D-Dur („Goodbye-Journey“)

Persiflage zum Thema Philosophie

von  theatralisch

Introduktion (Musik).

Es ist unvereinbar, also inkonsequent, auf welche Weise ich in mich selbst versunken bin. Das erinnert mich an potentiell tödliche Glücksspiele, die mit einem Revolver gespielt werden.

Ich würde mit einer ebensolchen Inkonsequenz spielen; mit einer Inkonsequenz, die zweifelsohne nicht mit dem Leben vereinbar ist. Denn wer lebt und auch allem „Guten“ und „Schönen“ zum Trotze in den Tod gehen will, lässt sich ungeachtet der potentiellen Letalität nicht zu einem derartigen Spiel hinreißen. Nur ein Mensch, der zu viel Potenzial in sich birgt - ein viel zu hohes Maß an Wertigkeit, auch im chemischen Kontext der Elektrodenkonfiguration zu betrachten - lässt sich „im Tode“ feiern: Wer also gewinnt, der verliert. Gleiches Maß, gleicher Kontext. Höhere Philosophie, höhere Macht (siehe Potenzial).

Indes uns die höhere Psychologie hier sagt: Mit Kompensation (Psychologie) meint man  den Ersatz oder Ausgleich von real vorhandenen oder vermeintlichen Mängeln durch andere Fähigkeiten.

Die Imagination hingegen bezwingt die Kraft der Einbildung und transformiert in hypnotische Trance, als diese von nun an Gefahr läuft, sich in Form einer Explosion über des Menschen Kopfes zu entladen.

Ouvertüre (Musik).

Was der Darsteller der Kunst, sich selbst zu hintergehen, indem er kompensiert, also sich einen Ausgleich mittels fremder Mächte schafft, hiermit sagen will, ist zu komplementieren.

Der darstellende Künstler findet es des Morgens schaurig, sich seiner Gestalt bewusst zu werden. Berührungen, die auch nur von der rein zufälligen Bewegung der eigenen Hand, die daraufhin das Gesicht streift, herrühren, entfesseln diabolische Lügen, folglich: Wahrheiten. Die Wahrheit besagt etwa, dass sie gleichermaßen eine Lüge ist. Der Augenblick geht über die persönliche Vorstellung, die Kutis platze eben nicht wie eine Kirsche bei Regen, hinaus. Die Vorstellung ist, wie hier bereits kundgetan, längst keine konventionelle Vorstellung mehr. Menschen bedienen sich ihrer Fantasie: Den Einen fällt das schwer, den Anderen fällt das weniger schwer.

Aristoteles verstand unter phantasia die Vorstellung als Nachwirkung der Wahrnehmung, die auch ohne Wahrnehmung auftritt. Die Stoiker und Epikureer unterschieden zwischen phantasia und phantasma (Trugbild).


Derjenige also, der nicht mehr dazu befähigt ist, die Fantasie von der Wirklichkeit zu differenzieren,
wird sich eines Tages unwiderruflich selbst negieren.

Auch ist es so, dass ebendieser Mensch über zu wenig Selbstbeherrschung verfügt
und die fehlende Gelassenheit ihn deshalb um die pot. Weisheit betrügt.

Das Maß seiner Strafe beträgt hier mitnichten dessen ganzes Leben,
nein, hier stellt sich ihm noch nicht einmal die universelle Frage nach dem „Fluch oder Segen?“.

Als ginge er am Ende sich selbst verneinend in den Tod hinein,
so scheint es; und als behielte er sodann nichts mehr Fantastisches im Gedächtnis, jedoch hierfür „hohe“ Pein.



Präludium (Musik).


So auch das Präludium in D-Dur. Reprise: So schön die darstellende Kunst auch ist - ein sonders schönes Ereignis kann den Menschen ebenfalls dazu aufrufen, sich tödlich zu verletzen. Er liegt nun nicht mehr im Graben (vergänglich) und berührt auch nicht mehr die Stirn als Reflex zur Linderung bei subfebriler Temperatur. Er kommt nicht umhin, sich gleichermaßen Hass und Liebe entgegenzubringen. Die Spannung wurde überschritten. Ein Gedanke birgt einen nächsten und der wiederum einen übernächsten. Warten auf nichts als Leben. Nicht warten auf: den Tod.

