Versucht sachlicher Bericht über ein belangloses Leben.

Kurzgeschichte zum Thema Außenseiter

von  TassoTuwas

N. machte nicht viel her, im Gegenteil. Klein war er, was aber sofort an ihm auffiel, war das Pockennarben zerfurchte Gesicht, dann die eingedrückte Nase. Spätestens bei seinem schmalem schiefen Mund angekommen verlor der Betrachter jegliche Lust auf weitere Blicke. So kam es, dass kaum jemand seine sanften Augen bemerkte.

Er stand am Rande das Weinfestes, auf das die zahlreichen Besucher gekommen waren, ihren Spaß zu haben. So auch die drei jungen Frauen wenige Schritte von ihm entfernt, die die Köpfe zusammen steckten, verstohlene Blicke in seine Richtung schickten und kicherten. Dann nickte die mit der zu knapp geratenen Bluse, stieß einen spitzen Schrei aus, ließ den Zeigefinger in seine Richtung fliegen und empörte sich lautstark. "He Mann, glotz nicht so auf meine Titten!"
N. begriff nicht recht, sah wie sich die Umstehenden zu ihm drehten, war erschrocken und verwirrt und stotterte schließlich, "Nein, nein, ...ein Irrtum, ...ihre Brüste interessieren mich gar nicht!", da prustete schon die Zweite, "Habt ihr gehört, ...er sagt Brüste, ...und sie interssieren ihn nicht!", und die dritte feixte, "Ist wohl schwul, der Kleine!".
Da hastete er davon, aber das Lachen haftete ihm an.

N. hatte gelernt bescheiden zu sein. Er wußte längst, nie würde er im Mittelpunkt stehen, nie würden andere einen Kreis um ihn bilden oder in seine Nähe drängen. Sein Erwartungen hatten sich beschränkt. Was ihm gut getan hätte, ein wenig Aufmerksamkeit, eine kleine Freundlichkeit. ein verständniszeigendes Lächeln, etwas, das ein winziger Schritt aus dem Abseits gewesen wäre.

Jahrelang waren die Ermittlungen um das plötzliche Verschwinden der jungen Frauen keinen Schritt voran gekommen. Dann brachte ein anonymer Hinweis auf einen Vorfall, der sich ein paar Wochen vor der offensichtlich grausamen Tat auf dem Weinfest ereignet hatte, Bewegung in die Untersuchungen, an deren Ende N. sich auf der Anklagebank wiederfand.

N. gestand nichts, er leugnete nichts, er saß da und schwieg beharrlich, während der Anklagevertreter die Beweismaschen des Indiziennetzes um ihn herum immer enger knüpfte. Als das Urteil verkündet wurde, gab es Beifall im Gerichtssaal.

Tags darauf erschienen die Zeitungen mit seinem Bild auf der ersten Seite und titelten mit Riesenlettern "Urteilsverkündung - die Bestie vom Weinfest ohne Gemütsregung", eine andere "Höchststrafe für das Monster mit den sanften Augen".

"Wir gehen in Berufung", sagte der Anwalt und schob das Formular über den Tisch. N. warf nicht einmal einen Blick darauf, schüttelte den Kopf, war ihm doch nur bestätigt worden. was er schon immer für seine Bestimmung gehalten hatte, und die hieß - lebenslänglich.
Der Anwalt zuckte mit den Schultern, "Kann ich noch irgendetwas für Sie tun?"
"Lassen Sie mir die Zeitung da", sagte N.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (22.06.13)
Paradigmatisch. Wie viele Fehlurteile kommen so zustande.
Einfühlsam und spannend erzählt.
LG
Ekki

