Der Holzweg

Essay zum Thema Freiheit/ Unfreiheit

von  LotharAtzert

Wir sprachen über das Unvermögen, mit wechselnden Situationen klarzukommen und tauschten Erfahrungen damit aus. Meine Gesprächspartnerin erzählte von ihrer Schwierigkeit, nach einem Fahrzeug mit Automatik-Getriebe sich wieder umzustellen auf das bekannte Schalten mit Kupplung: gleich baute sie einen Unfall.
Ich erzählte dazu, wie ich einmal als Linkshänder den linken Arm nicht mehr heben konnte und dadurch gezwungen war, alle Tätigkeiten mit dem rechten auszuführen. Vor allem auf der Toilette erwies es sich anfangs als besonders befremdlich. Aber auch sonst - einfachste Dinge, wie Zähneputzen oder Telefonieren mit Hörer am rechten Ohr und derlei.
Wir kamen überein, daß es gut sei, schon vor aller Not die üblichen "Gewohnheiten" je und je zu durchbrechen, um nicht von Verhaltensmuster überrollt zu werden, wenn denn ein Wechsel einmal not-wendig werden sollte.
Jutta ist vom Tierkreiszeichen her Stier. Das ist insofern interessant zu wissen, weil sie es, fast zwangsläufig, stiergemäß fixiert haben wollte: "Wenn man lange genug übt, werden beide Seiten gleich stark, gleich befähigt sein."
Ich widersprach der Gleichheitsidee und führte als Beispiel die Waage an. Nicht die digitalisierte, sondern die noch bildhafte, die auf und ab pendelt. Diese Pendelbewegung hat ihre Parallele in der Bewegung der Beine beim Gehen: Sind die Schritte gleich groß, so entspricht dies der gesunden Fortbewegung. Kommt aber ein Hindernis - und es kommen immer welche! - so wird ein Schritt entsprechend angepasst, damit größer oder kleiner. Geschähe dasselbe ohne Hindernisse, sprächen wir vom Hinken infolge einer Unausgewogenheit aus vergangenen Handlungen.
Beim Ausweichen resp. Übersteigen von Hindernissen wird immer dasjenige Bein vorangehen, welches unser Unbewußtes vorgibt. Wären die beiden nun aber "gleichberechtigt", könnte das zu ernsthaften Problemen der Zuständigkeit führen. ("Geh du voran" - "Nein, du") Schon das Wort "Recht" hat recht eindeutig mit der rechten Seite zu tun, die wir allgemein mit dem ordnenden Logos verbinden, und betrifft die dem Mythischen analoge linke Seite nur dahingehend, daß beide zum Vorgang desselben Gehens gehören: Ein Bein für sich allein gestattet keine Fortbewegung. Das gilt im übrigen für alle Organe, die paarweise angeordnet sind. Sie alle sind einem Dritten untergeordnet, das ihnen den einenden Sinn verleiht.

Als der Taoismus in China seinen Zenit überschritten hatte, verkam er schnell in bloße Funktionalismen und Aberglaube. Es hieß dann zb., es brächte einer Person Unglück, mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bette aufzustehen, oder Tempelanlagen zu betreten oder dies oder das. Die rechte Hand wurde zur guten erklärt und die linke galt als schmutzig. So begannen nicht bloß Laotses und Tschuangtses Wirken rasch ins Gegenteil verkehrt zu werden, sondern so beginnt weltweit jeder Niedergang: Recht und Regel unterwerfen die Kraft der mythischen Bilder, die Automatismen des Ausübens von Regel ersetzen die Erfahrung und damit das Wagnis des Weges zur Eigenständigkeit. Ein Weg ist aber nur solange Weg, wie das Scheitern mit inbegriffen bleibt: Ohne diese Gefahr bleibt Erfahrung eine bloße Worthülse.