Denn „im Tod“ erlegt sich der Mensch selbst auf (Negativismen), alles dafür zu tun, um sich am endgültigen Ende, in einer Verweigungerungshaltung zu manifestieren. Glaubt also einer, der sich nach den besagten Negativismen richtet, ausschließlich an „das Gute“ oder an „das Böse“ oder aber sieht er überhaupt etwas Gutes oder Böses, dann sieht er sich zwangsläufig irgendwann nicht nur in der Ausweglosigkeit seiner Verweigerungshaltung festgezurrt, sondern auch „im Tod.“

In anderen Worten: Er will sterben um des Todes willen. Doch Leben ist: um des Todes willen. Diese fehlende oder falsche Erkenntnis bringt Menschen dazu, sich für Freitod zu entscheiden - ein Wort übrigens, das Jean Améry gerne anstelle eines anderen verwendet hat und das ich ebenso für recht treffend halte. Améry schreibt übrigens auch: „Der Freitod ist ein Privileg des Humanen“. Wer sich also dieses Recht herausnimmt, ist genauso gescheit, sich den Strick, der ihm im Falle der Freitodhandlung zum Nutzen gereiche, ungefähr tausendmal aufs Neue auszusuchen, wegzulegen, wieder hervorzukramen usw. - alles gezielt.

Freitod ist sinngemäß weniger plausibel oder unnatürlich als der „natürliche Tod“.

Hiervon (Kontext/Kategorie „Sterben“) kommt auch mein Hang, alles auf Null reduzieren zu wollen.

Mutter würde sagen: „Das ist infantil!“ (Oder vielmehr: „Das ist dummes Gerede!“) Phsychotherapeut würde sagen: „Das ist depressiv.“ (Oder eher: „Ich diagnostiziere eine mittelschwere Depression.“)

Ich sage: Der affektiven Störung eines Menschen, der nicht auf einmal von Bauchschmerzen geplagt (somatisierte Depression) wenig später darauf hingewiesen wird, dass seine Depression mit dem unter anderem die Temperatur oder den Appetit regulierenden Hormon Serotonin und dem Vulnerabilitäts-Stress-Model, als Paradigma der klinischen Psychologie, in unmittelbarem Zusammenhang steht, liegt eine sog. Selbstoffenbarung (auch Vier-Seiten-Modell von Schulz von Thun) zugrunde. Hier sieht der Mensch, was er von sich selbst kundtun will. Geschieht dies jedoch nur in Folge eines Handgemenges, eines Erdbebens oder anderer (Natur-)Katastrophen, läuft der Mensch alsbald Gefahr, sich eher unfrei für etwas, was am Ende die Letalität bedeutet, zu entscheiden.

So ist es mit dem Bewusstsein, mit allen Affekten: Geht etwas einmal darüber hinaus - vielleicht als eine Art bodenlose Existenzgründung - geht man selbst ebenso darüber hinaus; das bedeutet, dem Ich-Bewusstsein obliegt nun die Aufgabe, sich selbst zu „entwenden“ oder „dazubehalten“. Man geht also nicht mehr länger nur „mit dem Tod“, man geht „in den Tod“ - als Konsequenz der fundamentalen Selbstbetrachtung „im Tod“.


Anmerkung von theatralisch:

Therefore it is up to you (them, everybody).

