Es gibt ja wirklich vieles Schlimmes an diesem Beruf. Und es ist auch völlig klar, was. Am schlimmsten ist diese ständige und ununterbrochene Musik der pubertierenden Kinder. Die denken, jeder würde ihre Musik toll finden. Aber sie haben überhaupt keinen Geschmack.
Dann gibt es natürlich auch noch Sachen, die sind immer noch schlimm, aber eben nicht ganz so schlimm. Die kann man gerade noch aushalten, wenn gerade keine Jugendlichen mitfahren. Der Stau, natürlich. Staus sind halt scheiße und man fragt sich die ganze Zeit bloß, warum diese ganzen Autofahrer die ganze Zeit die Autobahn benutzen müssen und nicht den Weg freilassen wollen. Dann ist da noch der Chef, den mag man – logisch – auch nicht.
Heute ist mein Pechtag. Wobei, man müsste eigentlich „einer meiner Pechtage“ sagen. Aber das hier scheint sich in die Länge zu ziehen. Ich sitze schon zwei scheiß Stunden hier und nichts, nichts hat sich geändert. Man denkt ja normalerweise, die Welt würde sich bewegen und die Politiker labern dauernd etwas von einer wahnsinnig vielfältigen Welt, aber nur die verschiedenen Autotypen sind hier vielfältig, das war es dann auch schon.
Ich werde das Wort jetzt aussprechen: Stau. Ich bin mitten im Stau. Ein scheiß Stau, denn nirgends wurde vor ihm gewarnt. Ich kann auch nirgends ein Ende sehen. Die „Stauminute“ bekomme ich sowieso längst nicht mehr mit, dafür sorgt dieser Mädchenclub in der vorletzten Reihe. Stattdessen bekomme ich die neusten Musikstiles hautnah mit. Ohrennah, eigentlich.
Eigentlich sieht es ziemlich hübsch aus und, wenn man das heutzutage so sagen darf, würde ich es gerne mit nach Hause mitnehmen, aber ich glaube, dieser Beruf stellt eine gewisse Abwehr gegen instinktive sexuelle Impulse dar. Wenn ich nur diese Musik ausstehen könnte. So wie diese ganzen Idioten. Aber nein, ich muss natürlich der einzige auf der Welt – nein, der einzige im Stau – sein, der einen einigermaßen angenehmen Geschmack für Musik hat. Wenn die das ausmachen würden… Ja, was würde man eigentlich sonst noch hören, wenn die scheiß Musik aus wäre. Wäre es dann still. Würde ich ein Hupenkonzert hören? Alles besser als diese scheiß Musik.
„Ausmachen!“
Nichts geschieht, die dicke Lehrerin hat es noch nicht mal mitbekommen. Bei der Lautstärke kriege ich ja sowieso nichts mit (außer der Musik, klar).
„Ich sagte, ausmachen!“
Nein, die wollen nicht. Dann muss ich eben aufstehen.
Ich stehe auf. Sofort ist es still. Erst hören alle auf zu reden, dann stellt das Mädel in der vorletzten Reihe die Musik ein ganz ganz kleines bisschen runter.
„Ausmachen!“
Die Musik wird erneut ein ganz ganz ganz ganz kleines bisschen leiser.
„Ausmachen, oder ich schmeiße dich raus!“
Die Musik verstummt. Stille, nur ab und zu eine ferne Hupe ist zu hören. Die dicke Lehrerin flüstert mit dem Model-Lehrer. Ich befürchte schlimmes: ein Sportlehrer.
„Ladys and gentlemen“, verkündet er lauter als die Musik vorher war, „ich glaube, ihr müsst euch austoben, stimmt´s?“
„Nein, bitte nicht, es ist Samstag, heute haben wir kein Sport, bitte nicht!“, brüllt es aus allen Reihen, aber besonders aus der vorletzten.
Der Sportlehrer bückt sich und flüstert mir in das Ohr: „Kannst du vielleicht die Tür aufmachen, dann gehen wir eine Runde spazieren.“ Ich reagiere nicht sehr positiv, seit wann glauben mir fremde Lehrer, mich duzten zu dürfen? Aber da fügt er hinzu: „Danach sind die bestimmt stiller.“
Sie gehen also raus. Nur ich und die dicke Lehrerin bleiben zurück. Die könnte auch Sport machen.
„Gehen Sie nicht mit den Schülern?“ Sie antwortet nicht, sie ist zu sehr in ihr Buch vertieft. „Ich gehe mal kurz hinter den Baum da, passen Sie bitte auf den Bus auf“ Wieder keine Reaktion. Egal, ich gehe.
Ich möchte gerade mein Geschäft verrichten, da kommt plötzlich die Klasse vor dem Busch hervor, angeführt vom Top-Model-Sportlehrer.
„Ha, erwischt, mein Freund!“, sagt er laut und fügt leise hinzu, „gehen Sie lieber irgendwo hin, wo Sie den Bus in Sichtweite haben…“ Dummkopf.
Ich wechsel also den Baum, verrichte mein Geschäft und kehre zum Bus zurück.
„Da bin ich wieder“, teile ich der dicken Lehrerin mit. Sie hat noch immer nichts mitbekommen.