Lila - Die Reise

Roman zum Thema Suche

von  Mutter

Habt Ihr mit einem Herrscher zu tun, so legt besonderes Augenmerk auf seinen Spaßmacher oder Narren. Meist mehr als unbedeutende Kasper und mit mehr als Unsinn im Kopf, stellen diese Männer häufig eine Macht wenn nicht hinter, so doch vor dem Thron, dar. Auf ihre eigene verschrobene Weise, sind sie  durch ihre Position manchmal in der Lage, Einsichten zu haben, die andere fehlen, und gute Herrscher wissen das zu schätzen. Doch Obacht, ihre Launen sind im besten Fall unbeständig, und nicht immer kann hinter ihren Possen Verstand und Sinn vermutet werden. Ähnlich wie das Schicksal, ähnlich wie Lila, tut sie nicht leichtfertig ab, und seid vor ihnen auf der Hut, denn Ihr betretet gefährliches Terrain.
Aus den Schriften der Corinn, Hochmark



Der kleine Planwagen lag schwer im feuchten Waldboden und die beiden stämmigen Ponys hatten Mühe, die Kuppe zu erreichen. Dort angekommen, ließ der kurzgewachsene Fahrer des Wagens die beiden Pferde kurz verschnaufen und nutzte die Gelegenheit, seine Pfeife neu zu stopfen.
‚Wo, glaubst du, sind die anderen jetzt?‘, überlegte er, an seinen Begleiter gewandt. Der riesige Mann, der unbequem neben ihm auf dem kleinen Kutschbock saß, blieb eine Weile stumm, bevor er antwortete: ‚Keine Ahnung. Es ist Wochen her, dass wir Turan und Sua gesehen haben, und noch länger, seit ich mit den anderen beiden gesprochen habe. Wenn uns der Stein von diesem Weinhändler wirklich einfach übergeben wird, wird es wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis wir zumindest die Kleine und den Soren wiedersehen.‘
Tibao sog an seiner Pfeife und nickte.
Nachdem Sua den weißen Stein mit ihrer aller Hilfe aus den Rashman-Hügeln geholt hatte, hatte sie sich entschlossen, die Suche fortzusetzen und die anderen Steine ebenfalls an sich zu bringen. Ohne genau zu wissen, wozu die Steine fähig waren, oder welche Rolle sie spielten, war allen von ihnen klar, dass sie von großer Bedeutung waren. Erste Nachforschungen hatten schnell ergeben, dass auch andere Leute von ihnen wussten - und vor allem nach ihnen suchten.
Er und Ferron hatten zugestimmt, den Stein, den ihr ein Weinhändler aus der Nähe von Aaden zum Kauf angeboten hatte, abzuholen.
Mit einem Zungenschnalzen setzte der kleine Waldmensch die beiden Ponys wieder in Bewegung. Vor ihnen konnten sie die Ausläufer der sanften Hügel sehen, die jenseits des Flusses in das Hochland übergingen. Inzwischen war es trocken und sonnig, aber die letzten zwei Wochen hatte es fast ununterbrochen geregnet, und die schwachen Sonnenstrahlen des ausgehenden Sommers verdampften die Feuchtigkeit in unwirklichen, märchenhaften Schwaden über den grünen Wiesen.
Mit einem Griff nach hinten fischte Tibao geschickt eine Feldflasche hervor und nahm einen tiefen Zug. Danach bot er seinem Gefährten ebenfalls einen Schluck Pflaumenwein an.
Mit einer Grimasse lehnte Ferron ab und schwang sich kurzentschlossen von dem niedrigen Kutschbock. ‚Ich werde mir ein wenig die Beine vertreten‘, murmelte er.
Tibao zuckte mit den Achseln und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Straße vor sich zu. Er war die Stimmungsumschwünge und Melancholie seines Begleiters gewöhnt - er hatte den großen Schmied nie anders kennengelernt.

