Ich bin der Größte. Neros Rechtfertigung aus dem Hades

Groteske zum Thema Kunst/ Künstler/ Kitsch

von  EkkehartMittelberg

Fast 2000 Jahre habe ich verkannt und verzweifelt in die trüben Fluten des Styx (1) gestarrt. Die braven Beamtenseelen Tacitus, Cassius Dio und Sueton haben aus mir ein Scheusal gemacht, weil sie einen kriegslüsternen Kaiser haben wollten, der dem römischen Imperium noch mehr Barbaren einverleiben sollte, und es nicht ertragen konnten, dass ich ein Friedensreich der Kunst errichten wollte mit mir als Ideengeber für das Leben als Theater.
Ich weiß, Theaterspielen verträgt sich nicht mit der Würde von Senatoren, aber Geiz und Geld scheffeln sehr wohl. Und warum verboten sie es sogar per Gesetz? Weil diese phantasielosen Reaktionäre keinen einzigen brauchbaren Vers zustande gebracht hätten.
Was haben mir Historiker, diese Schreibtischstrategen, nicht alles in die Schuhe geschoben, allen
voran der teutonische Tintenkleckser Mommsen, der ignorierte, dass römische Geschichtsschreiber vor allem Entertainer waren, die ihr dessen durchaus bewusstes Publikum mit Horrorgeschichten unterhielten, und was haben mir die scheinheiligen Christen auf die Stirne geklebt, deren blutrünstige Kreuzritter und mordbesessene Renaissance-Päpste mich in der Rückschau wie einen Chorknaben der Gewalt erscheinen lassen.
Ich soll Rom in Brand gesteckt haben. Nun gut, es wäre ein Leichtes für mich gewesen, ein paar Feuerteufel zu engagieren, und die lodernden Flammen gegen den Nachthimmel waren ein erhebender Anblick. Aber was hat das mit Kunst zu tun, die mich allein und wirklich interessierte? Mich reizte immer das Schwierige: echte Tragödien zu schreiben, die sogar die Plebs zu Tränen rührten, die Kithara, dieses diffizile Instrument meisterhaft zu beherrschen, selbst geschmiedete Verse zu singen, dass selbst der Circus Maximus hingebungsvoll lauschte, mit Bleiplatten auf der Brust meine zarte Stimme so zu stählen, dass sie sogar Steine erweichen konnte. Mich lockte der harte Männersport der Wagenlenker, den ich bei bei einem Sturz fast mit dem Tode bezahlt hätte, und ich stellte mich 15 Monate lang den Sängerwettkämpfen in dem kunstverständigen Land der Griechen, wo ich 1808 Siegeskränze gewann. Aber als Rom abgebrannt war, erwies ich mich notgedrungen als ein Meister moderner Architektur: Die engen, schmutzigen Gassen der Elendsviertel verschwanden und neue Häuser mit brandfesten Grundmauern öffneten sich dem Licht.
Denke ich an Poppea, die schönste Frau der Welt, die ich mein eigen nannte, so fließen mir noch heute die Tränen. Und diese Augenweide, die mir die neidischen Götter durch pränatale Wehen raubten, soll ich ermordet haben? Nichts als Missgunst scheeläugiger Senatoren, die sich heimlich mit Lustknaben vergnügten, weil ihre blaublütigen blutarmen Ehefrauen sie schon in der Hochzeitsnacht langweilten.
Ich bin der größte Künstler aller Zeiten, und es wäre widerwärtig, wenn ich hier den Saubermann spielen wollte wie weichgespülte Christen. Nein, ich gestehe, dass ich mein größtes Kunstwerk verpfuscht habe, die Ermordung meiner Mutter. Sie hätte geräuschlos geschehen können. Doch der Mechanismus mit den tödlich hernieder fallenden Bleiplatten beim Auseinanderbrechen des Schiffs war nicht perfekt genug. So musste Agrippina plump mit dem Schwert getötet werden. Das bereue ich, nicht den Muttermord, denn diese machtgeile Hure war keine Mutter. Es ging ihr immer nur um ihre Gloria, nie um mich. Sie wollte die Mutter des mächtigsten Mannes der Welt sein und aus dem Hintergrund die Fäden der Marionette Nero ziehen. Macht war ihr alles, mein Glück als Künstler nichts. Ich hätte ihr das noch verziehen, aber weil sie glaubte, mich als revolutionären Künstler, der die römische virtus durch Kreativität definierte, verspotten zu können, ging sie zu weit.
