In der Rückschau auf mein Leben sehe ich, wie meine Vorfahren meinen Weg prägten. Ich lebte ihre Erfahrungen aus. Mit den Genen, ihrem Verhalten und ihren Erzählungen gaben sie an mich weiter, was ich umsetzen sollte. Es war ihnen nicht bewusst, dass sie dies taten, genauso wie es mir lange Zeit nicht bewusst war, dass ich ihre Erfahrungen und Sehnsüchte lebte. Obwohl ich dachte, ich führte mein individuelles Leben und lebte ausschließlich meine Ideen aus, erkenne ich im Nachhinein, dass dies nur insofern mein Leben war, wie ich als Teil der Familie meinen Platz einnahm.
Der Hunger meiner Mutter und Großmutter während der Kriegszeit, die Zwänge zweier totalitärer Systeme, die verhinderten, dass mein Vater sein Leben selbst wählen und gestalten konnte, der Überlebenskampf meiner Vorfahren, ihre Todesängste während der Weltkriege ließen mich in den Wald gehen. Dort konnte ich mich verstecken vor dem, was meine Eltern und Großeltern bedroht hatte. Der Garten schützte mich vor Hunger, die Einsamkeit davor, Befehle anderer ausführen zu müssen und der Aufenthalt in der Wildnis bot alle Möglichkeiten, meine eigenen Vorstellungen umzusetzen.
Das Überleben meiner Eltern wurde durch eine Gesellschaft gefährdet, in der die Verhältnisse auf dem Kopf standen. Ihre Teilhabe an der menschlichen Gesellschaft bedrohte ihre Existenz. Wenn die Gruppe aber, der du angehörst, dich bedroht, dich nicht schützt, sondern eine Gefahr für dein Leben darstellt, dann tust du gut daran, sie zu verlassen.
Du kannst ein anderes Land wählen, in eine fremde Kultur einsteigen, dich in wilder Natur niederlassen oder in die innere Emigration gehen. Meine Kinder ließen nur den Weg der äußeren Emigration zu. Ich musste insofern Teil der Gesellschaft bleiben, als ich ihnen die Möglichkeit der Wahl lassen wollte. Sie sollten die Schule besuchen, um später selber darüber entscheiden zu können, wo und wie sie leben wollten.
Mit allem, was wir tun, verändern wir uns. Indem wir uns selber verändern, ändern wir die Gesellschaft. Geht jeder seinen Weg zu mehr Zufriedenheit, wird die Gesellschaft zufriedener. Jede Wandlung jedoch erfolgt dort leichter, wo die Einbindungen in der Gruppe lockerer sind. Um Änderungen durchzusetzen, ist daher der Aufenthalt an den Rändern Gesellschaft hilfreich, dort, wo Regeln und festgeschriebene Ordnungen weniger gegenwärtig sind.
Heute nach über zwanzig Jahren fühle ich mich, als habe ich meine Aufgabe hier getan. Ich bin frei zu gehen. Ich kann gehen wohin ich möchte oder bleiben. Das ist nicht wichtig. Auch die Hinwendung zum Inneren steht mir offen. Obwohl dieses Land mir Heimat geworden ist, fühle ich mich ihm nicht angehörig. Meine Heimat trage ich in mir. Meiner Hütte als meiner Höhle bin ich nicht verpflichtet. Sie gibt mich frei und ich sie. Von neuem beginne ich mich zu fragen, wer ich bin.
Nachdem ich die Traumen und Träume meiner Eltern lebte, bin ich zu einem guten Teil von ihnen erlöst. Was werde ich nun leben? Was befindet sich jetzt in meinem Innersten, nachdem ich durchlebte, was unerlöst durch meine Ahnen zurück blieb?
Nichts muss entschieden werden, denn das, was bearbeitet werden soll, wird sich auftun. Ganz von allein. Treffe ich keine Entscheidungen, richte ich mich nicht nach einem Ziel aus, wird die Welt auf mich zukommen. Sie wird mich auffordern, dieses oder jenes zu tun und zu lösen. Die Erde dreht sich unaufhaltsam, Zeit verrinnt und alles scheinbar fest Gefügte wandelt sich. Wenn ich mich nicht ändere, verändert sich die Welt und ich mich mit ihr.
Die stillen Wolken am Himmel ruhen vor sich hin, des Weiterziehens müde saugen sie den aufsteigenden Gesang der Vögel in sich auf. Während die Nachtigall unermüdlich ihre Arien schmettert, trällern, zwitschern und piepsen die anderen Vögel ohne den Vergleich zu scheuen. Menschen und Autos bewegen sich nicht durch die feuchte Landschaft und der Bach murmelt ohne Eile.
Seit einiger Zeit beobachte ich eine zunehmende Trägheit an mir. Manchmal widerstehe ich und raffe mich zum Tun auf, dann wieder erliege ich der Faulheit und gebe mich dem Müßiggang hin, lasse meine Sinne schweifen und sie die Schönheiten dieser Welt aufnehmen.
Es gibt nichts, was getan werden muss, ist der Friede mit sich selbst gefunden. Ich glaube nun nicht mehr, der Welt beweisen zu müssen, dass ich wertvoll und liebenswert bin, weil ich tüchtig bin. In meiner ganzen Faulheit und Untätigkeit bin ich großartig. Mitunter denke ich, ich könnte bis in alle Ewigkeit in Betrachtung der Welt sitzen bleiben und mich nie mehr regen.
Die einzigen von Menschen gemachten Geräusche sind meine eigenen. Ich gehe in den Garten, frische Blumen zu holen. Der weiche Boden gibt den Füßen nach und feuchte Erde quillt durch meine Zehen. Meine Blicke schwimmen über das Grün und tauchen in Tulpenblüten, während die Melodien der Vögel in meine Ohren tropfen.
Man kann das Glück nicht im Außen finden, da es dort nicht ist. Daher wohl erlahmt nach und nach auf natürliche Weise das Interesse am äußeren Geschehen. Ich ziehe mich in mich zurück, tauche in das eigene Zentrum, weile dort im Herzen und fühle mich vor aller Welt geborgen. Es scheinen mir die Vorzüge des Alterns zu sein. Während die äußere Mobilität sinkt, nimmt die innere zu und gewinnt an Weite und Tiefe.