Schnee vor der Tür

Kurzprosa zum Thema Identität

von  AvaLiam

Als sie im Sommer die Tür hinter sich schloss und ins Freie trat, war ihr der Straßenlärm plötzlich zu laut.
Die Sonne brannte unerbittlich heiß. Staub lag in der Luft. Ein blöder Köter rannte auf sie zu und nur die schambehaftete, stammelnde Entschuldigung des Besitzers entlockte ihr fast schon Mitleid und schob sich vor ihre eigene Angst.

Ach, es war doch grad alles einfach nur Scheiße.
Die vielen Fragen, die vielen Sorgen, die vielen Rechnungen, die vielen Narben und Worte, die fielen.
Pause. Sie brauchte Pause.
Luft, sie musste atmen, nichts sehen, nichts hören. Ruhe. Stille und Luft.
So kehrte sie um, ging nach Hause und schloss die Tür.

Viele Briefe hat sie geschrieben.
Hin und wieder schlich sich jemand durch die Tür hinein und brachte ihr Brot.
Manchmal hatten sie auch Zeit für einen Tee  -  oder zwei.
Vor einer Weile hat sie den Fernseher mal wieder eingeschaltet.
Gut, die Nachrichten musste sie ausmachen, doch sie schaffte einen ganzen Film.
Und während sie ihn sah, wurde etwas laut in ihr.
Nicht, dass es sie betäubte, aber ein wenig fordernd war der Klang schon.

Sie hörte das Summen von Bienen, hörte, wie Regen fällt und spürte die Tropfen angenehm auf ihrer Haut.
Warmes Kribbeln webte ein zartes Netz um ihr Herz.
Sie vermisste die Farben, die Blumen, Gefühl.
Leben.

Mutig ging sie auf die Tür zu. 
"Nur noch einen Schritt" .
Zitternd legte sich ihre Hand auf die Klinke und spürte das schlanke, kalte Metall.
Hoffnung gab ihr die Kraft, sie aufzudrücken.

Licht.
Helles, warmes Sonnenlicht strömte in ihr Haus.
Sie hörte Kinder lachen. sah ein Flugzeug am Himmel...

...und Schnee vor der Tür.


Anmerkung von AvaLiam:

hier hätten zu viele Themenvorschläge zu eindeutig gepasst... Identität empfand ich als einen guten Oberbegriff

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

Stelzie (55)
(07.11.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AvaLiam meinte dazu am 07.11.19:
liebe Kerstin,

oh ja! Und das ist auch ok, in jede Richtung. Alles braucht seine Zeit.
Für wichtig halte ich, Einfach IMMER ALLES für MÖGLICH zu halten. Das macht das Gehen leichter. Die Richtung entscheidet dabei jeder selbst.

Ich danke dir für die Favorisierungen.

herzliche Grüße - Andrea
WorldWideWilli (59)
(07.11.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AvaLiam antwortete darauf am 08.11.19:
Hallo Ralf

Lange musst du ja gemäß der Jahreszeiten dann nicht mehr warten. Eine Schneefallgarantie gibts natürlich nicht.
Mir war klar, dass sich hier der ein oder andere darin wiederfindet. Das ist auch gut so. Denn kann auch jeder lesen, dass es die Zeit gibt, etwas zu ändern, die Zeit für Mut und Neuanfang. Und vielleicht - wenn man das immer und immer wieder liest oder hört oder in Filmen sieht oder oder oder - vielleicht kann man dann selbst daran glauben und holt die Schuhe raus. Das wäre ein Anfang.

lG - Ava

PS: Beide Namen sagen mir ehrlich gesagt gar nichts^^ Ich schaue GANZ selten Filme. Ich bin so ein wenig dem Hobby von Rollenspielen verfallen und suchte nach einem Namen der zu meinem Charakterbild passt. Gleichzeitig sollte es sich nicht wie Rotz und Holz anhören.

Ava = Kraft, stark, (wildes) Wasser, Stimme
Liam = entschlossen, standhaft

so verband ich beide, weil ich mich mit den Bedeutungen beider Namen identifizieren kann... bzw. sie auch meinem Charakter im Spiel entsprachen...

 EkkehartMittelberg (07.11.19)
Hallo Ava,
ein neuer Aufbruch. Der Schnee bedeckt das, was war.
Liebe Grüße
Ekki

 AvaLiam schrieb daraufhin am 08.11.19:
guten Morgen Ekki

Schnee hat ja auch wieder was Blankes, Neutrales. Man kann von vorn beginnen. Es erzählen Jahreszeiten ja auch einen immer wiederkehrenden Ablauf vom Werden und Vergehen...

Ja - sie kann noch mal von vorn anfangen.

Das ist das Gute daran, dass wir keine Eintagsfliegen sind.
Wir haben mehr Zeit.

liebe Güße - Ava
Al-Badri_Sigrun (61)
(07.11.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AvaLiam äußerte darauf am 08.11.19:
Danke Sigrun für den gedanklichen Weg und die Zeit, die du mit der Frau gegangen bist.

Das brauchen diese Menschen am meisten.
Deshalb fällt mir auch ab und an mal sowas aus der Feder.

Ja - die Frau hat es heute geschafft. Eigentlich ist sie ein Mann und es waren fast 3 Jahre. Er war vorher aktiv in einer Musikband. Fest im Arbeitsleben. Alles normal.
Und auf einmal war alles anders, für eine lange Zeit.

Heute hat er wieder viele Freunde - gute Freunde. Einen festen Job in einem tollen Team. Er macht wieder Musik. Es geht ihm gut.

Manche Dinge brauchen Zeit, zu heilen. Viel Zeit.

Und Verständnis.

herzliche Grüße - Ava
wa Bash (47)
(07.11.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AvaLiam ergänzte dazu am 08.11.19:
ich freue mich sehr über deine Spuren hier

herzlichen Dank

 AchterZwerg (08.11.19)
Liebe Ava,
ich sehe ein Leben, das am LyrIch vorbeigerauscht ist. Bewusst und unbewusst
Und ich sehe die Freiheit / Befreiung des Alters.

Herzliche Grüße
der8.

 AvaLiam meinte dazu am 08.11.19:
mein lieber Achter...

...deine Textarbeit macht mir noch immer mit die größte Freude...

Tatsächlich sind hier zwei "Geschichten" in zwei verschiedenen Ebenen enthalten.

Die Person, die tatsächlich in fast völliger Isolation lebt ( es waren weitaus mehr als ein halbes Jahr; insgesamt knapp 3 Jahre und es war ein Mann ) mit einer kurzen Darstellung - ohne großes Weh und Ach, dass es schnell passieren kann, dass es lange dauern kann, dass es Mut braucht und aus einem eigenen Antrieb heraus überwunden werden muss.

Und na klar - Insgesamt das Werden und Vergehen, das Altern, den Reifeprozess, Abgrenzungen, Loslassen, neue Chancen ergreifen etc.

Es ist mir wie immer eine Ehre, mit Ihnen zu sinnieren.

liebe Grüße - Ava
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram