Und er kokst doch

Text zum Thema Allzu Menschliches

von  bluedotexec

Eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet. Ich hatte mich längst damit abgefunden, dass der nächste Schnee, der auf mich fallen würde, schwarz ist, und es fängt genau in dem Moment an zu schneien, in dem der Wind sich in den Dorfgassen bricht und ein exakt so lautes Heulen verursacht, wie meine Lust, durch eiskalten Schneeregen zu laufen, abgenommen hat. Man könnte sagen, die Niederschlagswahrscheinlichkeit für Schnee ist direkt antiproportional zu meiner freudigen Erwartung desselben Ereignisses.
Ich bin auf dem Weg zu Jimbo, der blöde Sack. Da ich schon seit geraumer Zeit auf meine Bücher warten muss, beziehungsweise darauf, dass Jimbo sie mir zurück gibt, beziehungsweise darauf, dass ihm irgendwann gleich einer Epiphanie klar wird: Die Bücher gehören gar nicht ihm! - gehe ich nun und hole sie mir selbst.
Verdammter Bastard. Jimbo ist ein Choleriker, der Spaß daran findet, wenn sein Stresslevel in Bereiche steigt, die selbst ein panierter Biber auf zwei Quadratkilometern asphaltiertem Parkplatz nicht überbieten könnte. Ich vermute in ihm weniger einen vom Leben enttäuschten Charakter - wenn er das entgegen meiner Erwartungen doch sein sollte, dann geht er zumindest sehr enthusiastisch mit seiner Enttäuschung um - als viel mehr ein Magengeschwür von der Größe seiner Leber. Wobei es schwierig ist, in Sachen Volumina mit der Größe von Jimbos Leber zu konkurrieren. Wenn der Kerl so umgänglich wäre, wie er trinkfest ist, dann hätte selbst Martin Luther King seinen Friedensnobelpreis posthum noch zurückgegeben. Man sollte meinen, dass - wie bei so vielen anderen Männern - der Alkohol irgendwann die Fläche der Löcher, die er schon in die Hirnwindungen des Trinkers gefressen hat, auch auf dessen Charakter und Persönlichkeit ausdehnte. Doch in Jimbos Fall war davon keine Spur zu erkennen. Allerdings ließ sich nie mit Sicherheit feststellen, ob das gut oder schlecht war.
Nein, der Versuch, eine Unterhaltung mit Jimbo zu führen, die nicht in einem Wettbewerb mit dem Ziel, herauszufinden, wer der beiden Kontrahenten mehr Beleidigungen abrufen kann bestand, war exakt genau so erfolgversprechend wie der Versuch, die Heisenbergsche Unschärferelation betrunken im Kopfstand auf Suaheli mit den Zahlenwerten der Buchstaben rückwärts aufzusagen und dabei Leo Tolstois vierteilige Ausgabe von "Krieg und Frieden" aufrecht stehend mit den in Highheels steckenden eigenen Füßen zu balancieren.
Und während ich durch die Stadt schwebe und mir dies alles durch den Kopf schießt, wird mir klar, dass es vermutlich einfacher und weniger kostenintensiv ist, die drei Bücher einfach nachzukaufen. Zwar ist es so gut wie sinnlos, Geld zweimal für die gleiche Sache auszugeben, aber wenn es jemandem gelingen würde, dem Begriff "sinnlos" noch irgendwo etwas Sinn abzusaugen, dann war es Jimbo. Sollte er die verdammten Bücher doch behalten.
Wenn ich genauer darüber nachdachte, dann wusste ich nichteinmal mehr, wieso ich die Dinger wiederhaben wollte. Ich würde in meinem ganzen Leben nie wieder einen Blick in "Ravensburger Lexikon der Natur und Technik - Alterempfehlung ab zehn" werfen, und "TKKG - Der Schatz im Silbersee" (oder wie auch immer der Titel lautete) würde ich vermutlich nur noch ein einziges Mal berühren, und zwar, wenn ich es von Jimbo nach Hause trug. Insofern lohnte es sich nichteinmal, die Bücher überhaupt wieder in meinen Besitz zu reakquirieren.

Und während der Schnee, der jetzt aus vollen Wolken rieselt, lautlos auf meinem Haupthaar lastet und mir langsam, aber sicher die Frage ins Bewusstsein streut, wieso ich mir das nicht schon früher überlegt habe, wende ich den Schritt und denke über Michel nach. Der verfluchte Wichser besaß noch ein T-Shirt aus dem Sportunterricht in der achten Klasse von mir, außerdem meine DVD von "Atlantis - das Geheimnis der verlorenen Stadt" und einen kaum benutzten Füllfederhalter von Pelikan.
Es ist zwar Schrott, aber es ist meiner, verflucht nochmal.


Anmerkung von bluedotexec:

 http://www.youtube.com/watch?v=dmaV7D4Xk2U

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