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (30.12.11)
Auffällig: Introduktion, Ouvertüre, Präludium - es geht über den Beginn nicht hinaus, OBWOHL der ganze Text vom Ende redet.
So gut diese Strukturidee ist, so wenig klar ist aber der Text, egal ob man ihn als philosophierende Prosa liest oder als einen irgendwie poetischen Versuch. (Da gab es viele andere, gelungene Prosastücke von dir, und nicht umsonst nahm ich dich in die Sammlung meiner Kolumnen, BILDSCHIRMGEDICHTE, auf.)
Jean Amérys Text "Hand an sich legen" ist die Hintergrundfolie der ziemlich wirr sich entfaltenden Gedanken. Mir wird nicht klar, was er besagt. Anklage gegen ein Leben, das sich nicht lohnt, oder Selbstanklage, weil Leben nicht richtig geht.
Zum Glück ist hier das Lebensproblem nicht so systematisiert wie in Hermann Burgers Tractatus logico--suicidalis, insofern lassen sich die Zweifel und Selbstzweifel auch wieder zurücknehmen.
Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr! Herzlichst: Uli
(Kommentar korrigiert am 30.12.2011)

 theatralisch meinte dazu am 30.12.11:
Du hast hierzu ganz offensichtlich klare Gedanken; das wiederum schließt auf fest umrissene Vorstellungen. Das finde ich beinahe bemerkenswert; also dass du einem derartigen Text "folgen" kannst.
Ich hingegen bin voller Urmisstrauen.

Mir steht im Weg, dass ich (wie hier im Text erwähnt und wohl auch einer der Grundgedanken, so reduzierte ich auf ein paar wenige Sätze) nicht mehr differenzieren kann. Das heißt, ich schaffe es nicht, etwas zu koordinieren oder unentwegt ähnliche Gedanken zu verfolgen, wie bspw: "Ich liebe meine Mutter." Oder: "Ich gehe nicht allzu gerne arbeiten, aber es ist okay."
Nein, ich kann nicht einmal sagen, was ich gerne esse oder ob es sich zu leben lohnt.

Politisch gesehen bin ich ein Extremist.
Menschlich gesehen: kein Mensch.

Es stimmt, der Text geht nicht über den Beginn hinaus, obschon er vom Ende redet. Er erzählt zu Beginn vom "Russisch Roulette", dieses würde ich mit einer ebensolchen Inkonsequenz "spielen" wie ich mit mir selbst umgehe, also: inkonsequent; ich handle ohne Muster, Moral und Mut.
Hierzu ein Zitat: "Nur ein Mensch, der zu viel Potenzial in sich birgt ...lässt sich „im Tode“ feiern: Wer also gewinnt, der verliert."
Genauer: Nur ein Mensch, der sich selbst nicht "feiern" kann, stirbt. Das muss ein sonders reflektierter, jedoch dahingegen wenig lebendiger Mensch sein. Nur als "Grenzgänger" impulsiv.

Des Weiteren (bis zur Ouvertüre) sage ich, dass Menschen viel kompensieren.

"Die Imagination hingegen bezwingt die Kraft der Einbildung und transformiert in hypnotische Trance, als diese von nun an Gefahr läuft, sich in Form einer Explosion über des Menschen Kopfes zu entladen."

Hiermit will ich sagen: Die Vorstellung oder Fantasie eines Menschen ist lange "zweckentfremdet"; jemand hat schlichtweg keine Empfindungen mehr, die mit Fantasie einhergingen - er trauert auch nicht mehr, denn Trauer ist die Illusion, in der dem Menschen die Vorstellung, sich einmal entwöhnt zu haben, nicht gelingt. Jemand, dessen Fantasie (Imagination) hingegen in eine Art hypnotische Trance übergegangen ist, weiß, dass Trauer mit dieser Illusion behaftet ist.
Ich zum Beispiel. All diese Begebenheiten habe ich an mir selbst beobachtet. Aufgrund eines Ablebens kann ich keine einzige Träne vergießen.

Ouvertüre. Hier schreibe ich, dass es schauderhaft sein kann, sich seiner Gestalt bewusst zu werden. Es ist "ernüchternd" (in der Sucht): Die Haut platzt wie eine Kirsche bei Regen, bestimmt!, sagt er, und berührt sich nicht.

Dann spreche ich konkret über die Fantasie. In wenigen Worten sage ich: Die fehlende Fantasie macht all das. Per Definition kann ich sagen, dass ich die Logik der Stoiker umkehre; und wer nicht mehr zwischen Fantasie und Wirklichkeit differenzieren kann, muss sich eines Tages eben unwiderruflich selbst negieren. Er kann nicht mehr reflektieren, weil jeder Gedanke einen weiteren und einen weiteren in sich birgt.
Fantasie weg, dafür Schmerz da.

