekunde des Schweigens, dann schlug der Schuster vor:
„Was haltet ihr von ´Isabelle`? Zwillinge teilen doch alles. Eine von euch hieße ´Isa` und die Andere ´Belle`?"
Wir erklärten uns einverstanden. Zur Buße erlegten wir ihm auf, sofort das betreffende Schild zu schreiben und unter unserem Logenplatz dort auf dem Regal anzubringen. In aller Eile begab er sich ans Werk. Kurz darauf hing der betreffende Zettel dort, wo der schon längst hin gehört hätte. Der Schuster hatte sich sehr viel Mühe gegeben. Unser Namensschild war eindeutig das Schönste von allen. Der Frieden zwischen uns war damit neu besiegelt. Wäre er nicht sogleich auf unsere Forderung eingegangen, hätten wir ihn nachdrücklich mit den Absätzen gepiesackt!

Ihr hättet die gehässigen Blicke der Anderen wegen unserer tollen Namen sehen sollen. Wir würdigten diese Neidhammel keines Blickes mehr. Mit denen zu reden, war eindeutig unter unserer neuen Würde. Vor Stolz strahlten wir mit der Deckenlampe des Geschäftes um die Wette. Wir waren jetzt Wer, und das sogar zweifach: Jedem, der es wissen wollte oder auch nicht, stellten wir uns vor:
Isa - Tanzi von Schuh
und
Belle - Tanzi von Schuh.
Das „Von“ verliehen wir uns selber.
Jetzt fehlte Belle und mir nur noch das passende Zuhause.

Da standen wir nun, die neugeborenen Prinzessinnen der Klapper-High-Society und langweilten uns. Allzu viel passierte nämlich am nächsten Tag im Geschäft unseres Meisters nicht. Na ja, ab und zu wurden wir alle, Latschschuh oder auch nicht, von den Kunden ja wenigstens mal prüfend begutachtet.
„Anscheinend wollen die alle so richtige Treter. Schon wieder Turnschuhe!!“, rümpfte Belle geringschätzig ihre Schuhspitze.
Nachdem ich die zukünftigen Besitzer jener Artgenossen genauer betrachtet hatte, stand für mich fest:
„Gottlob, dass die nicht uns gewählt haben. Schrecklich, wie die rum laufen!“
Vor Abscheu zitterte mir die elegante Schnalle.
"Gammelshirt über ´ner durchlöcherten Jeans und auf dem Kopf einen Filzhut!"
Uns schauerte es.

Um die Stunden zu verkürzen, lenkten wir uns mit selbstverständlich hoch intelligenten Gesprächen ab, grübelten über alles und nichts. Themen gab es mehr als genügend. Aber irgendwann ging uns doch der Stoff aus und wir verstummten.

Kurz darauf brachte eine Kundin ihre Schuhe zur Reparatur. Zwar waren es etwas elegantere Exemplare, Sandaletten oder ähnliches, konnten sich aber dennoch in Punkto Schönheit nicht mit uns vergleichen. Aber wer konnte dies schon? Wahrscheinlich kein einziges Paar Schuhe auf der ganzen Welt.
„Was ist mit Euch denn passiert?“
Typisch Belle. Der guckte die Neugierde aus sämtlichen Riemchenlöchern.
Völlig verzweifelt wirkten die Zwei:
„Wir kriegen neue Absätze.“
Es stimmte, deren Aussichtstürme waren ja noch viel krummer als unsere.
´Das bedeutet ´nageln`, brr!", dachte ich erschrocken.
„Wodurch das wohl gekommen ist?“, flüsterte ich Belle zu.
Sie wusste es auch nicht.

Ich grübelte und grübelte und erklärte es mir letztendlich so:
„Weil die Erde rund ist. Marschiert man lange genug auf ´ner Kugel herum, dann sind Absätze schief getreten, deswegen arg beleidigt und klacken darum unmissverständlich sauer vor sich hin.“
Ja, ich war felsenfest davon überzeugt, so und nicht anders war es. Stolz verriet ich Belle diesen meinen überragenden Geistesblitz.
Die erklärte mich einfach für verrückt:
„Quatsch, du spinnst!“
Aber eine bessere Begründung wusste sie auch nicht.
Eigentlich wollte ich diese wichtige Erkenntnis mit all den anderen Schuhen teilen. Wegen Belles niederschmetternden Widerspruches aber behielt ich dann meine Weisheit lieber für mich.

