Völlig entspannt und erholt nach dem Urlaub erreichte Schlenski an einem Montagmorgen sein Büro in der Erwartung, zunächst die Post zu bearbeiten, mit den Kollegen zu quasseln und sich irgend sonst gearteten Ärger möglichst weit vom Hals zu halten. Schlenski hatte gerade einmal einen Kaffee geholt und den PC aus seinem Ledergefängnis befreit, als die Abteilungssekretärin ganz aufgeregt ins Zimmer gestürmt kommt, wenn man sich ungefähr vorstellen kann, was 'stürmen' einer Abteilungssekretärin an einem Montagmorgen bedeutet. Also das hatte ich ja noch nie, meinte sie zu Schlenski, ich kann mich nicht erinnern, dass wir Geschäftsbeziehungen nach Island unterhalten würden. Aber Du musst ja wissen, mit wem Du hier mal wieder Proben austauschst!
Nach einigen atemlosen und halb vorwurfsvollen, halb neugierigen Versuchen ihr Anliegen vorzubringen, stellte sich heraus, dass Schlenski wohl ein Paket aus Island zu bekommen hätte. Da dies aber nicht deklariert sei und keinerlei Frachtpapiere zu seiner Begleitung vorhanden wären, läge das Paket nun beim Hauptzollamt, das zumindest legte die Aufforderung nahe, nach der er eine Lieferung von außerhalb der EU in Empfang nehmen und gegebenenfalls verzollen sollte.
Schlenski, seinerseits, hatte nicht die Spur einer Ahnung, wer ihm irgend etwas aus Island schicken sollte. Soweit seine, im höheren Alter vielleicht bereits schwindenden Erinnerungen hergaben, hatte er im ganzen Leben noch keinen Isländer getroffen, unterhielt weder geschäftliche oder sonstige Beziehungen dahin, hat niemandem seine Geschäftsadresse nach Island gegeben oder kenne noch nicht einmal jemanden, der in Island wohnte oder dorthin gereist wäre.
So machte er sich selbst, höchst neugierig ob dieses kuriosen Umstandes einer Islandlieferung, auf den Weg zum Hauptzollamt. Entsprechend der Adresse fütterte Schlenski sein Navi mit Postleitzahl, Strasse und Hausnummer und harrte der Dinge die da kommen sollten. Er stellte sich nicht etwa nur ein einfaches 'Zollamt' vor, nein, eben ein 'Hauptzollamt', das entsprechend seiner Bedeutung auch mit einer entsprechenden behördlichen Prominenz und Aura umgeben sein sollte.
Etwas ungläubig teilte ihm die Stimme aus dem Navi mit, er hätte das Ziel erreicht. Eine kurze telefonische Rücksprache mit der Sekretärin bestätigte, dass weder er sich verfahren, noch sein seniles Navi ihm einen Streich gespielt hatte. Er stand vor einem grauen zweigeschossigen Gebäude aus den 70erjahren in Plattenbauweise. Erst an der Tür hinter der fünfstufigen Waschbetontreppe im Hochparterre empfing ihn ein mittlerweile vergrautes Kunststoffschild mit der Aufschrift 'Hauptzollamt'.
Da es weder einen Empfang noch sonst irgendwelche Anzeichen menschlichen Lebens im unteren Flur gab, nahm Schlenski die Treppe ins Obergeschoss, aus welchem ab dem halben Absatz zumindest Stimmen zu hören waren. Einige der Zimmer standen offen, in welchen Amtspersonen in ähnlicher Farbe wie das Schild 'Hauptzollamt' mit Menschen parlierten, die zumeist Gebrauchtwagen aus Osteuropa versuchten einzuführen. Wie er den Gesprächen durch die offenen Türen entnehmen konnte, hatte die klügere Hälfte der Klienten vor, ein Auto einzuführen und wollte Formulare, die weniger begabte Hälfte stritt, wie ihm akkustisch schien, dicht an der Schwelle zur körperlichen Gewalt, mit den Beamten, das eingeführte Fahrzeug zuzulassen, da es sich ja seit der Zarenzeit in Familienbesitz befindet. Meist 190er, C-Klassen oder Corollas.
Nichts von alledem brachte Schlenski jedoch seinem Anliegen der Paketabholung nur ein Stück näher. Er durchschritt also den Flur bis er im letzten Zimmer eine Beamtin fand, die nicht mit dem Kopf in Formularvorratsbehälterregistern steckte oder nach ihrer Waffe fingerte. Schlenski sprach also die betreffende Person an, worauf hin diese ihm in breitester leipzigerisch-sächsischer Mundart mitteilte, "Da musschemal in där Kisde fer 'I' nachgugng. So viele Bagete aus ärchend em Land mid än 'I' vornedran gibds scha nu och nich, niwar?".
Was immer ihm die Dame sagen wollte, Schlenski ließ sie gewähren. Nach etwa 10 Minuten kam sie aus dem Nachbarzimmer wieder und fluchte in der ihr gegebenen Mundart weiter, "Das machng die Dreggsägge extra um mich uff de Balme zu bring, die Dreggsägge vun Dähoel. Ledsdns hadde mir eener ä Bäggl inde Hand gedriggt, uff däm Amäriga stand und welsches isch dann ooch noch zu bäarbeidn hadde. Nacherdst dad sich raussdelln, das Bäggl war aus den Gaff Ameriga bei Benich an dor Mulde".
Also sprach die Beamtin und überreichte ihm ein Paket. Aus Italien. Also aus der EU und also auch nicht zu verzollen. Eine Kollegin, die vor einigen Wochen in der Firma zu Gast war, hatte Schlenski aus Modena die von Ihrer Tante selbst gemachten Salsicce-Würstchen geschickt. Diese lagen nun seit 4 Wochen bei ca. 40 Grad im 'Hauptzollamt', im Islandfach (welches unvermuteterweise eben nicht kühl ist) und warteten auf Abholung.
Schlenski dacht nur so bei sich, dass solange die Italiener scharfe, geräucherte und luftgetrocknete Würstchen machen, es vielleicht doch nicht so schlimm ist, wenn ein DHL Paketsortierer den Unterschied von Island und Italien nicht gleich herausbekommt. Immerhin gehört die Hälfte von Island ja geologisch wenigstens noch zu Europa und ist somit im gleichen Kontinent wie Italien beheimatet. Vielleicht hatte der Sortierer ja sein 4er Abi aber auch in Reli und Sport abgelegt.