Epochentypische Gedichte. Die Jahrhundertwende. Friedrich Nietzsche (1844 - 1900): Vereinsamt
Interpretation zum Thema Einsamkeit
von EkkehartMittelberg
Kommentare zu diesem Text
Ein Darstellung, die den Leser gut informiert und darum geht es ja.
Inhaltlich: Gerade bei Nietzsche habe ich immer den Eindruck, dass seine Selbstreflexion einen gewissen Grad nicht überschreitet und er sein eigenes Fühlen zu etwas Sakralem erhebt, dem er dann sein Denken unterordnet. Von daher ist er in der Tat ein Repräsentant der Neuzeit - leider.
Natürlich wäre es grober Unfug, die Massenmörder des 20. Jhd., die sich auf ihn berufen haben, ihm anzulasten. Zwar mag er Blaupausen geliefert haben, doch was diese daraus gemacht haben, waren krude Abziehbilder.
Und bei aller Ablehnung christlich-ethischen Moralvorstellungen zeigt das Gedicht doch jene Sehnsucht nach einer Heimat, die eine bürgerliche Phrase mit "Trautes Heim, Glück allein" kundtut. So sehe ich auch hier - wie bei vielen bürgerlichen Denkern/Schriftstellern/Philosophen - jenes ambivalente Gefühl, jene Hassliebe der eigenen Schicht gegenüber, aus der sie stammen und die ihnen nicht selten erst diesen Lebensweg ermöglicht hat. Gerade im 19. Jhd. hätte sich ein Arbeiterkind schwer getan, ein Nietzsche zu werden.
Inhaltlich: Gerade bei Nietzsche habe ich immer den Eindruck, dass seine Selbstreflexion einen gewissen Grad nicht überschreitet und er sein eigenes Fühlen zu etwas Sakralem erhebt, dem er dann sein Denken unterordnet. Von daher ist er in der Tat ein Repräsentant der Neuzeit - leider.
Natürlich wäre es grober Unfug, die Massenmörder des 20. Jhd., die sich auf ihn berufen haben, ihm anzulasten. Zwar mag er Blaupausen geliefert haben, doch was diese daraus gemacht haben, waren krude Abziehbilder.
Und bei aller Ablehnung christlich-ethischen Moralvorstellungen zeigt das Gedicht doch jene Sehnsucht nach einer Heimat, die eine bürgerliche Phrase mit "Trautes Heim, Glück allein" kundtut. So sehe ich auch hier - wie bei vielen bürgerlichen Denkern/Schriftstellern/Philosophen - jenes ambivalente Gefühl, jene Hassliebe der eigenen Schicht gegenüber, aus der sie stammen und die ihnen nicht selten erst diesen Lebensweg ermöglicht hat. Gerade im 19. Jhd. hätte sich ein Arbeiterkind schwer getan, ein Nietzsche zu werden.
Merci Trekan. Ich bin ein Bewunderer Nietzsches, der für mich wie kaum ein anderer deutsprachiger Philosoph in der Lage war, in poetischen Bildern zu philosophieren. Deshalb bin ich zu befangen, mich zu seinem Fühlen, das er aus deiner Sicht "zu etwas Sakralem erhebt", kritisch zu äußern.
"Und bei aller Ablehnung christlich-ethischen Moralvorstellungen zeigt das Gedicht doch jene Sehnsucht nach einer Heimat, die eine bürgerliche Phrase mit "Trautes Heim, Glück allein" kundtut. So sehe ich auch hier - wie bei vielen bürgerlichen Denkern/Schriftstellern/Philosophen - jenes ambivalente Gefühl, jene Hassliebe der eigenen Schicht gegenüber, aus der sie stammen und die ihnen nicht selten erst diesen Lebensweg ermöglicht hat. Gerade im 19. Jhd. hätte sich ein Arbeiterkind schwer getan, ein Nietzsche zu werden."
Es ist richtig, dass Nietzsche durch seine frühe Professur in Basel mit 24 jahren schon früh finanziell relativ unabhängig war. Das mag dazu beigetragen haben, dass er seine eigene Schicht kritischer sehen konnte als viele andere bürgerliche Philosophen und Literaten seiner Zeit. Ja, ein Arbeiterkind des 19. Jahrhunderts hätte wohl kaum ein Nietzsche werden können. Der privilegierte Besuch des Gymnasiums Schulpforta, einer der besten Schulen der damaligen Zeit, bot ihm hervorragende Chancen für sein geisteswissenschaftliches Studium.
