Die Grille und die Ameise. Alternative Fabel

Fabel zum Thema Kunst/ Künstler/ Kitsch

von  EkkehartMittelberg

Die Grille hatte sich mit ihrem Gesang redlich durchgeschlagen. Sie beschloss sich auf ihre alten Tage mehr Muße zu gönnen. So bummelte sie über die Flaniermeile der Stadt, wo sie zufällig eine Leuchtreklame las: „Cafė zur Ameise“.

Sie staunte nicht schlecht, als sie dort ihre spezielle Freundin, die Ameise, schwer gealtert, hinter dem Ausschank sah.

Die Ameise musterte den neuen Gast mit finster abweisender Miene, ein Zeichen, dass sie die Grille wiedererkannt hatte.

Die Grille lächelte die Workaholic an und sagte: „Immer noch arbeitsam und rührig, wie man sieht.“ „Das konnte man von dir nicht gerade behaupten“, entgegnete die Ameise. Die Grille ließ die Bemerkung leer laufen und bestellte sich einen Kaffee.

Die Ameise lächelte säuerlich, als sie feststellte, dass der von ihr vergeblich umworbene Gast Dr. Heuschreck sich an den Tisch der Grille gesetzt hatte.

Als sie den Kaffee persönlich brachte, um zu lauschen, machte dieser gerade der Grille ein Kompliment: „Es ist die Kunst, die ihre Verehrer jung und charmant erhält.“




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Kommentare zu diesem Text


 Terminator (25.03.23, 00:37)
Der zwangspflichteselige Grießgram als Vorbild war mir schon in der Kindheit suspekt. Ein angemessenes Narrativ fand dann ich vor einigen Jahren in einen MGTOW-Video auf Youtube, in dem es um eine 30-jährige Frau ging, die in ihren besten Jahren rumgevögelt hatte, und nun einen reichen Mann zum Heiraten suchte. Die Anspruchshaltung dieser Frau wurde zurecht verspottet. Wäre der Hedonismus oder der frei-individualistische Lebensstil verurteilt worden, hätte ich dem MGTOW-Youtuber nicht zugestimmt.

Wenn du dein Leben nach deiner Lust lebst, und dafür auch die Konsequenzen trägst, dann bist du es, der beneidet wird, und dann sind die fleißigen Ameisen, die sich selbst Lasten aufgebürdet haben, die, die sich beklagen. Wenn der Hedonist nicht irgendwann als Bettler zum Arbeitsesel angekrochen kommt, dann hat er nichts falsch gemacht, aber die Esel-Ameise wird im Alter in ihrem Ressentiment verrückt: "Der da hat nur für seine Lust gelebt, und ist jetzt im Alter noch glücklich!? Habe ich nicht mein Leben lang geschuftet und alle Lust geopfert, um ihn zum Schluss infolge seiner Sorglosigkeit leiden zu sehen!!?"

In der klassischen Ausführung handelt es sich um eine Fabel für Missratene, die das Ressentiment nährt. Deine Umwertung der Werte finde ich super.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.03.23 um 14:06:
Merci, Terminator, du hast mein Missbehagen an der klassischen Fabel sehr gut erklärt.

 Graeculus (25.03.23, 00:54)
Das möchte ich den hiesigen Pietisten und sonstigen Schwaben (Motto: "Hund abschaffe, selber belle!") mit auf den Lebensweg geben.

 Graeculus antwortete darauf am 25.03.23 um 00:55:
Oder: "Net gescholte isch g'nug gelobt."

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 25.03.23 um 14:19:
Gracias, Graeculus: Des Loba koschded Krafd. die schbara mir liebr für Sichdbares

 AlmaMarieSchneider (25.03.23, 02:09)
Das Künstlerherz in mir hat immer die Grille geliebt obwohl ich immer mehr eine Ameise war. Ihr Zirben im Sommer hat leider sehr nachgelassen. 
In China ist die Grille übrigens ein Haustier und eine Grille kostet bis zu 30 €. Ein gepfefferter Preis. Die "Ameisen" sollten da doch mal ein bisschen nachdenken.

Liebe Grüße
Alma Marie

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 25.03.23 um 14:24:
Grazie, Alma Marie: Lieber das Zirben einer Grille, als das Gejammer von Workaholics.
Liebe Grüße
Ekki

 TrekanBelluvitsh (25.03.23, 02:24)
Die Tugend der Tugend wegen (hier: Fleiß) macht hohle Wangen.

 AchterZwerg ergänzte dazu am 25.03.23 um 07:15:
. :O

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.03.23 um 14:28:
Für verbissenen Fleiß grünt dem Herzen kein Reis.Merci, Trekan.

 AchterZwerg (25.03.23, 07:25)
Es ist die Kunst, die ihre Verehrer jung und charmant erhält.
Und nicht zuletzt die Lebenskunst, lieber Ekki.
Gerade in der älteren Generation gibt es viele, die nicht in der Lage sind, sich mit einfachen Mitteln ein gutes Leben zu bereiten. Jene hetzen beispielsweise von Ehrenamt zu Ehrenamt, um ihr angeschlagenes Selbstgefühl aufzupolieren.
Dies bliebe natürlich Privatsache, würden sie nicht die Lebesfreudigeren beharrlich mit ihren stillen bis lauten Vorwürfen überhäufen ...

Herzliche Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.03.23 um 14:32:
Grazie, Piccola,
Fehlt das gewisse Olala, frage bitte Frau Piccola.
Herzliche Grüße
Ekki
Taina (39)
(25.03.23, 10:26)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.03.23 um 14:35:
Spassibo, Taina. Man könnte das zynisch ausnutzen. Aber manche wollen partout nicht anders, um etwas zu jammern zu haben.
Teolein (70)
(25.03.23, 14:27)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.03.23 um 14:37:
Lieber Volker,
auch Grillen dürfen engagiert sein. Deshalb bist du eine ameisenhafte Grille. 
Liebe Grüße
Ekki

 Saira (26.03.23, 18:58)
Lieber Ekki,
 
die fleißige Ameise tut mir leid. Sie ist ein soziales Wesen, stark und erfinderisch. Leider gönnt sie sich keine Ruhepausen und versäumt es, das Leben von der leichten und schönen Seite zu erleben.
 
Wird die Grille vom Menschen nicht verfüttert oder für Wettkämpfe missbraucht, kann sie sich mehr oder weniger ihrem Gesang widmen. In deiner Fabel kann sie sich redlich durchschlagen. Sehr wahrscheinlich ist sie glücklicher als die Ameise.
 
Immer nur arbeiten, ohne dabei zu leben, kann in meinen Augen nicht erstrebenswert sein, aber leider bleibt vielen Menschen nichts anderes übrig. Es gibt nicht wenige, die zwei oder mehr Jobs haben, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
 
Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.03.23 um 20:36:
Merci, Sigi,
aus heutiger Sicht kann man für die Zurückweisung der Ameise mehr Verständnis haben. Ich konnte jedoch die alternative Fabel schreiben, weil die Ameise nicht versteht, dass auch Künstler arbeiten müssen.  Sie stellt sich den Gesang der Grille als amüsantes Nichtstun vor.
Doppelbödige Fabeln wie diese sind aber interessanter als moralisch eindimensionale.

Herzliche Grüße
Ekki

 AZU20 (28.03.23, 11:16)
Welch ein Kompliment. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.03.23 um 23:48:
Ich freue mich, dass es dir gefällt, Armin.

LG
Ekki
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