"Die Gescheiten scheitern am Anfang; die Unbelehrbaren am Ende"
Als ich diese Worte einst notierte, war ich zwischen sieben und acht Jahre alt. Auslöser war folgender Vorfall: Ich hatte einen Holzklotz mit der Axt gespalten, - wir kannten damals noch keine Zentralheizung - hielt dabei einen der beiden Scheite mit der rechten Hand fest, um ihn noch kleiner zu spalten, damit er durch die Ofentür passte. Und weil ich, wie schon  gesagt,  Linkshänder bin, schlug ich mit der linken Hand zu.
Dann kam mir die vermaledeite Idee des Wechsels - ich wollte herausfinden, ob das anders herum genauso mühelos funktionierte. Also nahm ich die Axt in die rechte Hand, das schon recht kleine Scheitchen in die linke und schlug abermals zu.
Fast unmittelbar darauf färbte sich das Holz rot - die Axt hatte den Scheit nur gestreift und traf sodann den Zeigefinger. Der Schock führte dazu, daß ich instinktiv mit der rechten Hand den getroffenen Finger umklammerte und mit aller Kraft abpresste. Das Blut lief trotzdem durch ...
Der Finger konnte damals gerettet werden, die Narbe ist knapp sechzig Jahre später kaum noch erkennbar, aber für mich wurde das zur heilsamen Erfahrung, mit dem Nebeneffekt, daß ich ab da kein Holz mehr zu spalten brauchte und es gab statt dessen Extraportionen Kakao.

Vielleicht noch passenderweise ein Wort zu den Saturnalien: Saturn nannten die Römer den Schicksalsgott, der das Prinzip der Zeit verkörpert, die jedem Leben für das Sammeln von Erfahrungen zusteht. Bei den Feierlichkeiten ihm zuehren wurden die Rollen vertauscht - Herrscher mußten dienen und Diener herrschten für die Dauer des Festes. Der Sinn bestand darin, dem Volke, wie auch dem Einzelnen nahezubringen, daß aller irdische Glanz nur kurz währt und alle Titel, alles Ansehen, aber auch die Unbilden eines trüben Daseins mit dem Tod zuende sind.


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Kommentare zu diesem Text

JamesBlond (63)
(06.11.15)
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 LotharAtzert meinte dazu am 06.11.15:
Danke für die Mühe mit meinem Text. Zu den einzelnen Punkten der Kritik erlaube ich mir, auf meine Zyklen "Auf dem Weg zur Juweleninsel" und "Vom Wind in den Bäumen" hinzuweisen - Du wirst verstehen, daß ich nicht das bereits Geschriebene immer wiederholen kann und eher voraussetze, daß Interessierte Leser sich da einlesen.

Mir geht's immer ums dreifache Prinzip. Nicht als Linkshänder, sondern als Steinbock, der sowieso mit Saturn assoziiert wird. Das Unbestimmte (Neptun) kommt zum Ursprung (Uranus) und wird seinem Wesen nach bestimmt (Saturn): Vögel fliegen, Fische schwimmen usw.
Saturn ist auch Holz. Stimme, Stamm, stumm, Stummel etc. etc. Die besten Musikinstrumente sind alle aus Holz gefertigt, wobei ich die Kürbiskalebassen der indischen Veena/Sitar auch zum Holz zähle. Das ist aber alles in den angeführten Zyklen schon ausführlich beschrieben.

Du wirst zugeben müssen, daß ich einer der wenigen hier bin, dessen Werke 1. eine unverwechselbare eigene Handschrift tragen und 2. keine Brüche im Stil sind, sondern alles immer wieder um das Angedeutete kreist:
Das dreifache Prinzip des Daseins, wie es sich im Kreisen wandelt.
"Jedes dieser Themen wäre sicher eine eingehendere Betrachtung wert". - genau das mache ich. Alles hier beschriebene wird immer wieder unter anderen Vorzeichen neu auftauchen. Daß Du gerade meine Schreiberei als oberflächlich "brandmarkst", schreibe ich Deiner Widdernatur zu, die ich im Übrigen schätze - solange sie nicht mit hochtrabenden Fremdwörter daher kommt. Ich bin ein einfacher Mensch vom Lande und verstehe nicht viel davon
JamesBlond (63) antwortete darauf am 06.11.15:
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 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 06.11.15:
Dass man in einem Essay vom Ästchen auf's Stöckchen kommen darf, ist einer der Stärken, nicht Schwächen, wie ich finde. Der rote Faden ist hier dünn, weil nur der Erzähler, aber das reicht, meine ich. Wäre ein super Kolumnentext!