Macht, das Endziel der meisten Kaiser dieser Welt, war mir immer nur Mittel zum Zweck, um der Schönheit zu dienen, die kein anderer so verkörperte wie ich.
Mein Goldenes Haus, mein Herrschersitz,- eine Simulation können Sie auf der mir gewidmeten Ausstellung in Trier bewundern -  war zusammen mit der Performance meines Lebens das größte Kunstwerk aller Zeiten, zerstört vom Neid meiner Feinde, die das Kolosseum, also das Kolossale an die Stelle der Anmut setzten. Meine Statue, in Gestalt des Sonnengottes, war der Blickfang, Größenwahn in den Augen meiner Neider, doch tatsächlich der symbolische Verweis darauf, dass die Sonne der Schönheit alles irdisch Banale überstrahlt. Wer in meinem Hause königlich tafelte, konnte zu einem Sternenhimmel aufsehen, der sich Tag und Nacht drehte, von den schönsten Düften umhüllt, die von ihm herab wehten.
Dies und vieles mehr - ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen - trug mir den Ruf ein, der größte Verschwender aller Zeiten zu sein. Ja, das verbreitete der Adel, der stolz darauf war, an meinen Festen teilzunehmen, aber Sparsamkeit predigte und die Steuergelder immer wieder in seine Säckel zurückleitete. Sie, liebe Leser, verstehen etwas von Sprache, von der propagandistischen Umwertung der wahren Werte. (Propaganda, ein Begriff, den es zu meiner Zeit nicht gab, aber ich lerne noch im Hades.) Ich war tatsächlich der großzügigste Mensch aller Zeiten, der seine Gärten mit Teichen, Wasserspielen und Tiergehegen für die Plebs öffnete, der ihr freien Zugang zu allen künstlerischen Veranstaltungen, allen voran zu den Neronischen Spielen gewährte, der die Getreidepreise senkte und dem Volk nicht nur Brot zur Sättigung, sondern auch gewaltfreie Spiele mit dem Manna der Kunst zur Labung seiner Seelen bot.
Niemand wäre auf die Idee gekommen, meinen in zartem Alter verehrten Lehrer Seneca, als ich noch empfänglich für Heuchelei war, der Verschwendungssucht zu zeihen, der mir Enthaltsamkeit predigte und mit stoischer Gründlichkeit ein Vermögen von 300 Millionen Sesterzen angehäuft hatte. Das nenne ich wahre Verschwendungssucht, das Geld auf die hohe Kante zu legen, sodass niemand Freude daran haben kann wie an Kunstwerken, deren Glanz die Jahrhunderte überdauert.
Wer hat denn jemals eine Rechnung darüber aufgemacht, was die Fortsetzung der unfruchtbaren Kriege mit den Parthern und mit den aufständischen Stämmen in Britannien, die ich durch Verhandlungsgeschick weitgehend vermied, die römischen Steuerzahler gekostet hätte? Aber den Militärs, die in Rom immer das Sagen hatten, passte ein friedliebender und kunstsinniger Kaiser nicht, der ihre öde Expansionspolitik durchschaute, an der am Ende das von Rom allein unregierbar gewordene Riesenreich zerbrach.
Bevor sich Altertumsforscher eines Besseren besannen, die Zweitausend Jahre meiner Verleumdung erkannten, allen voran meine Biografen Massimo Fini (2) und Edward Champlin (3), gab es noch einen, der mich fast ins Bodenlose stürzte, Peter Ustinov in der Verfilmung von        ( https://de.wikipedia.org/wiki/Henryk_Sienkiewicz ) „Quo vadis“? Doch ich lasse Ustinov Gerechtigkeit widerfahren, denn er war selbst ein großer Künstler, der mein anderes Ich, mein alter Ego, spielte, denn ich war in jungen Jahren tatsächlich ein weinerliches Weichei, bis ich begriff, dass ich mich meiner ruhmgierigen Mutter entledigen und zum Manne werden musste in unzähligen Wettkämpfen, damit ich zum größten Künstler aller Zeiten reifen konnte, meiner engstirnigen Zeit voraus, ich, Nero.