(Antwort korrigiert am 29.01.2015)
"Und bei aller Ablehnung christlich-ethischen Moralvorstellungen zeigt das Gedicht doch jene Sehnsucht nach einer Heimat, die eine bürgerliche Phrase mit "Trautes Heim, Glück allein" kundtut. So sehe ich auch hier - wie bei vielen bürgerlichen Denkern/Schriftstellern/Philosophen - jenes ambivalente Gefühl, jene Hassliebe der eigenen Schicht gegenüber, aus der sie stammen und die ihnen nicht selten erst diesen Lebensweg ermöglicht hat. Gerade im 19. Jhd. hätte sich ein Arbeiterkind schwer getan, ein Nietzsche zu werden."
Es ist richtig, dass Nietzsche durch seine frühe Professur in Basel mit 24 jahren schon früh finanziell relativ unabhängig war. Das mag dazu beigetragen haben, dass er seine eigene Schicht kritischer sehen konnte als viele andere bürgerliche Philosophen und Literaten seiner Zeit. Ja, ein Arbeiterkind des 19. Jahrhunderts hätte wohl kaum ein Nietzsche werden können. Der privilegierte Besuch des Gymnasiums Schulpforta, einer der besten Schulen der damaligen Zeit, bot ihm hervorragende Chancen für sein geisteswissenschaftliches Studium.
(Antwort korrigiert am 29.01.2015)
Ich kann Nietzsche auch eine ganze Menge abgewinnen. LG
Danke, Armin. Mir scheint, dass er auch in der Postmoderne seine Faszination nicht verliert.
LG
Ekki
LG
Ekki
Jack (33)
(29.01.15)
(29.01.15)
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Danke, Jack. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer
"...man wird es (erst in vollem Umfang, E.M.) verstehen können, wenn man mindestens 30 Jahre Einsamkeit hinter sich hat, und eingesehen hat, dass man mit den weiteren Jahren nur noch einsamer wird."
"...man wird es (erst in vollem Umfang, E.M.) verstehen können, wenn man mindestens 30 Jahre Einsamkeit hinter sich hat, und eingesehen hat, dass man mit den weiteren Jahren nur noch einsamer wird."
Jack (33) äußerte darauf am 29.01.15:
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Ja, ich verstehe. Es ist paradox, dass die Schilderung der Einsamkeit große Dichter verbindet.
Graeculus (69)
(29.01.15)
(29.01.15)
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Danke für diesen klugen Kommentar eines Kenners, Wolfgang. Ich habe mit deinen Kommentaren ein Problem, das dich vielleicht überraschen wird. Ich kann dir zu wenig zurück geben. Das liegt hoffentlich nicht daran, dass ich zu einfallslos bin, aber daran, dass ich fast immer mit deinen Gedanken so sehr überein stimme, dass es mir schwer fällt, eine Gegenposition zu entwickeln. Nur aus Eitelkeit möchte ich das aber nicht.
Ich bitte dich trotzdem, mir weiterhin deine Kommentare zu schicken. Vielleicht ist es für dich ja auch schön zu wissen, dass jemand deine Gedanken und Gefühle weitgehend teilt.
Ich bitte dich trotzdem, mir weiterhin deine Kommentare zu schicken. Vielleicht ist es für dich ja auch schön zu wissen, dass jemand deine Gedanken und Gefühle weitgehend teilt.
Graeculus (69) meinte dazu am 29.01.15:
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LottaManguetti (59)
(29.01.15)
(29.01.15)
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Danke, dass du hier reingeschaut hast, Lotta. Ich weiß nicht, wieweit du schon nietschesiert bist.
Für alle Fälle empfehleich dir mal: Rüdiger Safranski: Nietzsche. Eine Biografie seines Denkens. Fischer TB 2012.
Die philosophischen Zusammenhänge werden schlüssig dargelegt.
Liebe Grüße
Ekki
Für alle Fälle empfehleich dir mal: Rüdiger Safranski: Nietzsche. Eine Biografie seines Denkens. Fischer TB 2012.
Die philosophischen Zusammenhänge werden schlüssig dargelegt.
