Senioren-Blues

Beschreibung zum Thema Alter

von  eiskimo

Atmen. Den Tag-Nacht-Rhythmus einigermaßen einhalten, samstags shoppen, zwei Mal im Monat Kino, im Sommer verreisen.
Sven, mittlerweile 68 Jahre alt,  erlebt sein Leben mehr und mehr als „replay“ - als ausgetretene Spur, in der sich alles wiederholt. Die Erregungskurven, die er mal so hatte, flachen ab. Emotional und materiell ist alles im grünen Bereich. Es lebt sich gut für Sven. Aber ... täglich grüßt das Murmeltier.
Ein runder Geburtstag, Feste wie Weihnachten oder die Anschaffung eines neuen Autos - so etwas verschafft ihm inzwischen weder eitle Vorfreude noch schlaflose Nächte. Hat man ja alles schon vielfach erlebt und ausgekostet. Wie gesagt: Replay...
Existentiell wichtige Entscheidungen stehen auf absehbare Zeit nicht an - nicht mehr, denn das Spiel ist so gut wie gelaufen. Um weiter im Fußballjargon zu reden:  Man muss dieses Spiel nur noch über die Zeit bringen, ohne dass etwas außer Kontrolle gerät.
Was sollte außer Kontrolle geraten? Die Vorsorge-Untersuchungen waren alle ohne Befund, der Zahnarzt hat gute Arbeit geleistet, und dass die Bekannten drum herum anfangen, Hörgeräte auszuprobieren, muss ihn nicht nervös machen. Es gäbe Schlimmeres.
Schlimm ist vielleicht, dass er bereits anfängt, in allzu kluger Voraussicht  „Abenteuern“ aus dem Wege zu gehen. Karneval zum Beispiel, das findet seit Jahren schon ohne ihn statt. War das nicht früher immer die Gelegenheit, frech auszubrechen, mal völlig aus sich ´raus zu gehen? Oder sich zu Gruppenreisen anmelden, bei denen man einmal gänzlich andere Leute kennenlernen könnte. Tapetenwechsel!  Aber was tut er : Seit Jahren verreist er mit derselben Frau, individuell natürlich.
Glücksspiel, Partys, Alkohol – das gibt es,wenn überhaupt, nur in Maßen, und nur im Kreise der Vertrauten. Vor Mitternacht ist Schluss, denn am nächsten Morgen will er ja ausgeschlafen wieder im Schwimmbad sein, als einer der ersten bei den fitten Senioren mit der Jahreskarte.
Jüngstes seiner Rückzugsmanöver: Er geht nicht mehr zum Stammtisch der ehemaligen Kolleginnen und Kollegen. Die Frauen haben nur von den Enkelkindern erzählt und dass sie jetzt E-Bike fahren; die Männer fachsimpelten über die Vorzüge ihrer Wohnmobile, die tatsächlich winterfest seien, und wie preiswert dann doch so eine Wintersport-Woche auf dem Parkplatz direkt am Skilift sein könne. Nein, Danke.
Wie sich also motivieren? Wie sich als „alter Sack“ neu erfinden über das Atmen, über das brave Zu-Bett-Gehen und die zwei Kino-Gänge im Monat hinaus? Wie könnte er noch einmal irgend einer unerhörten Unternehmung oder einem entscheidendem Datum so richtig entgegen fiebern? Wie noch ein Mal, so fragt sich Sven fast nostalgisch, mit jeder Faser und bei wild pochendem Herzen spüren, dass er lebt?


Anmerkung von eiskimo:

Was macht eine Gesellschaft, in der Leute wie Sven mehr und mehr den Ton vorgeben?

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (26.10.19)
Zunächst wäre zu fragen, ob es stimmt, dass die Zahl der Svens , die aus ihrem langweiligen Alltagstrott nicht mehr herauskommen, in unserer Gesellschaft wächst. Ich meine, ja. Mir fehlt aber die Idee, wie man sie verändern kann.. Vielleicht werden sie wieder kreativer, wenn die Wohlstandsverfettung abnimmt.
Nachdenkliche Grüße
Ekki
Cora (29) meinte dazu am 26.10.19:
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 princess antwortete darauf am 26.10.19:
Falsch. Es ist sogar der umgekehrte Zusammenhang belegt: In den Industriestaaten kommen Übergewicht und Adipositas bei Personen mit niedrigem Einkommen deutlich häufiger vor als bei Personen mit höherem Einkommen. Fette Pensionen machen also eher schlank.
Cora (29) schrieb daraufhin am 26.10.19:
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 eiskimo äußerte darauf am 26.10.19:
Wohlstandsverfettung trifft es m.E. gut - man braucht seinen gesicherten Wohlstand nur noch verwalten. Manche setzen dabei auch Fett an. Schlimmer ist das geistige Ohne-Antriebe-Sein, das Sich-Selbst-Genügen ohne Blick mehr nach Vorn oder auf Andere.
Es macht mich auch nachdenklich, zumal ich meine, immer mehr dieser uninspirierten (älteren) Zeitgenossen anzutreffen.
trotzdem wagen wir uns heute Abend wieder auf die Tanzfläche, aber hallo!
Eiskimo

 princess (26.10.19)
Tja, Sven, jede Lebensphase hat ihre ganz eigenen Herausforderungen. Halt mich auf dem Laufenden, ich bin neugierig auf deine Entwicklung.

