Tagebuch

Kurzprosa zum Thema Alleinsein

von  KayGanahl

Tagebuch schreibe ich. Ganz gern sogar! Aber ich zeige das Tagebuch keinem her - jedenfalls noch nicht. Da bin ich ganz eigen! Meine Gedanken im Tagebuch gehören immer noch mir ganz allein! Und wenn einer so unverschämt sein sollte, sie mir zu klauen, die Gedanken, dann werde ich ihm ganz schön einen erzählen! Ich liebe meine Gedanken über alles. Das Tagebuch liegt unter dem Buchentisch mit der kostspieligen Plattenverzierung, den ich auf dem Trödelmarkt für gut und gern 100 Öre gekauft habe. Es liegt in einer Wertkassette, die nicht so leicht zu knacken ist. Der Tisch ist mir ans Herz gewachsen. Meine Güte, ich liebe auch diesen Tisch! Was ich noch alles liebe, sollte ich besser nicht der Weltgemeinde der Schreiber mitteilen, besser nicht! Kürzlich habe ich, Nadja, wieder mal meine Gedanken ins Tagebuch geschrieben. Ich habe es in der Hand gehabt und verliebt angeblinzelt. Dann habe ich mit Hölleneifer los gelegt. Ganz flott habe ich zwei, drei Seiten voll gehabt. Mit meiner schnellen Handschrift schaffe ich es immer wieder, meinen letzten Schnellschreibrekord zu brechen. Gelegentlich sitzt Lurchi, mein Freund, in der Ecke meines Zimmers mit den vielen Popstar-Postern und dem rosa Kleiderschrank, um mich beim Schreiben zu fotografieren, gleichzeitig mit der Stoppuhr meine Schreibzeit zu stoppen. Klar, warum auch nicht!? Er liest ja nicht im Tagebuch. Die Gedanken, die ich kürzlich geschrieben habe, drehen sich um die Nacht, in der die Menschen leben müssen. Ich habe sie genau gesehen. Es ist eine Nacht, die ewig zu dauern scheint. Viele Menschen können sie gar nicht sehen, was ich traurig finde. Leider kann ich ihnen die Nacht, die ich sehen kann, nicht zeigen. Beweise kann ich auch nicht erbringen. Jedenfalls habe ich Stoff für mein Tagebuch. Es wird voll und voller.
Letztlich schreibe ich auch, wie so viele, in der Hoffnung, dass meine Gedanken irgendwann jemand lesen wird. Dieser soll sie dann so lieben wie ich! Lurchi könnte es sein. Lurchi hat ein paar Freunde, die vielleicht Interesse daran haben könnten ... die Öffentlichkeit eventuell auch. Es könnte sein.
Vielleicht wird keiner sie jemals lesen! Ich glaube allerdings schon, dass sie lesenswert sind. (FIKTIVER TEXT)

by Kay Ganahl
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