So verging der erste Tag, ohne nennenswerte Ereignisse, eben total ohne Aufregungen.
„Mist, wenn es unser ganzes Leben lang so läuft, dann ... !?“, knurrte ich leise.
„Klick- klack!“, machte es nervös neben mir.
Das kam von Belle.
„Isa! Hab` doch etwas Geduld!“, tröstete sie mich ein wenig genervt und damit auch sich selber. „Morgen ist auch noch ein Tag!“
Sie ahnte ja gar nicht, wie recht sie damit hatte. Nicht allein, dass mit dem nächsten Morgen natürlich ein neuer Tag anbrach, sondern vor allem, dass endlich etwas Entscheidendes passieren würde.

Gegen neun Uhr öffnete der Schuster das Geschäft. Schon zehn Minuten später kamen zwei Frauen herein. Sie hatten viel Ähnlichkeit miteinander:
„Bestimmt Mutter und Tochter!“, vermuteten wir.
Wir musterten sie kurz und waren uns schnell sicher:
„Du, Isa, das ist unsere Chance! So wie die aussehen und gekleidet sind, kaufen die garantiert nicht diese doofen Latschen von gegenüber. Die suchen etwas Schickes!“
Und richtig! Das junge Mädchen überflog beide Regale mit einem flüchtigen Blick, der dann tatsächlich an uns hängen blieb.
„Mutti, die sind ja toll! Passen sie, dann nehm` ich sie!“, jubelte es laut.
„Klick, klick!“, machten wir jetzt beide, total aufgeregt.
Unser Meister zwinkerte uns unauffällig zu. Sofort nahmen wir noch mehr Haltung an als bisher.
„Ist denn der Absatz nicht ein wenig zu hoch!?“, zweifelte die Mutter. „Du musst ja beim Tanzen auch gut auf ihnen laufen können.“
„Mutti, fürs Walzer tanzen brauch` ich genau solch hohe Absätze. Alles andere sieht bekloppt aus!“, tönte es selbstbewusst.

Jetzt kam der große Moment. Die junge Dame streifte uns über. Beide schmiegten wir uns ganz zart und geschmeidig um ihre Füße:
„Nimm uns!“, flehten wir im Stillen.
Sie drehte sich ein paar Male um sich selber, besah sich im Spiegel und juchzte:
„Die sehen todschick aus! Die will ich!“
Mit dieser Aussage bestätigte sie unsere Meinung von unserem Äußeren ja nun sehr ausdrücklich. Zufrieden bemerkte ich:
„Belle, die ist klug. Die hat erkannt, wie toll wir sind!“
Zudem passten wir wie angegossen. So erging es ihr nicht wie Aschenputtels Stiefschwestern im Märchen, die sich deswegen erst die Zehen abhacken mussten. (Den Prinzen bekamen sie trotzdem nicht. Pech für sie. Den kriegte Aschenputtel.)
Wie gesagt, mittlerweile schlug mein Selbstwertgefühl Purzelbäume. Belles übrigens auch. Kurz und gut: Wir wechselten den Besitzer, landeten in einem weich gepolsterten, uns angemessen schicken Pappkarton und danach in einer flotten Einkaufstüte.
„Macht`s gut, Ihr Zwei!“, verabschiedete sich im Hintergrund der Meister noch von uns, aber das kriegten wir nur noch so am Rande mit.

„Gleich zuhause trippelst du am besten stundenlang auf diesen Stelzen ´rum, damit du dich an deren Absatzhöhe gewöhnst, Michaela. Bis Samstag ist es ja nicht mehr lang!“, riet die Mutter ihrer Tochter.
„Isa: Michaela also heißt sie!“, flüsterte mir Belle zu. „Ein hübscher Name!“
Aber hübsch fanden wir sie sowieso.

Unser neues Zuhause gefiel uns auf Anhieb. Garantiert schützten uns unsere zwei Vornamen und dass wir sogar ´von` hießen, davor, uns zusammengepfercht mit -zig anderen Schuhpaaren (übrigens fast alles ordinäre Treter!) die Enge in dem winzigen Abstellraum hinter der Eingangstüre teilen zu müssen.
Unter den missgünstigen Blicken jener gemeinen Schuh-Armada trug Michaela uns in ihr Zimmer. Streng prüften wir dessen Einrichtung und befanden sie für hoch wohl geborene Prinzessinnen wie uns als angemessen. Entzückt geradezu waren wir von dem breiten Standspiegel.
„Vor dem findet dann Michaelas Modenschau statt und wir werden stets mit von der Partie sein!“, strahlten wir.