LG p.

 eiskimo ergänzte dazu am 26.10.19:
Sven macht jetzt erst einmal eine Kreuzfahrt; auf dem Schiff ist alles deutschsprachig, und einen Fitness-Raum gibt es auch..
ahoi!
i.A.
Eiskimo
aliceandthebutterfly (36) meinte dazu am 26.10.19:
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Al-Badri_Sigrun (61)
(26.10.19)
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 eiskimo meinte dazu am 27.10.19:
Ich weiß nicht, ob "depressiv" es trifft. Da ist einer, dem fehlen Ziele, Aufgaben, Herausforderungen - mit 68 kann er nicht mehr alles, und was er könnte, kennt er schon....
Würdest Du Dir denselben Film immer wieder aufs Neu anschauen?
Grüße ins Emsland
Eiskimo
Al-Badri_Sigrun (61) meinte dazu am 27.10.19:
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Sätzer (77)
(26.10.19)
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 eiskimo meinte dazu am 27.10.19:
Schreiben wäre auch für alte Säcke säxy - es verschafft doch einen Höhepunkt nach dem anderen!
Naja, zumindest Zeilensprünge.
lG
Eiskimo
aliceandthebutterfly (36)
(26.10.19)
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Cora (29) meinte dazu am 26.10.19:
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 eiskimo meinte dazu am 26.10.19:
Danke für die Kritik, vor allem aber für diesen Sally-Text! Der ist ein ganz anderes Kaliber! Kein Vergleich.
Diese Sally da erlebe und empfinde ich (deswegen?) völlig anders als den Sven. Die hatte sicher ein viel härteres, extremeres Leben als mein satter Pensionär. Sally kommt mir auch älter vor...
"Vielleicht ist trotzdem nicht alles falsch gewesen..."
vG
Eiskimo
Sin (55)
(27.10.19)
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 eiskimo meinte dazu am 27.10.19:
Sehr schönes Beispiel, wie es besser laufen könnte....
Wo wohnt diese Debbie?
LG
Eiskimo
Sin (55) meinte dazu am 27.10.19:
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 eiskimo meinte dazu am 27.10.19:
Unser Freund Sven, Fan von Nana Mouskouri, wird Deine begeisterten Zeilen kaum würdigen. Ich umso mehr!
LG
Eiskimo

 Momo (27.10.19)
Absicherung in jeder Hinsicht verhindert nun mal Spontanität und Lebendigkeit, ob man jung oder alt ist.

Dein Senioren-Blues beschreibt schlicht das Altern, Leben in eingefahrenen Bahnen. Ab einer bestimmten Zeit ist Schluss mit Neu-Erfinden. Da packt man langsam seine Sachen zusammen. Ich möchte nur daran erinnern, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass Menschen ein Alter von über 60 Jahren kaum erreichten.
Also, lassen wir die Senioren altern, sie dürfen das.

Ach ja, ich wollte hier nur einmal das Stichwort Altersarmut einwerfen. Da ist nix mit Kreuzfahrt, Fitness-Studios, Glücksspiel und Partys, da ist wohl eher „Tafel“ angesagt.

Zu deiner Anmerkung: Leute wie Sven gestalten die Welt nach ihrem Bilde, weil sie es können.

 eiskimo meinte dazu am 27.10.19:
Macht mich etwas traurig, Dein Fazit. Da wir nun locker die 80 oder gar 90 Jahre schaffen, sollte da schon noch etwas kommen.
Zur Altersarmut: Die gibt es, kein Zweifel. Aber auch reichlich "silver ager", die aus dem Vollen schöpfen. Wir können die nicht in ihren Wohnmobilen immer im Kreis fahren lassen oder von einem Kreuzfahrtschiff aufs nächste lotsen.
Du sprachst auch von Spontaneität - damit müsste sich noch ein Türchen öffnen lassen, vielleicht noch einmal zu etwas Großartigem...
träumend grüßt
Eiskimo
Cora (29) meinte dazu am 28.10.19:
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 eiskimo meinte dazu am 28.10.19:
Ich kenne nicht den Prozentsatz der von Altersarmut Betroffenen, kenne aber den Run auf die Kreuzfahrtschiffe und die übervollen Wohnmobil-Stellplätze. Natürlich ist meine Formulierung nicht als "Verbieten" oder "Entmündigen" gedacht. Mein ganzer Ansatz geht doch in die Richtung, im Alter Stumpfsinn und "Murmeltier-Dasein" zu vermeiden. Falls eine Kreuzfahrt dabei hilfreich ist, okay. Entscheidend ist m.E. , dass da jemand noch einmal aktiv wird und über seinen Schatten springt...
Cora (29) meinte dazu am 28.10.19:
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 eiskimo meinte dazu am 28.10.19:
Da kann ich Dir beipflichten. Interessant ist Dein Hinweis auf die nicht vorhandenen Kinder. Die wären ein Glück für viele, auch wenn das nicht immer reibungslos vonstatten geht, mit den Drei-Generationen-Familien

 Regina (28.10.19)
Man möge Sven seine Langeweile lassen, so er sie sich denn wünscht. Man soll ihn nicht zwangstherapieren. Vllt.ist man im Alter, wenn die großen Herausforderungen wegfallen, mit kleineren, bescheideneren Erlebnissen zufrieden. Uralte strampeln ja noch in der Politik herum, einem anderen mag das zu viel sein.

 eiskimo meinte dazu am 28.10.19:
Sven zu mehr gesellschaftlicher Aktivität zu zwingen, wäre Quatsch. Ich mag es anders herum nicht einfach hinnehmen, dass 30 Prozent unserer Bevölkerung (der Anteil wird noch steigen!) plötzlich und unwiederbringlich in den Freizeit-Modus umschalten soll. Was für ein Verlust an Wissen, an Erfahrung, an Kompetenz und Führungskraft träte da auf! Natürlich müssten diese Personen auch selber sich weiterhin einbringen wollen. Es gab und gibt Gesellschaften, da ist die Wertschätzung der Senioren eine ganz andere, und auch dieser Alters-Bruch fällt da sanfter aus
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