Ein Monat mit Hermann Hesse

Erzählung zum Thema Glaube

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)
Ich merkte recht schnell, dass ich nicht nur herumsitzen, Kaffee trinken und nachdenken konnte. Meine Hesse-Gesamtausgabe fiel mir ins Auge. Habe ich sie nicht immer schon mal komplett durchlesen wollen? Wäre doch jetzt eigentlich eine günstige Gelegenheit!
   Ich überflog kurz die Titel auf den Buchrücken, griff dann Unterm Rad heraus und war recht bald in die Welt des schwäbischen Musterschülers Hans Giebenrath eingetaucht.
   
Nach einigen Tagen hatte sich dann eine gewisse Tagesstruktur herausgebildet. Erst frühstückte ich, dann las ich bis zum Mittag weiter im gerade aktuellen Hesse-Buch.
   Nachmittags machte ich dann, wenn es das Wetter halbwegs zuließ, einen längeren Spaziergang in die nähere Umgebung und las danach weiter bis zum frühen Abend.
   Später am Abend dachte ich dann - bei gefälliger Hintergrundmusik - über mich und das Leben nach, bis mich irgendwann die Müdigkeit überkam und ich mich Schlafen legte.
   
Als notorischem Einzelgänger fiel mir dieses Eremitentum auf Zeit nicht sonderlich schwer. In gewisser Weise genoss ich es sogar, zumal sich die Hesselektüre als eine gute und passende Wahl erwies. Seine Romanfiguren waren oft Außenseiter auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und ihrem Platz in der Welt.
    Was mir weniger gut gefiel, war das häufige Scheitern seiner Helden und die damit verbundene Botschaft Hesses: „Erwarte nicht zu viel vom Leben. Sei bescheiden, beherrsche deine Wünsche und Sehnsüchte, und führe ein mehr oder weniger maßvolles, asketisches Leben! Dann wirst du vielleicht eines Tages ein einigermaßen zufriedener Mensch werden!"
    Ein asketisches Leben führen und dann bestenfalls am Ende ein wenig Zufriedenheit ernten?  Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich wollte ein erfülltes, glückliches Leben! Mit weniger würde ich mich nicht zufrieden geben.
    Gleichzeitig nagte aber der Zweifel an mir, ob Hesse vielleicht nicht doch recht hatte und meine Suche vergebens sein würde.Vergebens? Ich fühlte einen kleinen Anflug von Angst. Ein Leben ohne Glück? Der Gedanke war wirklich schwer zu ertragen. Ich muss es versuchen! Selbst auf die Gefahr hin, dass ich das Glück niemals finden werde!

Nach etwa vier Wochen beendete ich meine Auszeit. Sie hatte zwar zu keinem großartigen Ergebnis geführt, aber ich wusste nun, dass ich mich keineswegs mit einem normalen, langweiligen Leben zufriedengeben wollte. Ich werde mich jetzt neu ins Leben verstricken und vielleicht kommt mir ja der Zufall zu Hilfe, ermutigte ich mich selber.


Anmerkung von Bluebird:

Folge 3  meiner autobiografischen und wahren Geschichte  aus dem Jahre 1985

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 LotharAtzert (04.07.13)
Ah jetzt versteh ich was Du meinst - das Format ist wirklich gut.
Mir scheint, der Hermann hat viele von uns begeistert, damals. Zitat "Zu Johannes dem Täufer kam Hermann der Säufer."
Der moderne Begriff "Auszeit" ist philosophisch natürlich fragwürdig.
Warum nicht Hesses liebenswürdig-angestaubten Begriff "Müßiggang" beibehalten?

 Bluebird meinte dazu am 04.07.13:
Im Englischen gibt es das "Time-out" (bei manchen Ballspielen) Da wird die "Spielzeituhr" angehalten. Die Analogie ist natürlich eine "Unterbrechung" (break) beim "Spiel des Lebens". Es hinkt etwas, ich weiss.

Ich liebe das Wort "Müßiggang", habe ich mich jahrelang doch lustvoll als einen solchen "Gänger" bezeichnet. Mittlerweile sind mir an so einer Grundausrichtung aber doch erhebliche Zweifel gekommen. Ich würde mich nun eher einen "Langsam-geher" nennen -D

Nichtsdestotrotz, jener Januarmonat hatte etwas von einer "Notbremse". (Den Satz habe ich leider gestrichen, werde ich jetzt aber einfügen.) Und der Monat war nicht so vergnüglich, dass ich das Wort "Müßiggang" dafür verwenden wollte.

 Dieter Wal (04.07.13)
Gefällt mir. Dass Hesses Romane generell zu der von dir erwähnten Lebenshaltung anregen, ist mir zwar neu, aber man kann deinen Text dahingehend verstehen, dass dies eben dein persönlicher Eindruck war.
(Kommentar korrigiert am 04.07.2013)

 Bluebird antwortete darauf am 04.07.13:
Sagen wir mal so. Hesses Werke haben - meiner Ansicht nach - eine gewisse "Grundmelancholie". Und in Wikipedia fand ich jenen Satz über ihn: "und um Abstand zu gewinnen, brach Hesse mit Hans Sturzenegger 1911 zu einer großen Reise nach Ceylon und Indonesien auf. Die erhoffte spirituell-religiöse Inspiration fand er dort nicht, dennoch beeinflusste die Reise sein weiteres literarisches Werk stark " Solche buddhistisch-asketischen Tendenzen meine ich starlk gespürt zu haben, zumal ich gleichzeitig auch noch in einer Hesse-biographie gelesen hatte.

Aber ich würde im Zweifelsfalle dann deinem letzten Satz zustimmen -D
(Antwort korrigiert am 04.07.2013)

 Dieter Wal schrieb daraufhin am 05.07.13:
Der Erzähler beschreibt es autobiographisch, war ja auch keine literaturwissenschaftliche Abhandlung über Hesse. Ich glaube, Hesse selbst sog alle möglichen Dinge in sich auf und musste sie daher fast zwangsläufig auch asketisch bändigen. Wir als Normaloleser bändigen eher selten Dämonen. Ich bewundere Hesse fast wie Goethe. Besonders mag ich seine rege Anteilnahme und Kommentierung von Weltliteratur, seine Fähigkeit, luzid nach innen UND außen zu blicken, politisches Engagment bei gleichzeitiger Träumerexistenz, Liberalität und seinen universalistischen Geist.
parkfüralteprofs (57)
(04.07.13)
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 Bluebird äußerte darauf am 04.07.13:
Danke! Habe es korrigiert!

 Bluebird ergänzte dazu am 19.05.14:
 hier
(Antwort korrigiert am 19.05.2014)
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