Basejump

Text zum Thema Allzu Menschliches

von  bluedotexec

Ein bisschen lächeln muss ich schon, als meine Arbeitskollegin, vom Energiesparlicht erleuchtet, das Cuttermesser in heroischer Pose erhoben, im Supermarkt steht.
Der Satz "These are my friends, see how they glisten" schießt mir durch den Kopf, und in relativer Euphorie beginne ich zu lachen.
Der Satz "Woissn der Blumkool", von dem ich im ersten Moment fälschlicherweise annehme, dass er ebenfalls nur in meiner Gedankenwelt schwebt (Was mich verständlicherweise verwirrt, ich kann mich schließlich nicht erinnern, ihn gedacht zu haben), entpuppt sich schließlich als dem Mund eines Kunden entstammend. Blödes Gehirn.
Well now, ich beginne eine Expedition in der Gemüseabteilung, seile mich von den Tomaten ab, betrete die Champignonhöhle und finde schließlich den Blumkool. Glücklicherweise steht auf dem Etikett, wie man den Namen dieses Gemüses richtig schreibt, und in der wohlwollenden Hoffnung, dass der junge Herr des Lesens mächtig ist, sowie im absolut überzeugten Ton herablassender Blasiertheit überreiche ich ihm den Kohl und wüsche "N' guten Tach."
Das Blöde an dieser Hochburg der Kosumgeilheit, die ich meinen Arbeitsplatz zu nennen gezwungen bin, ist, dass draußen eine Stadt auf mich wartet. Lauert, quasi. Lurking auf englisch, was meiner Meinung nach lauernder klingt als "lauern". Die Stadt, das von mir schon so vielbesungene Miststück, das mir das Blut aus den Adern saugt, noch während ich mich von ihrer Brust nähre.
Punks liegen betrungen in Hauseingängen, frieren und träumen im Halbwachen des Deliriums von besseren Welten, die kurzgeschorenen Haare der Skinheads täuschen hart über die Verletzlichkeit hinweg, von der die weichen Tränen zeugen. Schonmal 'nen Skin weinen sehen? Kommt vom Alk, und dieser Weg endet in der Gosse, wie so viele.
Manchmal habe ich einen Tagtraum, in dem ich wie ein Parkoursportler über die Dächer hinwegspringe, die seltsamerweise sämtlich flach zu sein scheinen, als würde ich auf Hochhäusern wandeln. Und sie sind schwarz mit gelben Fenstern. Wie in einem Bild von Eric Drooker, nur das meines real-dreidimensional ist.
Wenn Drooker Schneeflocken darstellen will, dann lässt er, zumindest in seinen Skizzen, die einzelnen Punkte einfach unausgemalt, so dass das weiße des Papiers durchscheint. Klingt logisch.
Aber wie darf ich mir das in drei-D vorstellen? Welches Papier gibt meinen Schneeflocken die Farbe, und welche Farbe fehlt dort, wo sie sein sollte?
Diesen Text schreibe ich handschriftlich im Original während meiner Pause im Supermarkt, und zwar auf die Rückseite eines "Abschreibungen - Minderverkäufe" Papiers. Das ist bezeichnend, mit dem Unterschied, dass die Schneeflocken in den verschlungenen Buchstaben meiner schwer zu entziffernden Schnellschreibschrift eher beige sind als weiß. Ungebleichtes Papier. Aber lackiert musste es sein.

Theoretisch könnte ich dieses Blatt zu einem Papierflieger falten und aus einem der schwarzen Hochhäuser werfen, der Hochhäuser, die dunkler sind als die Nacht um sie herum, in der Hoffnung, dass ihn jemand findet und liest, der besser weiß als ich, worin das hier gipfeln wird, und in dessen Macht es liegt, mal etwas daraus zu machen.
Welche Löcher machen meinen Schnee?
Und während ich den Sprung ins gewiss Ungewisse wage, überlege ich mir eine Erklärung für denselben. Man sollte im Leben an den Ort gehen, an dem es für den Moment am hellsten ist. Und wenn ich mir die Nacht um mich her so anschaue, beziehungsweise den Kontrast, der durch die noch dunkleren Wände meiner Stadt entsteht, ja, dann ist mir klar, die Nacht ist heller als der Beton. Der schlafende Beton.
(Der vorangegangene Absatz ist als Metapher zu verstehen und nicht als Beschreibung einer Selbsttötung. Der Selbstmord ist ein Mord wie jeder andere, mit dem Unterschied, dass der Mörder seine Strafe schon erhalten hat. Es ist wahrlich schwierig, hier gegen eine Todesstrafe zu sein, bzw das Abschaffen derselben in diesem Fall durchzusetzen. Ein Selbstmord endet in der Regel tödlich.)
Mein Fall beginnt. Ich rausche durch ein bläuliches Dunkel, das mir dennoch mehr Hoffnungslicht gibt als der Gang durch einen mit Neonröhren erleuchteten Bahnhofstunnel. Ich stürze vorbei an Gestalten, die, schon abgestumpft wie ein altes Küchenmesser, durch das Dunkel ihrer Betonwald wandeln und ignorieren, wie viele Farben sie verpassen, falle durch die Schlaufen aus emotionalem Vakuum, das die Pflüge amerikanischer Panzer hinterließen, und lande schließlich ganz unten, dort wo Tyler Durden seinen "Jack", wie sie ihn nennen, hinbringen wollte.
Und so schön ist es hier nicht. Gebt mir Deckweiß, die Leinwand ist schwarz. Und danach fangen wir an zu pinseln. Du und ich und alle anderen, die wissen, was ich meine. Wir geben diesem Ort hier Farbe, vermischen die Kunstformen, malen mit Gesang, lassen bunte Töne klingen, tanzen zu den Geräuschen des Abfalls, der in Fußgängerzonenmülleimer fällt, und wir erfeuen uns der Tatsache, dass wir uns mit der Unanständigkeit der Abgestumpftheit noch längst nicht abgefunden haben.


Anmerkung von bluedotexec:

Wahrheit.

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