Seance
Roman zum Thema Suche
von Mutter
Zu unserer Linken zirkeln Möwen über dem Wasser, ihre spitzen Klagen passen zu meiner Stimmung. Plötzlich ist alles wieder ernst. Frank sieht mich stumm an, hält mir dann ein Blatt Papier hin. Es handelt sich um eine Fotokopie eines Portrait-Fotos. Die junge Frau darauf ist mir unbekannt – und gleichzeitig auch nicht.
Meine Welt reduziert sich schlagartig auf die paar Quadratmeter, in denen Frank und ich nahe beieinander stehen. Wie im Auge des Orkans. Den Rest nehme ich nicht mehr wahr – das Wasser, die Vögel, San Franzisco wird alles weggeblendet. Ihre Haare sind dunkel, halblang. Gelockt. Ihre Nase ist kleiner als Luisas, fast eine Stupsnase. Auf dem Bild sieht es so aus, als hätte sie jede Menge Sommersprossen, aber vielleicht liegt das an der Grobkörnigkeit. Ihre Augen stehen enger zusammen – niemand würde die beiden Frauen verwechseln. Aber es gibt auch keinen Zweifel daran, dass jede Menge Ähnlichkeiten zwischen ihnen bestehen. Mein Blick zuckt hoch zu Franks Gesicht – er beobachtet mich wachsam. Will wissen, ob ich ihm gleich hier und jetzt zusammenklappe.
Ich schüttle den Kopf. Weiß nicht, ob es ist, um ihm zu sagen: Nein, alles in Ordnung. Oder ob ich mit der verneinenden Geste verhindern kann, dass das alles wahr ist.
„Wer ist sie?“, flüstere ich heiser. War sie, korrigiere ich mich in Gedanken.
Frank räuspert sich. „Martina Hauptmann. 28 Jahre, Archäologie-Studentin. Sie ist gestern Nachmittag in ihrer Wohnung in Mitte gefunden worden. Alleinstehend.“
„Irgendeine Spur?“ Inzwischen klingt meine Stimme so mürbe, dass ich frage, ob ich überhaupt laut gesprochen habe.
Offensichtlich, denke ich, als Frank antwortet. „Nicht wirklich. Nichts Konkretes. Aber die Kollegen sind sich ziemlich sicher, dass es sich um den gleichen Mörder handelt. Das BKA ist eingeschaltet worden.“
„Was heißt das?“
Er zuckt mit den Achseln. „Wenn es sich wirklich um einen Serienmörder handelt, ist das Sache auf Bundes-Ebene.“
Wie ein alter Goldgräber auf Speed versuche ich im Kopf den Dreck aus den winzigen rationalen Gedanken zu waschen. Was bedeutet das für mich? Ein Serienkiller – ist Tiger so einer?
Unbeholfen schüttle ich den Kopf.
„Ich bleibe da dran. Ein alter Kumpel von mir sitzt direkt im LKA - den habe ich schon angespitzt“, erklärt Frank. Ich nicke benommen.
„Kann ich das behalten?“
Er zögert kurz, betrachtet das Bild in meiner Hand. Dann bejaht er. Dabei kann ich gar nicht genau sagen, was ich damit will. Wozu mir das nützen soll. Aber aus irgendeinem Grund ist mir das Bild dieser Frau wichtig. Die Luisa so ähnlich sieht, und auf die gleiche Weise gestorben ist. Was verbindet die beiden? Und schafft die neue Tote es, mir mehr über Luisas Tod zu verraten?
„Kommst du in Schwierigkeiten? Für das hier?“ Ich mache eine Bewegung mit der Hand, umfasse unser heimliches Treffen im Niemandsland. Ein weiteres Zögern, dann ein Kopfschütteln. Frank grinst. „Solange mir niemand nachweisen kann, mit was für Informationen ich Dich genau versorge …“ Er lässt den Satz unbeendet.
„In Ordnung.“ Eigentlich kann ich mir auch keine Skrupel in dieser Hinsicht leisten – Frank ist meine einzige Chance, diesbezüglich an Infos zu kommen. „Du sagst Bescheid, wenn du noch mehr hast?“
„Natürlich. Gib unseren Leuten noch ein, zwei Tage Zeit. Das dauert.“ Ich verkneife mir eine Bemerkung, dass ich keine Zeit habe. Weil es nicht stimmt. Luisa ist längst tot. Ich habe alle Zeit dieser Welt – es ist nur meine eigene Ungeduld, die mich antreibt.
Wir verabschieden uns mit einer männlichen Umarmung. Ich hebe die Hand, Matze grüßt aus dem Wagen zurück. Ich nehme an, er will gar nicht wissen, worum es geht. Kann er Frank leichter den Rücken freihalten.
Ich steige zurück zu Dirty ins Auto. Er schläft immer noch. Ich beobachte durch die Frontscheibe, wie die beiden Bullen vom Platz rollen. Gebe ihnen ein paar Minuten Vorsprung – keine Ahnung, ob das Sinn macht oder nicht. Erst als ich den Motor anlasse, wacht Dirty auf. „Sind wir da?“, murmelt er verwirrt, schaut sich um.
„Wir sind schon wieder weg, Hase“, sage ich mit einem Grinsen und steuere um die schlimmsten Schlaglöcher herum.
„Was?“ Mit einem leichten Anflug von Panik sieht er sich auf dem Parkplatz um, dann legt sich seine Desorientierung langsam. „Mia-Mäuschen schon wieder weg?“
Ich nicke, bringe uns draußen wieder auf den Asphalt.
„Was hat er gesagt?“
Statt einer Antwort reiche ich ihm das Bild der jungen Frau. Ihren Namen habe ich längst wieder vergessen.
Er studiert es einen Moment, sagt dann leise: „Holy Fuck!“ Ich nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie er mich ansieht. Wortlos fahre ich weiter.
„Hat er noch mehr gehabt?“
„Nicht wirklich. Dafür brauchen die noch eine Weile. Aber es sieht ganz so als, als sei es der gleiche Mörder.“
Er erwidert nichts. Ungeduldig strecke ich die Hand aus, schnippe sogar mit den Fingern, als er nicht sofort reagiert. Er rafft, dass es mir um das Bild geht und gibt es mir zurück. Während ich einhändig fahre, stopfe ich es mir in die Innentasche der Jacke. Muss daran denken, welche Bedeutung Tigers Phantombild für mich hatte – vielleicht geht es mir mit dem Bild dieser Unbekannten jetzt genauso. Als könnte ich sie damit in einer Sitzung Gläserrücken beschwören – um mit ihr zusammen Kontakt zu Luisa herzustellen.
Plötzlich laufen mir die Tränen über die Wangen. Das Bedürfnis, noch ein einziges Mal mit ihr zu reden, dehnt sich in mir aus, wird so stark, dass es mich fast zerreißt. Ich schaffe es noch, rechts ran zu fahren, bevor der Schmerz mich komplett ausfüllt. Kann mich nur noch ins Lenkrad krallen, die Stirn dagegen gelehnt. Ich weiß nicht, was mich mehr schüttelt – meine Schluchzer oder das fiebrige Gefühl, vollständig auseinander zu fallen.
Neben mir öffnet sich die Autotür. Ich spüre Dirtys Hand auf meiner Schulter, merke, wie er sich über mich beugt, um den Gurt zu lösen. Einen Augenblick später hat er mich um den Wagen herumgeführt, mich in den Beifahrersitz bugsiert. Ich lehne den Kopf gegen die Stütze, um Luft zu bekommen. Langsam wird es besser.
Es dauert eine Weile, bis ich mitbekomme, wohin wir fahren. Zwinkere die letzten Reste des feuchten Schleiers aus den Augen weg und schüttle vehement den Kopf.
„Was?“, will er wissen.
„Nicht zu dir. Kannst du mich bei Manu rauslassen?“
Er sieht mich mit einem zweifelnden Seitenblick an. „Ist das eine gute Idee?“ Das unausgesprochene In deinem Zustand füge ich gedanklich hinzu.
„Das bekomme ich schon hin.“ Ich erzähle ihm nicht, dass ich mich ihr gegenüber verpflichtet fühle. Sie ist Teil dieser ganzen Sache, auch wenn es mir leichter fallen würde, sie z ignorieren. Sie außen vor zu lassen. Ich nehme an, sie will wissen, was wir herausbekommen haben. Außerdem hat sich möglicherweise Wehmeier bei ihr gemeldet – große Hoffnungen, dass es neue Erkenntnisse gibt, habe ich zwar nicht, aber die Chance besteht immerhin. Vielleicht waren die Bullen nicht komplett untätig.
„Wie du willst“, sagt er mit einem finalen Ton in der Stimme. Ganz kurz zuckt ein Lächeln über meine Lippen. Er erinnert mich an Luisa, wenn sie eine Idee von mir für absolut dämlich hielt, sich aber nicht in der Position sah, es mir zu verbieten.
Kurz darauf stehen wir vor Manus Haus, Dirty parkt blinkend in zweiter Reihe. Wir verabschieden uns, er packt mich kurz am Hinterkopf, schüttelt mich leicht. Ich muss grinsen. Genauso männlich wie der Abschied von Frank. Dann gehe ich rüber, um den Klingelknopf zu drücken. Atme tief ein, als könnte ich mich so vor ihrem Anblick wappnen.
Meine Welt reduziert sich schlagartig auf die paar Quadratmeter, in denen Frank und ich nahe beieinander stehen. Wie im Auge des Orkans. Den Rest nehme ich nicht mehr wahr – das Wasser, die Vögel, San Franzisco wird alles weggeblendet. Ihre Haare sind dunkel, halblang. Gelockt. Ihre Nase ist kleiner als Luisas, fast eine Stupsnase. Auf dem Bild sieht es so aus, als hätte sie jede Menge Sommersprossen, aber vielleicht liegt das an der Grobkörnigkeit. Ihre Augen stehen enger zusammen – niemand würde die beiden Frauen verwechseln. Aber es gibt auch keinen Zweifel daran, dass jede Menge Ähnlichkeiten zwischen ihnen bestehen. Mein Blick zuckt hoch zu Franks Gesicht – er beobachtet mich wachsam. Will wissen, ob ich ihm gleich hier und jetzt zusammenklappe.
Ich schüttle den Kopf. Weiß nicht, ob es ist, um ihm zu sagen: Nein, alles in Ordnung. Oder ob ich mit der verneinenden Geste verhindern kann, dass das alles wahr ist.
„Wer ist sie?“, flüstere ich heiser. War sie, korrigiere ich mich in Gedanken.
Frank räuspert sich. „Martina Hauptmann. 28 Jahre, Archäologie-Studentin. Sie ist gestern Nachmittag in ihrer Wohnung in Mitte gefunden worden. Alleinstehend.“
„Irgendeine Spur?“ Inzwischen klingt meine Stimme so mürbe, dass ich frage, ob ich überhaupt laut gesprochen habe.
Offensichtlich, denke ich, als Frank antwortet. „Nicht wirklich. Nichts Konkretes. Aber die Kollegen sind sich ziemlich sicher, dass es sich um den gleichen Mörder handelt. Das BKA ist eingeschaltet worden.“
„Was heißt das?“
Er zuckt mit den Achseln. „Wenn es sich wirklich um einen Serienmörder handelt, ist das Sache auf Bundes-Ebene.“
Wie ein alter Goldgräber auf Speed versuche ich im Kopf den Dreck aus den winzigen rationalen Gedanken zu waschen. Was bedeutet das für mich? Ein Serienkiller – ist Tiger so einer?
Unbeholfen schüttle ich den Kopf.
„Ich bleibe da dran. Ein alter Kumpel von mir sitzt direkt im LKA - den habe ich schon angespitzt“, erklärt Frank. Ich nicke benommen.
„Kann ich das behalten?“
Er zögert kurz, betrachtet das Bild in meiner Hand. Dann bejaht er. Dabei kann ich gar nicht genau sagen, was ich damit will. Wozu mir das nützen soll. Aber aus irgendeinem Grund ist mir das Bild dieser Frau wichtig. Die Luisa so ähnlich sieht, und auf die gleiche Weise gestorben ist. Was verbindet die beiden? Und schafft die neue Tote es, mir mehr über Luisas Tod zu verraten?
„Kommst du in Schwierigkeiten? Für das hier?“ Ich mache eine Bewegung mit der Hand, umfasse unser heimliches Treffen im Niemandsland. Ein weiteres Zögern, dann ein Kopfschütteln. Frank grinst. „Solange mir niemand nachweisen kann, mit was für Informationen ich Dich genau versorge …“ Er lässt den Satz unbeendet.
„In Ordnung.“ Eigentlich kann ich mir auch keine Skrupel in dieser Hinsicht leisten – Frank ist meine einzige Chance, diesbezüglich an Infos zu kommen. „Du sagst Bescheid, wenn du noch mehr hast?“
„Natürlich. Gib unseren Leuten noch ein, zwei Tage Zeit. Das dauert.“ Ich verkneife mir eine Bemerkung, dass ich keine Zeit habe. Weil es nicht stimmt. Luisa ist längst tot. Ich habe alle Zeit dieser Welt – es ist nur meine eigene Ungeduld, die mich antreibt.
Wir verabschieden uns mit einer männlichen Umarmung. Ich hebe die Hand, Matze grüßt aus dem Wagen zurück. Ich nehme an, er will gar nicht wissen, worum es geht. Kann er Frank leichter den Rücken freihalten.
