Nach meinem Tod
Kurzprosa zum Thema Allzu Menschliches
von KayGanahl
Ich habe einen Roman geschrieben, der unfertig auf dem Schreibtisch liegt. Die Manu-Seiten sind fein gestapelt, werden von einer Bogenlampe bestrahlt. Die Vorhänge im Schreibzimmer sind ganz zugezogen. Meine Frau könnte sich gerade in der Küche aufhalten und ein Schnitzel braten. Und meine Tochter Luise hat sich mit Sicherheit vor wenigen Minuten zur Schule aufgemacht. Der Alltag ist all-täglich, er lässt sich nicht leicht verändern - Eingefahrenes bleibt und bleibt und bleibt. Klar: Mein Roman ist mir immer noch wichtig! Noch im Rückblick empfinde ich einen gewissen Stolz, das darf ich sagen. Aber ob der Roman, unfertig wie er ist, veröffentlicht werden wird? Da ich kein berühmter Schriftsteller bin, wird ein Fragment nicht gut beim Leser ankommen, vermute ich. Ich hoffe trotzdem sehr, dass die baldige Veröffentlichung erfolgt. Soll mein Verleger sich sputen - ich verlange es! Leider kann ich ihm derzeit keine guten Ratschläge mehr erteilen oder ihn unter Druck setzen. Mir ist nicht danach. Wahrlich, ich bin in einer außergewöhnlichen Lage, da ich nicht mehr bin. Nicht mehr bin? Nun ja, so einfach ist das. Das ist eine Tatsache: Heute habe ich meinen letzten Atemzug getan, ich glaube, dass ich im Augenblick jemand bin, den man als tot bezeichnen könnte. Oder? Ich horche in mich hinein: aha! So ist das! Ich bin auf dem Weg. Das ist mir jetzt klar, jeder Zweifel kann ausgeschlossen werden. Mein Weg führt mich von der Erde fort, jedenfalls von ihrer Oberfläche mit Wald, Haus und Berg. Mein letzter Atemzug hat mir keinen Spaß mehr gemacht, überhaupt waren die letzten Monate nur noch anstrengend. Die Krankheit hat mich langsam aufgefressen. Ich habe mich nur noch gefragt, wie lange es dauert! Schade, dass ich nicht einen Sekundentod habe sterben dürfen. Das lässt mich ständig grübeln - mein Grummeln sollen die anderen hier aber nicht mitkriegen! Die nicht! Momentan befinde ich mich auf dem Weg "Nirgends", wo meine Zeit als Schriftsteller und Hobby-Blütenmacher nicht sonderlich gefragt sein dürfte, weshalb ich weder praktische Anleitungen, Berichte noch Dichtungen darbieten werde. Bislang hat mich auch keiner nach dieser Dienstleistung gefragt. Gern würde ich bald ein paar Märchen erzählen, doch die Herren, die hier das Sagen haben, zeigen in meiner Gegenwart wirklich nur ganz offen Desinteresse. Meine schönen Jahre als Blütenmacher werde ich immer in Erinnerung behalten, egal wo ich mich aufhalte. Im Himmel. In der Hölle. Im Zwischenreich. Oder: keine Ahnung wo! Im Grunde muss mir alles gleichgültig sein. Meine Zeit auf Erden ist jedenfalls vorbei, da gibt es keinen Zweifel. Die Schande, die ich allen mit meinem "Vorhandensein als Erdenbürger" bereitet haben könnte, macht mir schon ein bisschen Sorge. Hier, wo ich mich gerade aufhalte, braucht es eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, um durch die Sphären zu kommen, die von bösen Geistern nur so wimmeln. Die habe ich nicht nötig! Ich könnte sie alle umbringen! Aber derartiges lässt sich hier nicht durchführen. Vielleicht werde ich meine Tätigkeit als erfolgloser Schriftsteller wieder aufnehmen. Da habe ich meinen seelischen Ausgleich, der mich wenigstens in mich hinein führt und wieder aus mir heraus führt. Ich liebe diese Tätigkeit.
by Kay Ganahl
Copyright by Kay Ganahl
All rights reserved.
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