(1) ein Fluß der Unterwelt
(2) Massimo Fini: Nero. Zweitausend Jahre Verleumdung. Die andere Biographie. München 1994, ISBN 3-7766-1853-1
(3) Edward Champlin: Nero. Belknap, Cambridge, Mass. 2003, ISBN 0-674-01192-9; Paperbackausgabe 2005
Meine Quellen für diese Groteske sind:
Ein Kaiser als Popstar - SPIEGEL GESCHICHTE 1/2009
Nero war eine Künstlerseele. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-120780574.html
Das Leben als Party -  Kaiser Nero, der größte Verschwender aller Zeiten.  In: DER SPIEGEL Nr. 21/21.5.2016
Alexander Bätz in: ZEIT ONLINE
Nero, ein unsterbliches Monster?
http://www.zeit.de/2016/20/nero-ruf-tyrann-berechtigung-geschichte
War er am Ende eher Opfer als Täter?
http://www.zeit.de/2016/20/nero-ruf-tyrann-berechtigung-geschichte/seite-2

© Ekkehart Mittelberg, Juni 2016

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (24.06.16)
Eine gute Widerrede. Auch vor Gericht muss man das Streitobjekt von allen Seiten beschauen. Doch so sehr die Kritiker nicht allein recht haben, wird auch der Rechtfertiger Unschönes unter den Künstlertisch fallen gelassen haben.

Ich habe auch an Ustinov gedacht. Und da die beiden sich bestimmt im Hades treffen - denn bestimmt durchwandert Sir Peter auch im Jenseits alle erreichbaren Welten -, bin ich mir sicher, dass sie sich prima verstehen. Und wenn Peterchen weiterzieht, wird Nero ihm nachrufen: Quo vadis? (Zu Deutsch: "Wohin gehst du [nun]?) Da werden dann beide herzhaft lachen.
(Kommentar korrigiert am 24.06.2016)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.06.16:
Genau, Trekan, auch der Rechtfertiger ist bewusst parteiisch. Eine Synthese soll dieser Text nicht sein. Andernfalls hätte ich ihn als Essay bezeichnet. So aber trägt auch die Apologie des Nero wie manche haltlose Anfeindung gegen ihn groteske Züge.
Merci auch für den humorvollen Verweis auf das Treffen von Nero und Peter Ustinov im Hades.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 24.06.16:
Das Nero/der Text subjektiv ist, kommt sehr gut durch. Man merkt, dass der tote Kaiser nicht immer lügt, aber er lässt aus, redet schön ... und erzählt Dinge, die zweifellos so gewesen sind. Da das für den Leser deutlich wird, ist dieser Text dir sehr gelungen.
Festil (59) schrieb daraufhin am 24.06.16:
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 loslosch (24.06.16)
nero hatte eine künstlerische begabung, in der tat. aber das kapitel mit mentor seneca scheint mir zu kurz ausgefallen. den reichtum hatte nero seinem lieben lehrer zugeschanzt! daraus könnte die hades-rede etwas machen.

was habe ich seneca begünstigt ... nie hat er es mir gedankt ... ist vor seiner verantwortung geflohen ... hat aus dem ruhestand gestichelt ... ich hätte ihn erdolchen lassen sollen, statt ihm die gunst des suizids zu erweisen ...

