fädeln

Skizze zum Thema Begegnung

von  Augustus

Dieser Text ist Teil der Serie  Tagebuch
Sie interessiert mich, wenngleich sie so jung schon sich verheiratet hat. Dass sie schon jemand anderem gehört vergesse ich manchmal, wenn ihr sanfter Blick durch die dünnen Brillengläser in meine Augen fällt, der mit einer Macht jeden Satz von mir unterbricht und den sonst von mir fortgeführten Gedanken zum Schweigen bringt. Man glaubt unwiderstehlich, es genüge dem Herzen bloß das gegenseitige Anschauen in die Augen, um das verschlossene Glück zu empfinden, das ihm innewohnt und nur aufgebrochen werden muss. Ihr ganzes Gesicht erscheint oft als Bild in meiner Vorstellung, wenn ich alleine bin und ich weiß nicht wirklich warum – es ist da.
Wenn ich mich so dem Gefühl ganz überlasse, so steigen die eigentlich recht gewöhnlichen Augenblicke, die völlig alltäglichen Momente, die wir zusammen verbrachten in meiner Seele auf einmal veredelt auf, wie Nebel am Morgen aufsteigen und Feld, Wiesen und Wald bedecken.
Sie ist scheu wie ein Reh – man sagte ihr nach, sie sei spröde. Die vorderen Haare sind gerade geschnitten und liegen bis zur Hälfte auf der Stirn. Seitlich sind sie ebenso gerade geschnitten und hängen ihr bis zur Hälfte des Halses. Recht dünnes Haar hat sie.
Ihre Erscheinung ist im Grunde so uninteressant und unwesentlich, wenn es nicht das Wesen gäbe, das in ihren Augen verbrogen liegt und dann heraustritt, wenn mein Augenschein sich ihrer schwarzen Pupille nährt und mich dann wie ein Strudel hineinzieht, dass alles Schwankende, Lose, Unvollkommene, Traurige, Zweifelnde in mir plötzlich auslöscht, wie das Licht von der Graviation eines schwazen Lochs festgehalten und aufgesogen wird.
Wenn wir so nebeneinandergehen, so weicht sie keinen Schritt weg von mir.  Alle meinen Sinne gehören ihr – ich weiß nicht was um mich herum geschieht.
Allein dass ich ihr von meinen geheimen Reisewünschen erzähle, die ich keinem sonst erzähle und für mich behalte, bis sie erfüllt sind, macht sie mir bedeutend und zugleich gefährlich.
„Sicherlich hast Du es eilig und möchtest nach Hause.“ sagte ich, als wir an die Grenze kamen, an der wir uns sonst verabschieden.
„So eilig habe ich’s nicht.“ erwiderte sie und verneinte mit der Geste einer läppischen Handbewegung meinen Vorwand, was mir nicht entgangen war, als würde am Ende der Wegstrecke im Haus niemand Wichtiges wohnen und auf sie warten, der von Bedeutung wäre.
Während wir so standen und schwatzten, hatte man das Gefühl, als würde das Gespräch sich zu Spinnenfäden verwandeln, die ein immer größeres Netz um den Geist zogen, während einzelne Fäden des einen sich mit denen des anderen webend verflochten und man dabei meinen musste: dass wir ohne Kenntnis von der Gefahr des Webens uns blind ins Herz hinein verfädeln würden.

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Kommentare zu diesem Text


 Sanchina (23.10.18)
sehr schön, sehr gefühlvoll
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