 TassoTuwas meinte dazu am 22.06.13:
Ja, die Welt ist voll davon.
Herzlichen Dank
und LG TT
Graeculus (69) antwortete darauf am 23.06.13:
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 TassoTuwas schrieb daraufhin am 23.06.13:
Stimmt, die Geschichte hällt logischen Recherchen nicht stand!
Es wird vieles nur in den Raum gestellt.
Sind die Frauen überhaupt ermordet worden?
Ist es ein Mordfall ohne Leichen?
Kam der anonyme Hinweis vielleicht von N. selbst?
Wie ist sein Verhalten zu erklären?
Alles dieses kann der Leser für sich entscheiden.
Im Vordergrund steht die Frage: Was tun wir uns und anderen an.
LG TT
chichi† (80)
(22.06.13)
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 TassoTuwas äußerte darauf am 23.06.13:
Hallo Gerda,
was immer deine Empfindungen waren, sie waren ehrenwert!
Liebe Grüße TT
Anne (56)
(22.06.13)
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 TassoTuwas ergänzte dazu am 22.06.13:
Hallo Anne,
manchmal spricht nichts sagen Bände.
Hab Dank und
Liebe Grüße TT

 princess (23.06.13)
Versucht sachlicher Kommentar über eine nicht belanglose Geschichte: Mitunter sieht Aufmerksamkeit ganz anders aus, als man sich gewünscht hätte, dass sie denn aussehen möge. Und kein Leben ist belangloser als ein anderes. Nur: Jämmerlich ist es manchmal schon.

Bewegend.

Liebe Grüße, Ira

 TassoTuwas meinte dazu am 23.06.13:
Hallo Ira,

natürlich hast du recht, kein Leben ist belanglos!
Im Titel steck die Provokation.
Es ist die Frage, wie gehen wir miteinander um.
Durch Worte kann man Opfer werden oder Täter.

Dank und liebe Grüße
TT
LottaManguetti (59)
(24.06.13)
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 TassoTuwas meinte dazu am 24.06.13:
Liebes Lottchen,
tatsächlich hab ich das ausgebrütet als mir die Sonne aufs Hirn schien. Ich werte das als Beweis, da ist noch was
Dank auch für das "kleingedruckte"
Dir eine schöne Woche.
TT

 ViktorVanHynthersin (24.06.13)
Sind wir nicht alle zu "lebenslänglich" verurtelt worden? Die einen kürzer, die anderen länger ))))
Hynthersinige Grüße zur kurzen Geschichte
Viktor

 TassoTuwas meinte dazu am 24.06.13:
Klaro,
nur schlafen die einen im Himmelbettchen und die anderen unter der Brücke.
Bring ne Pulle Fusel mit wenn du vorbeikommst.;-))
Liebe Grüße TT

 larala (11.07.13)
Puhhh ...
Toll!

 TassoTuwas meinte dazu am 11.07.13:
Kurz, knapp, danke schön und herzlich willkommen!
LG TT

 Lluviagata (11.07.13)
Einem einmal anhaftenden Stigma entkommt man nicht, so schnell man auch läuft. Dazu ist die Welt zu oberflächlich glatt. Der Protagonist hat es für sich begriffen.

Liebe Grüße
Llu ♥
(Kommentar korrigiert am 11.07.2013)

 TassoTuwas meinte dazu am 11.07.13:
Immer daran zu denken, welche Folgen unser Tun haben kann, würde dieser Welt viel Elend ersparen.
Liebe Grüße TT

 SapphoSonne (12.07.13)
Eine gut erzählte Geschichte. Klar und schnörkellos. Sie bietet viel Stoff zum Nachdenken.
Was geben wir anderen eigentlich für ein Verständnis von sich selbst? Wann nehmen wir die Erwartungen anderer als einzige mögliche Sichtweise in unser Selbstverständnis auf?
Wunderbar geschrieben. Gefällt mir sehr.
LG Sappho

 TassoTuwas meinte dazu am 13.07.13:
Hallo Sappho,
freut mich, dass ich dich zu diesen Gedanken mitnehmen konnte.
Schönes Wochenende und
LG TT

 harzgebirgler (02.05.21)
fürs kurze steh'n im rampenlicht
nahm er auf sich echt wenig nicht.

lg
harzgebirgler

 TassoTuwas meinte dazu am 03.05.21:
Nicht jeder hat das Zeug zum Star
das ist zwar traurig aber wahr

LG TT
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