Präludium. Hier sage ich, dass es nicht zwingend nötig ist, aufgrund eines schrecklichen Ereignisses Freitod zu favorisieren. Es können auch die auffallend schönen Ereignisse sein. Siehe Flashback: Immer dann, wenn der Mensch sich besonders gut fühlt.
All diese sog. Spannungen, die hier überschritten werden (eine Spannung alleine ist schon recht unangenehm), führen dazu, dass die Person sich irgendwann nicht mehr "im Leben", sondern "im Tod" sieht.

Ein solcher Mensch will sterben "um des Todes willen". Jedoch ist Leben ebenso: um des Todes willen. Deshalb (falsche Erkenntnis) entscheidet sich der Mensch für Freitod. Er verkennt Tod und Leben.

Also warum bringt der Mensch sich um: Weil er es nicht besser weiß. Es ist ein Indiz für seine Unkenntnis. Warum hadert er also, warum nimmt er den Strick immer wieder zur Hand, legt ihn weg - alles gezielt?
Deshalb komme ich zu dem Schluss, dass ich Freitod für eine natürlichere Variante, in den Tod zu gehen, halte als von mir aus "Tod durch Krebs".

Deshalb (und nun folgt die Konklusion) reduzierte ich schon immer (immer) alles auf Null (Wertigkeit). Ich wollte nicht schlafen, nicht essen, nicht arbeiten. Begegnungen beruhen immerzu auf Zufällen. Selbst Ehen, die bereits 20 Jahre andauern. Immerzu sehe ich in den Spiegel und vermute den Zufall eines Messers, welches mir in Kürze im Rücken steckt.
Kurzum: Ich glaube nicht an Grausamkeit (oder das Gegenteil), sondern an Zufälle. Für mich ist das Leben nicht schön oder nur schlecht, sondern: ein Zufall.

Weiter sage ich, dass der Depression eine Selbstoffenbarung zugrunde liegt (DER Depression, eines Menschen, DER nicht über anderweitige Risiken oder Ursachen für die Entstehung seiner Erkrankung aufgeklärt wurde). Der Mensch treibt sich also selbst in die Depression, denn an dieser Stelle (am Beginn einer Depression) entscheidet er, "was er von sich selbst kundtun will". Geschieht dies aber nur in Zeiten der Bedrohung (schlimme Ereignisse), dann sieht er sich irgendwann dazu gezwungen (infolge der Depression), sich eher "unfrei" für die Freitodhandlung zu entscheiden.

Man geht also "darüber hinaus" (extreme Handlungen), das Ich-Bewusstsein ist äußerst oberflächlich, man geht nicht mehr länger nur "mit dem Tod" (denn man geht immer "mit dem Tod"), sondern "in den Tod". Aber JETZT, weil man nur noch dazu befähigt ist, sich IM Tod zu sehen. Man sieht also banal gesagt vor lauter Tod das Leben nicht mehr.


Vielleicht eine Hilfe, es wäre wünschenswert; aber ich vermute, es ist einfach nicht jedermanns Sache, tödlich geprägt zu werden.
(Antwort korrigiert am 30.12.2011)

 Bergmann antwortete darauf am 31.12.11:
Diesem circulus vitiosus kann man durch konkretes Handeln entkommen, mit künstlerischer Arbeit, noch besser in gemeinschaftlicher Arbeit, etwa für soziale Ziele. Wenn das alles nicht hilft, dann sieht es schlecht aus. - Hab Dank für deine Selbstkommentierung eines eher nicht poetischen Textes. Das Philosophieren darin will ich nicht beanstanden. Es ist nicht mein Denken, ich stimme nur wenigen Sätzen zu. Was ich hier denke, spielt jedoch keine Rolle.
(Antwort korrigiert am 02.01.2012)

 theatralisch schrieb daraufhin am 19.03.12:
Ob es nun schlecht aussieht.

Inwiefern in sofern? (Sage ich seit gerade eben ganz gerne.)
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