Liebe Grüße
Ekki
9miles (49) meinte dazu am 29.01.15:
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Ich habe es mir gerade, gesprochen von Gece Sarkisi, bei You Tube angehört. Beeindruckend.
Das beschriebene Gedicht hat mich beim Lesen schon immer gefesselt und Dein Beitrag hat sehr zum besseren Verständnis desselben beigetragen, wiewohl ich es rein gefühlsmäßig auch in diese Richtung gedeutet habe. Für die Erhellung der Sachverhalte danke ich Dir.
LG Peer
LG Peer
Für solch einen Kommentar lohnt sich die Mühe der Interpretation.
Danke, Peer
LG
Ekki
Danke, Peer
LG
Ekki
Lehrreich und sehr gut dargelegt, Ekki.
Kommt meiner Liebe zu Nietzsche entgegen.
Lieben Gruß zu dir, Su
Kommt meiner Liebe zu Nietzsche entgegen.
Lieben Gruß zu dir, Su
Merci, Susi, ich freue mich, dass dir als Kennerin Nietzsches die Interpretation gefällt.
Liebe Grüße
Ekki
Liebe Grüße
Ekki
wa Bash (47)
(30.01.15)
(30.01.15)
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Danke. Was hältst du von der Interpretation?
LG
Ekki
LG
Ekki
wa Bash (47) meinte dazu am 31.01.15:
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Finde es schade, dass du Wikipedia in einem solchen Text zitierst, falls das Zitat nicht von dir selbst geschrieben worden sein sollte.
Deine Interpretation eines meiner N.-Lieblingsgedichte steht auf festen Füßen. Sie dürfte mit anderen Interpretationen die Aufrufe von kV-Seiten sprunghaft ansteigen lassen.
(Kommentar korrigiert am 31.01.2015)
Deine Interpretation eines meiner N.-Lieblingsgedichte steht auf festen Füßen. Sie dürfte mit anderen Interpretationen die Aufrufe von kV-Seiten sprunghaft ansteigen lassen.
(Kommentar korrigiert am 31.01.2015)
Merci, Dieter,ich werde demnächst Wikipedi nur dann zitieren, wenn ich es selbst nicht besser ausdrücken kann.
Als Nietzsche-Freund, der in ihm einige verdeckt-spirituelle Ansätze sieht, möchte ich gerne zum obigen Gedicht Ergänzendes sagen: Der Titel spricht für mich auch den "vereinsamten Teil in uns allen " an, im Einzelfall müsste man sagen: Den Teil, dem diese zumindest drohen könnte. -Mit "Heimat" meint er wohl "Geborgenheit, Sinn und Wärme" - daher eignet sich der Winter als Kontrastbegriff so gut. -Die Fluchtversuche des Einzelnen in das anonyme Spaß-Gewirr der Städte erlebt er als zwecklos. So kommt es immer wieder zum frustrierten "Weiterwandern-Müssen". Doch immer wieder droht die "Dürre der Wüste". Für Nietzsche weniger der Ort eines spirituellen Endkampfes -wie für Jesus- sondern nur eine neue Metapher für ein Gebiet, in der nichts wächst, auch keine Heimat. Bei all den Niederlagen deutet er an, dass die Situation wieder einen neuen Ausweg versucht: Die Satire! ("Hohn") So wird der Winter alles in Weiß zudecken, die Probleme der Sinnfindung auch und das verzweifelte Spiel könnte nach einem schrecklichen Winter auch im Frühling nur Scheinlösungen des Heimat-Findens bereithalten.
Merci für deine Ergänzungen, HerzDenker, die Nietzsche adäquat sind. Sie gefallen mir sehr.
Ekki
Ekki
Danke, lieber Ekki! Es würde mich freuen, wenn wir auch über meine Deutungen einiger Texte von Paul Celan ins Gespräch kommen könnten.
Ähm ... nun ja ... du zitierst nur das halbe Gedicht, das Gedicht hat einen zweiten Teil, eine Antwort. Da wird sehr deutlich, dass Nietzsche hier von Deutschland spricht (er war staatenlos) Nietzsches Beziehung zu Deutschland füllt Bücher ... nun gut - aber man sollte ein Gedicht schon vollständig zitieren, wenn man es interpretiert
II. Antwort
Dass Gott erbarm!