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 24.06.16:
Merci, das kann man so machen. Ich habe eine andere Vorstellung. Nero will keinerlei Verunsicherung zeigen. Er will mit Seneca kurzen Prozess machen. Dieser ist aus seiner Sicht ein Heuchler. Schein und Sein klaffen auseinander. Damit ist alles gesagt.
Festil (59) ergänzte dazu am 24.06.16:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.06.16:
Merci, Festil, auch das wäre eine sinnvolle Ergänzung. Aber ich fürchte, dass mein Text in der vorliegenden Form schon manchem zu lang ist.

 TassoTuwas (24.06.16)
Hallo Ekki,
ein Text der Hoffnung macht!
Gelungene Rehabilitation nach 2000 Jahren.
Möge unsere eher geschehen ))
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.06.16:
Gracie, Tasso. Wir sind doch Lieblinge der Götter. Die kommen rehabilitiert auf die Welt. )
Herzliche Grüße
Ekki
Dieter Wal (58)
(24.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.06.16:
Lieber Dieter,
es ist mir wichtig, einen Kommentar von jemandem zu erhalten, der sich in der Bibel auskennt.
Die Verdopllung von Antichrist und Tier spricht Nero seine Menschlichkeit gleich zweifach ab. Man darf das wohl als Hass interpretieren.
Merci.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 25.06.16:
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Graeculus (69)
(24.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.06.16:
Lieber Graeculus,
ich werde die Ausstellung in Trier wohl erst in einigen Wochen besuchen können. Aber sie interessiert mich brennend.
Ich denke, das Attribut "maßlos" trifft auf Nero unbestritten zu. Etwas verständlicher wird das dadurch, dass er sich wie Claudius wahrscheinlich als Gott gefühlt hat.
Die Sache mit der Siegeskranzhamsterei empfinde ich auch als peinlich. Es nagten doch wohl Zweifel an seinem Selbstbewusstsein, dass er sich immer wieder beweisen musste, der größte Künstler zu sein.
Jedoch war seine Auffassung von Kunst als Performance, so degoutant das Schauessen auch ist, erstaunlich modern. Erstaunlich bleibt auch die Tatsache, dass er, aus uraltem römischen Adel stammend, überhaupt auf die Idee kam, sich durch Kunst zu definieren.
Gracie.
Graeculus (69) meinte dazu am 24.06.16:
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Festil (59) meinte dazu am 24.06.16:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.06.16:
Im antiken Rom hätte mir, egal in welcher Position, das Internet gefehlt.
Festil (59) meinte dazu am 24.06.16:
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Graeculus (69) meinte dazu am 24.06.16:
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Festil (59) meinte dazu am 24.06.16:
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Graeculus (69) meinte dazu am 24.06.16:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.06.16:
@Graeculus und Festil: Ich halte fest: Was die Auswahlmöglichkeiten der Musik angeht, leben wir in einer viel interessanteren Zeit, was die Malerei betrifft, sicher auch, denn die Antike kam über realistische Darstellungen nie wirklich hinaus. Aber je nach Standpunkt des Betrachters war die Literatur damals vielleicht raffinierter, weil nicht inhaltliche Originalität, sondern Imitatio das Kunstprinzip war. Es ist heute wenig bekannt, dass zum Beispiel Silius Italicus und Statius als Nachahmer Vergils eine vergleichbar positive Resonanz hatten, weil die Aufmerksamkeit der literarischen Kenner darauf gerichtet war, mit welchen stilistischen Nuancen sie ihr Vorbild variierten und weiterführten. Das bedeutete, dass literarische Kunst sich damals weitaus mehr als heute durch die Form definierte als durch den Inhalt.
Aber lasst uns auch mal ganz banal denken. Ich möchte auch deshalb lieber heute als in der Antike leben, weil ich in kalten Winternächten keine Sklaven rufen muss, wenn ich kalte Füße habe. Ein Griff zur Zentralheizung und ein Griff zum Heizkissen und das Problem ist gelöst. )

 AZU20 (25.06.16)
Dein Text hat mich sehr berührt, aber es ist so viel geschrieben worden, da halte ich mcih jetzt mal raus. Auf Trier freue ich mich auch. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.06.16:
Danke, Armin.
LG
Ekki
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