Gerne gelesen, Lothar, du kannst auch mal ganz ohne Empörung und dann wird's richtig gut!
JamesBlond (63) äußerte darauf am 06.11.15:
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 LotharAtzert ergänzte dazu am 06.11.15:
Oh, Premiere - Danke Dieter für die erste Empfehlung und das wohlwollende Urteil.
(als Kolumne böte sich der Epikurgarten an - bin leider kein Fan von E.)

Lieber James
Ja wir sind da sehr verschieden. Ob das nun mehr innerer Monolog als Essay oder umgekehrt ist, ändert am Text nicht das geringste und insofern ist mir das ziemlich egal, wie das Ding letztlich durch andere benannt wird.
Des weiteren spielt der Aszendent natürlich eine Rolle, aber auch darum geht es nicht. (Sonne=Verhalten, AC ist Anlage) Das typische Stierverhalten ist immer gleich. Nimm drei Stiere und schaue, was sie gemeinsam haben - zB. Marx, Freud, Kant ... nehmen wir den Robespiere noch mit ... sogar wortwörtlich: der "kategorische Imperativ", nie aus Königsberg rausgekommen, dafür immer um die selbe Uhrzeit spa(t)ziert ... aber mit diesen Einzelheiten möchte ich mich nicht aufhalten, das sind nur flüchtige Fingerzeige auf Wesentlicheres.

Was die Instrumente angeht, kannst Du mir nicht widersprechen, da es hier eindeutig um Subjektivismen geht - ich nehme an, Du beziehst es auf Blasinstrumente - und selbst da sind die alten japanischen Flöten geheimnisvoller, als jede Gold-Silber-Querflöte.

"Mir scheint es als ein endloses Kreißen, ohne dass etwas dabei herauskommt. Vielleicht schreibst du ja auch nur für Eingeweihte, die eh schon alles wissen. Aber warum schreibst du dann noch?" - das ist nun wirklich reine Polemik. Ich schreibe, weil ichs kann. Im Übrigen beruht es auf Erfahrungen und nicht auf Kopfakrobatik, ich sagte es ja bereits. " ... ohne dass etwas dabei herauskommt" -
ja was ist das denn, was kommt denn bei Dir selbst dabei heraus, außer intellektuellem Eigendünkel? Der Sankt Martinszug etwa, ein Rührstück für Damen? - Dies ist nicht das Niveau, indem wir miteinander umgehen sollten. ...
JamesBlond (63) meinte dazu am 09.11.15:
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 LotharAtzert meinte dazu am 09.11.15:
Geschätzter James,
wohlwissend, daß Du nicht mehr antwortest, schreibe ich, im Zweifelsfalle resümierend dies nur für mich:
"Die Frage, warum du noch schreibst, wenn der Leser zum Verständnis bereits alles schon wissen muss ..."
- so ein Unsinn! - Es geht bloß um nicht permanent wiederholt werdende Grundkenntnisse - kein Leser der Welt weiß alles und es geht nicht ums Alleswissen, sondern um das dreifache Daseinsprinzip, das ich immer wieder unter neuen Gesichtspunkten darlege. Ich selbst bin auch nicht alleswissend und assoziere oft und oftmals überraschend für mich selbst, entlocke meinem Unbewußten dies und das.
Der Einwand, der Aszendent spiele eine Rolle, kommt überraschenderweise immer wieder von einem aus dem Heer der Astrologieuninteressierten. Teilt man dann mit, wie das mit dem AC ist, gehen sie nicht mehr drauf ein - auch so eine Perfiedie.
So, ich hab auch kein Bock mehr ...
(Antwort korrigiert am 09.11.2015)
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