Eine kleine Weile, nachdem sie den Fluss an einer seichten Furt durchquert hatten, stießen sie auf ein kleines Dorf. Von den Einheimischen zunächst misstrauisch beäugt, schwand deren Zurückhaltung sofort, als Ferron begann, seine Schmiede aufzubauen.
Nur die größeren Dörfer konnten sich einen eigenen Schmied leisten - die kleineren waren auf durchreisende Schmiede wie Ferron angewiesen, die mit ihren transportablen Essen größere Gegenstände, die sich nicht bis ins nächst größere Dorf schaffen ließen, reparierten.
Innerhalb kürzester Zeit hatte Ferron die Kohlen mit seinem Blasebalg zum Glühen gebracht. Nach und nach fanden sich seine ersten Kunden und eine Masse von Kindern ein. In jedem Dorf war der Tua bisher eine Attraktion gewesen: Fast sieben Fuß groß, muskulös, mit nacktem Oberkörper. Nur sein geschmeidiges Löwenfell, das ihm um die breiten Schultern fiel, bedeckte seine Schultern. Er stellte einen beeindruckenden Blickfang dar, und die Kinder und manche der jüngeren Frauen liebten es, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Hier war es nicht anders.
Tibao entschuldigte sich bei seinem Gefährten, der bereits in den Rhythmus seines Hammers versunken schien, und machte sich auf den Weg in die einzige Schenke des Ortes.
Bei einem Teller Erbsensuppe, etwas Gewürzbrot und einem Krug frischgebrautem Bier unterhielt er sich mit dem Wirt und versuchte, Informationen über den vor ihnen liegenden Abschnitt der Reise zu erhalten.
‚Ich würde einen Umweg von einem halben Tag in Kauf nehmen, um die Wälder um Erras zu vermeiden. Niemand weiß genau, ob es Räuber oder Übernatürliche sind, aber so oder so gehen immer wieder Reisende und Einheimische dort verloren.‘
‚Wie ist es um die Wege um Erras herum bestellt?‘ fragte Tibao und schob sich einen Löffel Suppe in den Mund.
Der Wirt zögerte einen Moment und richtete sich dann auf. ‚Mit den Wegen ist alles in Ordnung. Vielleicht habt Ihr mich nicht richtig verstanden. Es sind nicht die normalen Gefahren der Reise, von denen ich rede.‘ Offenbar beleidigt fing er an, das Geschirr vom Tisch zu räumen.
‚Versteht mich nicht falsch, guter Mann, ich nehme Eure Warnungen sehr ernst - nur ist durch das Gewicht der Schmiede meines Freundes eine gute Qualität der Wege von großer Wichtigkeit. Nur so können wir sicher sein, das unsere Ponys die Strecke auch schaffen.‘
Ein wenig versöhnt stützte sich der Wirt mit beiden Händen auf dem Tisch ab. ‚Die Wege um Erras herum sind trockener, weil sie näher an den Ausläufern des Großen Rückens liegen. Aber ob dieser Vorteil die Gefahr wettmacht ...‘
Er richtete sich auf, wischte ein letztes Mal über den Tisch und ging in die Küche.
Mit einem leichten Nicken rieb sich Tibao einen Rest Bierschaum von den Lippen und sah durch die alten, blinden Fenster nach draußen.
Sie hatten den Wagen dabei, um die schwere Geldkassette zu transportieren, die den Kaufpreis für den Stein beinhaltete. Die Esse dagegen hatten sie nur mitgenommen, um über das Gewicht des ansonsten leeren Wagens hinweg zu täuschen und um ihnen eine Tarnung und einen Grund für die Reise zu liefern.
Jetzt würde sich zeigen, ob es vielleicht besser gewesen wäre, schnell und unbehindert zu Pferde zu reisen. Es wäre sicher möglich gewesen, statt der Münzen Juwelen oder andere wertvolle Güter mitzunehmen.
Mit einem Seufzer suchte Tibao die Kupferstücke für seine Mahlzeit aus seinem Beutel zusammen, legte sie auf den Tisch und trat durch die niedrige Tür zurück auf den Dorfplatz.
Er erledigte ein paar kleinere Einkäufe, unterhielt sich eine Weile mit dem Besitzer des kleinen Ladens und kehrte dann zu seinem Gefährten zurück.
Ferron hatte alle seiner Kunden bereits abgefertigt – bei den meisten Aufträgen handelte es sich um kleine Reparaturen an Werkzeugen, Pflügen oder anderem Gerät, mit denen der Schmied nicht viel Zeit verbrauchte.
‚Und, hast du was in Erfahrung bringen können?‘, fragte der Schmied, während er seine Esse und den Blasebalg verlud.
Tibao berichtete ihm das Wenige, was der Wirt ihm erzählt hatte, und legte dabei mit Hand an, um die restlichen Werkzeuge zu verstauen.
Nach einer kurzen Weile zogen die beiden Ponys an und das kleine Gefährt rollte aus der Dorfmitte. Ein paar der Kinder liefen noch eine Weile neben ihnen her und riefen ihnen Wünsche für ihre Fahrt zu, aber nachdem das Gefährt die ersten Felder passiert hatten, blieben selbst die Hartnäckigsten unter ihnen zurück.

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