Dann fand die Premiere statt. Michaela konnte es offensichtlich gar nicht erwarten, uns wieder an und unter ihren Füßen zu spüren, streifte uns über und tänzelte vor dem besagten Spiegel auf und ab.
„So, jetzt üben wir ´drehen`!“, klärte sie uns auf.
Zunächst ging `s noch, aber dann rutschten uns fast die Sohlen weg vor Schwindel. Oder lag dies etwa nur an dem glatten Parkett?
„Isa, Belle, so ähnlich wird es am Samstag sein. Nur drehen wir uns dann noch viieel länger!“
Michaela verdrehte die Augen, ihr Gesicht leuchtete.
„Hm, oh ... oh!“, machten wir, da wir nicht recht wussten, was wir davon halten und wie uns also dazu äußern sollten.
„Hach, wird das schöön!!“
Michaela wirbelte nur so im Kreis herum und sang dabei lauthals:
„La, la, la, la,laa, la, la, la, laa,.. La, la, la la, laa, la la la laa, usw. ….“
Uns durchzuckte ein ordentlicher Schrecken. Das klang verdächtig nach `Kaiserwalzer` und der war lang. Plötzlich waren wir uns nicht mehr sicher, ob wir Michaelas Vorfreude teilten.
´Was da wohl auf uns zukommen wird ... ?`, überlegten wir bange.

Die Tage vergingen wie im Flug. Es wurde Samstag. Unsere Galgenfrist neigte sich ihrem Ende zu und dann staunten wir Bauklötze. Michaela rannte hektisch vom Bad in ihr Zimmer und wieder zurück. Wieder und wieder. Diese Aufgeregtheit steckte an. Uns kribbelte es im Leder. Alle zwei Minuten schielten wir zum Spiegel.
„Isa, sitzt meine Schnalle richtig?“, hauchte Belle.
„Super!“, behauptete ich und linste zu meiner.
Inzwischen hatte Michaela den sämtlichen Inhaltes des Kleiderschrankes auf ihr Bett gepfeffert, ausgesucht und mucksend verworfen.
„Nee, zu dem passen die Neuen wirklich nicht!“
Nach sage und schreibe zwei Stunden war endlich die Entscheidung gefallen. Michaela würde in einem Traum aus königsblauer Seide übers Parkett schweben.

Endlich brachen wir auf. Die Tanzschule erstrahlte in heller Festbeleuchtung. Aus dem riesigen Saal tönten die ersten romantischen Klänge. Belle und ich sahen nur flüchtig auf all die Pracht und widmeten uns dann verstohlen der heimlichen Prüfung all unserer Konkurrentinnen dort an den fremden Füßen.
„Belle!“, raunte ich meinem Zwilling zu. „Haste die da gerade gesehen, die mit all dem Blinkerzeug auf ihrem Riemchen? Furchtbar!“
Nein, hier brauchten wir uns wirklich nicht zu verstecken.

Der Chef der Schule hielt eine kleine Begrüßungsansprache und bekam viel Beifall sowie fröhliches Lachen zur Antwort. Damit war der Ball eröffnet.
„So, jetzt beweist mal, dass ihr das Geld wert seid!“, lachte Michaela.
Und schon drehten wir uns im Tanze.
„Au!“, maulte ich kurz darauf und schoss wütende Blicke auf eine neben mir her hopsende Sandalette, die unbekümmert völlig unelegant auf meiner Schuhspitze gelandet war. Gottlob hatte sie mich nicht mit ihrem Absatz getreten!

Tapfer machten wir trippelnde Tanzschritte, Runde um Runde.
„Klick-klack, klick-klack!“.
Dies konnten wir leider nicht verhindern.
Nach einiger Zeit, unsere Sohlen waren mittlerweile grauschwarz vor Anstrengung, ereilte uns unser Schicksal. Dagegen hatten wir gehofft, dass der Kelch wider Erwarten doch noch an uns vorüber gehen würde. Ganz groß wurde er angesagt, mit Jubelrufen aus zahlreichen Jungmädchenkehlen begrüßt:
„Kaiserwalzer!!“
Der würde uns den Rest geben!

Begeistert drehte sich Michaela im Kreise. Weniger begeistert folgten wir notgedrungen unserer Pflicht, sie dabei trittsicher zu unterstützen.
„Belle, dieser verflixte Tanz bringt mich noch um. Hoffentlich ist der bald zu Ende!“
Belle kam nicht dazu, darauf das Passende zu antworten. Sie musste sich aufs Takthalten konzentrieren.

