Diagnose Analkrebs - Ein Tagebuch

Erzählung zum Thema Arbeit und Beruf

von  toltec-head

Gut, es ist jetzt schon klar, dass ich das schon wieder nicht durchstehen werde.
Aber ich möchte es öffentlich machen.
Ich hasse Privatheit.
Meinen Analkrebs öffentlich machen. Dabei hasse ich Leute, die ihr privates öffentlich machen wollen. Meinen privaten Analkrebs zu einem öffentlichen Analkrebs machen, das ist es gerade, was ich nicht möchte.
Sondern, ihn bloß hinhalten.
Den Leuten meinen Analkrebs bloß so hinhalten. So wie früher meine Erektionen.
Ganz ohne literarische Absichten.
Ich hasse literarische Absichten. Ich hasse die Literatur.
Endlich Analkrebs und keine Literatur mehr. Das habe ich mir nach meinem ersten Arztbesuch gesagt. Doch wirklich, das habe ich mir gesagt.
Von nun an wird´s also echt, das habe ich mir gesagt. Gut ich habe mir verständlicherweise noch eine ganze Menge anderer Dinge gesagt, als ich dann am Abend in meinem Wohnklo wieder allein saß. Aber vor allen Dingen immer wieder das: Von nun an wird's echt, von nun an wird's echt...
Mal sehen, vielleicht werde ich, wenn wir etwas tiefer in die Materie eingedrungen sind, in einem meiner nächsten Texte ein pic von ihm posten. Ein Analkrebspic posten, welch ein Traum. Ich liebe Analkrebspics. Gibt's zwar schon zu Hauf im Internet. Sind aber trotzdem so viel besser als Gedichte. So viel echter. Und immer noch, trotz gewisser Modetendenzen gerade bei Frauen, seltener. Und die Prozedur, die Technik des Fertigens von Analkrebs-Selfies ist so viel echter und verstörender als die Prozedur oder Technik des Fertiges von Gedichten oder irgendwelcher anderer Scheißtexte. Leute sollten statt Gedichte oder andere Scheißtexte zu schreiben doch mal die Prozedur und Technik des Fertigens von Analkrebs-Selfies ausprobieren, auch wenn sie gar keinen Analkrebs haben, nur um der Prozedur und Technik des Fertigens von Analkrebs-Selfies willens. Gedichte oder andere Scheißtexte haben noch nie irgendwem geholfen. Aber wer schon mal versucht hat, ein Analkrebs-Selfie von sich zu machen, für den teilt sich die Zeit fortan in ein davor und danach ein, dem ist gelungen, was bloßen Autoren nie gelingt: ein Schnitt.
Bloße Autoren tuen immer nur so.
Von nun an wird's also echt. Gott sei Dank.
Dabei weiß ich natürlich mittlerweile, dass dieses ganze Bio-Blogging Getue so etwas von 90ern ist. Wie blonde Strähnchen und Schamhaar- bzw. Arschhaarepilationen. Wirklich. Es besteht die reale Gefahr, dass die AIDS-Literatur der 90er mir meinen Analkrebs versauen wird.
Ich kann 1X von einem meiner vielen Arztbesuche bloggen. Gut, das geht. Aber schon beim 2X werde ich an die vielen Leute mit AIDS oder irgendeinem anderen, ordinären Krebs denken müssen, die ganze Bücher mit ihren Arztbesuchen gefüllt haben. Die jahrelang abends nachhause gekommen sich und von ihren ewigen Arztbesuchen geschrieben oder gebloggt haben. Und dann ist doch nur wieder Literatur dabei rausgekommen.
Genug für heute. Ich werde meinen Analkrebs jetzt etwas in die Dezembersonne halten.
Bis bald. Hoffentlich.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (20.12.19)
Toltec, mein Lämmchen,
ich grüße dich recht enthusiastischl :)

Zunächst bestichst du durch ein weihnachtliches Thema. Aber, als ob das nicht genug wäre, lese ich, stiltechnisch, eine indirekte Hommage für einen meiner Lieblinge, Herrn Thomas Bernhard heraus.
Weniger wegen des Analkrebses als wegen der Stringenz und der Konzentration auf einen wichtigen Körperteil, der bekanntlich so manches entlassen kann - selbst schlechte Lyrik.

Soweit ich mich recht erinnere, sprach sich der Meister bei Gelegenheit ebenfalls für die Konzentration auf ein Geschäft aus ...

Dezembersonne ist in jedem Fall gut.

Der8., froh winkend

 Graeculus (20.12.19)
Das gefällt mir. Es ermutigt mich, demnächst eigene Tagebuchaufzeichnungen über meine Hämorrhoiden zu veröffentlichen. Coming soon.
Aha (53)
(20.12.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isensee (27.02.20)
Liest sich großartig. Mehr von deinem Analkrebs.

 toltec-head meinte dazu am 01.03.20:
Bin tot.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram