Pechwanne

Kurzgeschichte zum Thema Absurdes

von  RainerMScholz

Da saß er nun, abgebrannt, ausgebrannt, ohne Job wieder einmal, die Freundin war weg und der Wasserhahn tropfte. Bei seinem Wagen ließ sich nur noch der Rückwärtsgang einlegen. Zu einem billigen Glas Rotwein überlegte er, auf welche am wenigsten schmachvolle Weise er seinem Leben ein schnelles Ende bereiten könne. Die Pulsadern aufschlitzen? Hört sich schmerzhaft an und dauert zu lange. Kopfschuss? Wie und von welchem Geld sollte er wohl einen Revolver erstehen. Er schenkte sich von dem billigen roten Fusel nach. In der Badewanne ertrinken? Hört sich erst einmal ganz locker an. Vielleicht sollte man das ins Auge fassen. Er schenkte sich von dem Fusel nach. Badewanne. In der Badewanne. Reinsteigen ins Wasser und dann den Fön hinterherwerfen. Kurz und  - naja, jedenfalls schnell. Wahrscheinlich.
Er stand aus dem abgetakelten Sessel auf, nahm die Fernsehzeitung, rollte sie zusammen, erschlug damit eine Fliege an der Wand, die dort tot kleben blieb, und ging in das winzige Bad, um das Wasser einzulassen. Er wollte keine Zeit verlieren. Oder es sich unterwegs anders überlegen. Hose und Hemd flogen unter das zahnpastafleckige Waschbecken. Dann hatte er wieder Durst und ging mit wenigen Schritten in das kleine Zimmer zurück, das er Wohnzimmer nannte. Er goss ein, trank, goss abermals ein und ging zurück zu seiner Wanne, in die das Wasser floss. Er gab noch etwas Badeschaum hinzu. Tannennadeln.
Das Telefon läutete.
„Ja?“
„Na, Du Arsch. Schön, dass Du `mal an`s Telefon gehst. Hörst Du Deinen Anrufbeantworter nicht ab?“
Jörg war dran.
„Ich hab´ gar keinen.“
„So? Na schön. Was geht denn bei Dir?“
„Gibt`s `was bestimmtes? Ich hab´ noch `was anderes zu tun.“
„Was willst Du denn schon zu tun haben. Außer abhängen, saufen und an Deiner Stange reiben.“
Dieser Wichser Jörg, dachte er. Er nahm noch einen Schluck Roten.
„Wir haben hier eine kleine Party. Und da uns der Sprit ausgegangen zu sein scheint, dachten wir, Du hättest vielleicht Lust vorbeizukommen, und auf dem Weg bringst Du noch ein paar Sixpacks von der Tanke mit.“
„Nee, Du, Jörgi, lass `mal, heute ist es schlecht. Ich, äh, ich hab´ noch eine kleine Verabredung und...“
„Du? Eine Verabredung?“, lachte Jörgi.
„Dass ich nicht lache. Du hast doch höchstens eine Verabredung mit Deiner rechten Hand.“
Jörg, dieser Wichser.
„Übrigens, Sabine ist auch hier. Und die will von uns allen durchgevögelt werden. Vielleicht kommste doch lieber schnell her, dann darfst Du auch noch `mal `ran.“
Er rief ins Rauminnere nach Sabine, seiner Ex, und machte schmierige Andeutungen, die Sabine mit einem besoffenen Lachen zu quittieren schien.
„Also...“
„Jörg.“
„Ja?“
„Du bist ein Wichser.“
Er legte auf und riss das Telefonkabel aus der Wand.
In der Küche nahm er noch einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Im Flur sickerte das Wasser aus der übergelaufenen Wanne in den grauen Läufer. Egal. Was machte das schon.
Den Fön legte er in greifbarer Nähe auf den Klodeckel, dann stieg er zwischen den lauwarmen Schaum. Angenehm umschloss das Wasser seinen Körper. Er lehnte sich zurück. Eine letzte Zigarette wäre jetzt wohl angebracht, dachte er und stieg wieder aus der Wanne. Zwischen einem Dutzend leerer Bierdosen fand er endlich ein halbleeres Päckchen Billigkanaster aus dem Lidl. Er zündete sich die Zigarette an, aus der der halbe Tabak herausgebröselt war und stieg jetzt wieder in die Wanne. Tiefe karzinogene Züge färbten seine Lungen schwarz. Von den kalkkrustigen Kacheln starrten ihn gelbe Prilenten an. Dann warf er entschlossen die Kippe ins Badewasser und griff nach dem Fön. Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. Oder das Badewasser. Sein Zeigefinger betätigte den Schalter des Untergangs und – nichts. Nichts geschah, kein Summen ertönte, kein Vibrieren der wackeligen Plastikverschalung, nichts. Nochmal. Aus. An. Aus. An. Anausanaus. Nichts. Der Fön blieb stumm. Es gab keine elektrische Entladung, keinen Blitz, keinen Kurzschluss, der ganze Scheiß eben. Kein Nirvana, keine Höllenfahrt und kein Licht am Ende des Tunnels. Es gab keinen Tunnel. Nur er in dem erkaltenden Wasser mit dem Fön in der Hand. Auf der Wasseroberfläche schwamm die Zigarettenkippe. Die Enten guckten. Zitternd vor Erregung und barbarische Flüche ausstoßend entstieg er seinem nassen Tannennadelschaumgrab. Der Fön starb mit der Klospülung, nach eingehender Untersuchung des Sachverhalts seinerseits für Tod befunden und begraben. Scheiße! Wie immer: verdammte Scheiße! Die Unzulänglichkeiten des Lebens brachten ihn um den Verstand.
Ratlos, nass und nackt trank er ein Dosenbier vor dem Kühlschrank.
Dann kam ihm plötzlich eine Idee. Er rannte zum Schrank und suchte nach seinem Bademantel. Irgendwo musste er dort sein, das zerfledderte rattenfarbige Ungetüm von vor dem Krieg. Mit Streifen. Löchrige Socken, verschmutzte Unterwäsche, Motörhead-T-Shirts mit Sicherheitsnadeln, alles flog aus dem Schrank und durch den Raum, aber kein Bademantel. Provisorisch mit einem Handtuch geschürzt klingelte er so an der Nachbartür über den kurzen Flur. Sie machte auf, Lockenwickler im Haar, Zigarette zwischen den Fingern, verwaschener Büstenhalter und Slip.
„Oh, Herr Nachbar. Schön, dass Sie mich `mal besuchen kommen. Wir wohnen jetzt schon so lange nebeneinander“, mehrere Jahre scheinbar, „und Sie waren noch nie hier.“
„Ja, äh – ich hab´ da ein kleines Malheur im Bad und ...“
„Jetzt kommen Sie doch erst `mal, sonst holen sie sich noch einen Zug.“, sagte sie und bat ihn in ihre winzige Wohnküche an den Zwei-Personen-Tisch am gardinenlosen Fenster. Sie brachte einen Kaffee, er schaute bedrückt auf die irgendwie gemusterte Tapete. Badeschaum lief seine Schenkel herab. Sie war eigentlich ganz entzückend, seine Nachbarin, wie sie da so auf verquere Weise lasziv vor ihm stand. Er konnte ihre Schambehaarung durch den Stoff lugen sehen. Schließlich setzte auch sie sich und schlug die Beine übereinander.
Auf den Kaffee folgte ein exzellenter Rotwein im Wohnzimmer, soweit er das zu beurteilen vermochte. Er hatte immer noch sein Handtuch um.
Hinterher rauchten beide eine Zigarette. Die Sonne ging allmählich unter und sie ließen sich eine Pizza von Da Cimino kommen. Sie fragte ihn vor dem Fernseher, was er eigentlich bei ihr gewollt habe. Und er fand das ganz in Ordnung, das sein Fön immer noch defekt war.



© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

Songline (45)
(01.07.10)
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 RainerMScholz meinte dazu am 01.07.10:
Da will ich einmal etwas Positiveres schreiben - und schon ist das Seifenoper, Schaumgekröse und Waschmittelwerbung!
Songline (45) antwortete darauf am 01.07.10:
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 RainerMScholz schrieb daraufhin am 01.07.10:
Lindenstraße nehme ich an.
Songline (45) äußerte darauf am 01.07.10:
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 RainerMScholz ergänzte dazu am 01.07.10:
Soso.
Alegra (41)
(01.07.10)
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 RainerMScholz meinte dazu am 01.07.10:
Einen Zug, den Zug holen - weiß ich jetzt auch nicht genau. Aber Danke für den Kommentar. Werde ich bei Gelegenheit in irgendeiner Form verbessern.
Grüße,
R.
Alegra (41) meinte dazu am 02.07.10:
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