Ich steige zurück zu Dirty ins Auto. Er schläft immer noch. Ich beobachte durch die Frontscheibe, wie die beiden Bullen vom Platz rollen. Gebe ihnen ein paar Minuten Vorsprung – keine Ahnung, ob das Sinn macht oder nicht. Erst als ich den Motor anlasse, wacht Dirty auf. „Sind wir da?“, murmelt er verwirrt, schaut sich um.
„Wir sind schon wieder weg, Hase“, sage ich mit einem Grinsen und steuere um die schlimmsten Schlaglöcher herum.
„Was?“ Mit einem leichten Anflug von Panik sieht er sich auf dem Parkplatz um, dann legt sich seine Desorientierung langsam. „Mia-Mäuschen schon wieder weg?“
Ich nicke, bringe uns draußen wieder auf den Asphalt.
„Was hat er gesagt?“
Statt einer Antwort reiche ich ihm das Bild der jungen Frau. Ihren Namen habe ich längst wieder vergessen.
Er studiert es einen Moment, sagt dann leise: „Holy Fuck!“ Ich nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie er mich ansieht. Wortlos fahre ich weiter.
„Hat er noch mehr gehabt?“
„Nicht wirklich. Dafür brauchen die noch eine Weile. Aber es sieht ganz so als, als sei es der gleiche Mörder.“
Er erwidert nichts. Ungeduldig strecke ich die Hand aus, schnippe sogar mit den Fingern, als er nicht sofort reagiert. Er rafft, dass es mir um das Bild geht und gibt es mir zurück. Während ich einhändig fahre, stopfe ich es mir in die Innentasche der Jacke. Muss daran denken, welche Bedeutung Tigers Phantombild für mich hatte – vielleicht geht es mir mit dem Bild dieser Unbekannten jetzt genauso. Als könnte ich sie damit in einer Sitzung Gläserrücken beschwören – um mit ihr zusammen Kontakt zu Luisa herzustellen.
Plötzlich laufen mir die Tränen über die Wangen. Das Bedürfnis, noch ein einziges Mal mit ihr zu reden, dehnt sich in mir aus, wird so stark, dass es mich fast zerreißt. Ich schaffe es noch, rechts ran zu fahren, bevor der Schmerz mich komplett ausfüllt. Kann mich nur noch ins Lenkrad krallen, die Stirn dagegen gelehnt. Ich weiß nicht, was mich mehr schüttelt – meine Schluchzer oder das fiebrige Gefühl, vollständig auseinander zu fallen.
Neben mir öffnet sich die Autotür. Ich spüre Dirtys Hand auf meiner Schulter, merke, wie er sich über mich beugt, um den Gurt zu lösen. Einen Augenblick später hat er mich um den Wagen herumgeführt, mich in den Beifahrersitz bugsiert. Ich lehne den Kopf gegen die Stütze, um Luft zu bekommen. Langsam wird es besser.
Es dauert eine Weile, bis ich mitbekomme, wohin wir fahren. Zwinkere die letzten Reste des feuchten Schleiers aus den Augen weg und schüttle vehement den Kopf.
„Was?“, will er wissen.
„Nicht zu dir. Kannst du mich bei Manu rauslassen?“
Er sieht mich mit einem zweifelnden Seitenblick an. „Ist das eine gute Idee?“ Das unausgesprochene In deinem Zustand füge ich gedanklich hinzu.
„Das bekomme ich schon hin.“ Ich erzähle ihm nicht, dass ich mich ihr gegenüber verpflichtet fühle. Sie ist Teil dieser ganzen Sache, auch wenn es mir leichter fallen würde, sie z ignorieren. Sie außen vor zu lassen. Ich nehme an, sie will wissen, was wir herausbekommen haben. Außerdem hat sich möglicherweise Wehmeier bei ihr gemeldet – große Hoffnungen, dass es neue Erkenntnisse gibt, habe ich zwar nicht, aber die Chance besteht immerhin. Vielleicht waren die Bullen nicht komplett untätig.
„Wie du willst“, sagt er mit einem finalen Ton in der Stimme. Ganz kurz zuckt ein Lächeln über meine Lippen. Er erinnert mich an Luisa, wenn sie eine Idee von mir für absolut dämlich hielt, sich aber nicht in der Position sah, es mir zu verbieten.
Kurz darauf stehen wir vor Manus Haus, Dirty parkt blinkend in zweiter Reihe. Wir verabschieden uns, er packt mich kurz am Hinterkopf, schüttelt mich leicht. Ich muss grinsen. Genauso männlich wie der Abschied von Frank. Dann gehe ich rüber, um den Klingelknopf zu drücken. Atme tief ein, als könnte ich mich so vor ihrem Anblick wappnen.