Niedertracht

Glosse zum Thema Rache

von  loslosch

Nec quisquam tantum a naturae lege descivit et hominem exuit, ut animi causa malus sit (Seneca, um die Zeitenwende bis 65 n. Chr.; De beneficiis). Noch niemand ist so weit vom Gesetz der Natur abgerückt und hat den Menschen abgelegt, dass er absichtlich niederträchtig wäre.

So völlig abwegig ist Senecas Erwägung nicht. Man sollte die Introspektion und das Selbstverständnis niederträchtig erscheinender Mitmenschen bedenken, das von Eigeninteresse und besonderer Motivstruktur geleitet ist und ihnen innere Konsistenz und Folgerichtigkeit in ihren Handlungen signalisiert oder suggeriert. Seneca hat "De beneficiis" (Von den Wohltaten) nach seinem Rückzug von allen politischen Ämtern geschrieben. Sicherlich wusste er vom Argwohn seines einstigen geistigen Ziehsohnes, des immer noch jugendlich wirkenden, ungestümen Kaisers Nero. Daher könnten solche Niederschriften auch ein kluges Täuschungs- und Beschwichtigungsmanöver gewesen sein. Klug vor allem deswegen, weil sie nicht von vornhern als auffällig weltfremd und abwegig erkannt und somit als Ablenkungsmanöver entlarvt werden können.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (10.09.13)
(...)und hat den Menschen abgelegt(...)
Die Sache ist eigentlich sehr einfach: alles was Menschen tun ist menschlich, also auch Auschwitz oder Srebrenica, Utoya , Nogeun-ri, die Vernichtung Karthagos (ich würde mal ganz schwer annehmen, das der gute Seneca damit auch im Nachhinein keine Probleme hatte, schließlich waren das alle böse Kathager), das Morden nach dem Untergang der "Batavia", die vollkommene(sic!) Ausrottung der indigenen Bevölkerung auf den karibischen Inseln, das, was wir im 'Archipel Gulag' beschrieben finden oder einfach eine Hand, die dir hilft, wenn du gefallen bist.

"Niederträchtig" im menschlichen Sinne reicht vollkommen aus, um diese Welt in eine Hölle zu verwandeln. Da wäre er besser genauer gewesen und etwas weniger romantisch.

P.S.: Wäre es in Senecas Augen eigentlich niederträchtig, dass ein germanischer Barbar ihn zitiert?

 loslosch meinte dazu am 10.09.13:
ad p.s.: vermutlich ja! und es wäre unehrlich.

seneca war der langjährige hauslehrer von nero. und er hat dem schüler anderes gepredigt als vorgelebt. bei der vergiftung von kaiser claudius war seneca strippenzieher. der 16-jährige nero ahnte davon und freute sich auf die nachfolge. nenne mir einen kaiser, der grausamer war als nero. caligula, das stiefelchen, reichte an ihn heran.

nach der naturlehre senecas werden un-menschen aus der klasse der menschen wegdefiniert.

meine statements zu seneca unterscheiden sich von denen der gelernten altphilologen völlig. ich versuche, mich in seine (opportunistische) seelenlage hineinzuversetzen. ein großer rhetor, schlau, gerissen, heuchlerisch.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 11.09.13:
Naja, Menschen, die sich anders verhalten, einfach aus den eigenen wahrgenommenen Dunstkreis zu streichen, tja, so kann man es sich auch schön leicht machen. Frei nach dem Motto: "um mich zu verstehen, musst du einfach annehmen, dass ich recht habe..."

 EkkehartMittelberg (11.09.13)
Der mit allen philosophischen und lebenspraktischen Wassern gewaschene Seneca wusste selbstverständlich, dass es absichtliche Niedertracht gibt. Deshalb kann seine Sentenz nicht anders erklärt werden als du es tust, nämlich als ein Beschwichtigungsmanöver gegenüber Nero.

 loslosch schrieb daraufhin am 11.09.13:
im fachartikel von wiki über seneca fand ich mal den hinweis, dass seneca im frei gewählten ruhestand um sein leben besorgt war. setzt man sich diese brille auf, entdeckt man einiges in den moralepisteln. wo gibt es das: der langjährige schüler eines angesehenen philosophen entwickelt sich zu einem der grausamsten herrscher? eines ist klar: nero hatte eine solide bildung und sehr gute künstlerische anlagen.
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