Der meint, ich sehnte mich zurück
ins deutsche Warm,
ins dumpfe deutsche Stuben-Glück!
Mein Freund, was hier
mich hemmt und hält ist dein Verstand,
Mitleid mit dir!
Mitleid mit deutschem Quer-Verstand!
II. Antwort
Dass Gott erbarm!
Der meint, ich sehnte mich zurück
ins deutsche Warm,
ins dumpfe deutsche Stuben-Glück!
Mein Freund, was hier
mich hemmt und hält ist dein Verstand,
Mitleid mit dir!
Mitleid mit deutschem Quer-Verstand!
Lieber Nadir,
vielen Dank, prinzipiell hast du recht. Aber warum zitieren namhafte Anthologien das Gedicht ohne die Antwort? Ich vermute, dass diese Antwort das obige Gedicht einengt,
Deshalb haben wohl manche Herausgeber bewusst gegen ihr philologisches Gewissen verstoßen..
Ekki
vielen Dank, prinzipiell hast du recht. Aber warum zitieren namhafte Anthologien das Gedicht ohne die Antwort? Ich vermute, dass diese Antwort das obige Gedicht einengt,
Deshalb haben wohl manche Herausgeber bewusst gegen ihr philologisches Gewissen verstoßen..
Ekki
Lieber Nadir, ich bin etwas verwundert, dass Du Nietzsches Beziehung zu Deutschland als so zentral hervorhebst! Ist sie nicht ein kleiner Nebenarm seines noch elementareren Fragens nach Wahrheit, nach dem Wert des Christentums auf dem Hintergrund?
Lieber Ekki,
leider ist mir deine Interpretation dieses wohl unsterblichen Gedichts erst jetzt unter die Augen gekommen.
Mein Applaus ist dir schon mal sicher!
Du arbeitest den Kontrast von "Heimat" und "Welt" geschickt heraus, wobei es sicherlich keine große Rolle spielt, ob letztere grundsätzlich als feindselig empfunden wird.
Im Gegensatz zu nadir empfinde ich übrigens den Teil II (Nietzsches Antwort) nicht als eine Art Rücknahme, sondern als Ergänzung des Vorherigen.
Denn ist es nicht gerade das sog. Stubenglück, die gleichsam urdeutsche Gemüts- und Rührseligkeit nach der sich viele (selbst Nietzsche) insgeheim zurücksehnen?
Haben sich nicht auch zuweilen vertriebene deutsche Juden dahingehend geäußert?
Mag diese Gefühlsbetonung durchaus in Teilen verlogen sein - sie ist doch vorhanden als ein Glaube an die kindliche Wahrheit des Narren.
Kann sein, dass Nietzsche u. a. an diesem Widerspruch zerbrochen, bzw. ver-rückt geworden ist.
Vielen, vielen Dank für diesen Beitrag
Piccola (beeindruckt)
leider ist mir deine Interpretation dieses wohl unsterblichen Gedichts erst jetzt unter die Augen gekommen.
Mein Applaus ist dir schon mal sicher!
Du arbeitest den Kontrast von "Heimat" und "Welt" geschickt heraus, wobei es sicherlich keine große Rolle spielt, ob letztere grundsätzlich als feindselig empfunden wird.
Im Gegensatz zu nadir empfinde ich übrigens den Teil II (Nietzsches Antwort) nicht als eine Art Rücknahme, sondern als Ergänzung des Vorherigen.
Denn ist es nicht gerade das sog. Stubenglück, die gleichsam urdeutsche Gemüts- und Rührseligkeit nach der sich viele (selbst Nietzsche) insgeheim zurücksehnen?
Haben sich nicht auch zuweilen vertriebene deutsche Juden dahingehend geäußert?
Mag diese Gefühlsbetonung durchaus in Teilen verlogen sein - sie ist doch vorhanden als ein Glaube an die kindliche Wahrheit des Narren.
Kann sein, dass Nietzsche u. a. an diesem Widerspruch zerbrochen, bzw. ver-rückt geworden ist.
Vielen, vielen Dank für diesen Beitrag
Piccola (beeindruckt)
Liebe Piccola, danke für den Nachweis, dass "Antwort" nicht als Rücknahme, sondern als Ergänzung von "Vereinsamt"zu verstehen ist.
LG
Ekki
LG
Ekki