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, sondern nur, dass ich nichts mehr mit bekam. Ich war kurz vorm Wegknicken, weil es mir von der unentwegten Dreherei mittlerweile so schlecht war. 
„La, la, la ... !“
Da passierte es. Belle fühlte sich offensichtlich ebenfalls nicht mehr imstande, die Richtung zu halten und schlingerte bedenklich hin und her.
„Isa, ich kann nicht mehr!“
„Durchhalten, irgendwann ist auch der längste Tanz vorüber!“
Während einer schnellen Drehung um die eigene Achse drohte mir fast der Lederinfarkt. Belle hatte den Takt und, ach wie schrecklich, zusätzlich zuerst die Balance, dann Michaelas Fuß verloren. Aber leider nicht den Schwung des Kaiserwalzers.
„Hiieelf mir, Isa!“, klickte sie hilflos.
„Wie denn? Ich kann ja nicht. Ich muss weiter!“, quietschte ich zurück.

Ehe Michaela und erst recht ich irgendetwas unternehmen konnten, sauste Belle allein vor aller Augen und sämtlichen, entsetzt starrenden Schuhspitzen quer übers Parkett, zwischen den Beinen der Tanzpaare hindurch bis zum anderen Ende des Saales. Dort stand gottlob ein hilfsbereiter Herrenschuh, der sie heranschlittern sah, einen raschen Schritt vorwärts machte und sie bremste. Ein seehr schicker Herrenschuh ...

Unterdessen versuchte ich aufgeregt, Michaela zum Handeln zu bewegen:
„Klack, klick, klick!“
Doch wegen der lauten Musik schien sie es entweder nicht zu bemerken oder wollte es einfach nicht.
Verzweifelt hörte ich, wie sie zu ihrem Tanzpartner sagte:
„Macht mir gar nichts. Dann tanze ich eben mit nur einem Schuh weiter!“
„Die hat mich mit Absicht ignoriert und der blöde Kerl lacht dazu auch noch!“
Ich war wütend. ´Wie kann sie nur so herzlos sein?`
Mehr noch zu überlegen oder auf passende Rache zu sinnen, blieb mir leider nicht die Gelegenheit. Ich war ja nur eine Schuh und hatte zu gehorchen.
„La, la, la ... !!“
Nach ein paar weiteren Drehungen stellte ich aber erleichtert fest:
„Eine Runde heißt Runde, weil es immer rund geht. Also kommen wir gleich bei Belle vorbei!“
Dies beruhigte mich etwas.

Mittlerweile hatte mein Zwilling seine Fassung wieder erlangt und sah seinen Bremsklotz etwas genauer an, ums sich endlich, wie es sich für eine Schuhprinzessin gehört, standesgemäß bei ihm zu bedanken:
„Das war sehr nett...“, fing sie an.
Dabei blieb es aber dann auch. Sie hatte nämlich gleich mir festgestellt, dass ihr Gegenüber ein ungewöhnlich attraktiver Herrenschuh war. Ihre Schnalle blitzte ihn an, was zwar gegen jeglichen Schuh-Knigge ging, aber leider nicht mehr zu vermeiden war. Ganz eindeutig hatte es meinen Zwilling tüchtig erwischt. Das Leder ihres männlichen Gegenübers glänzte auffällig strahlend zurück.
„Arme Belle!“, dachte ich traurig. „Sie sieht ihn doch wahrscheinlich nie wieder.“

Endlich blieb Michaela neben ihrem verlorenen Schuh stehen und bückte sich, um Belle aus deren mehr als peinlichen Lage zu befreien.
„Einen Moment bitte!“, sprach sie in dem Moment eine freundliche Stimme an.
Der Besitzer des schönen Herrenschuhes beugte sich rasch, hob Belle auf und legte sie in Michaelas ausgestreckte Hand. Michaela sah ihn dankbar an:
„Das ist lieb!“
Komisch, die stotterte ja fast so wie eben Belle. Sollte sie sich etwa auch ... ?
„Meine Güte, der strahlt sie ja genauso an!“
Mein Herz klopfte.

Mein Gespür trug mich nicht. Michaela und der junge Mann kamen ins Gespräch, unterhielten sich dann pausenlos und verstanden sich prächtig. Als es ans Abschiednehmen ging, fasste der junge Kavalier ihre Hand und bat sie um ein Wiedersehen. Gar nicht mehr der übermütige Wildfang, hauchte Michaela schüchtern:
„Ja. Ich würde mich freuen.“

„Belle, ahnst du, was das für dich bedeutet??“
Ich brauchte sie nur anzusehen, um zu wissen:
„Sie ist glücklich, denn sie wird ihn wiedersehen!“
Ich freute mich mit ihr.

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