Fahnenflucht

Erörterung zum Thema Abschied

von  FrankReich

Name und Herkunft sind für mich zu einer brenzligen Angelegenheit geworden, deshalb auch nur soviel dazu, dass ich derzeitig noch ordentlicher Student der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder bin und voraussichtlich nächstes Jahr meinen Abschluss erwerben werde, bis dahin allerdings meine Vergangenheit hinter mir gelassen haben muss, um nicht Gefahr zu laufen, in die Querelen eines Krieges involviert zu werden, der vor ungefähr drei Jahren ausbrach und sich nun über das gesamte Heilige Römische Reich Deutscher Nationen auszuweiten droht.
Obwohl dieser Krieg in erster Linie als Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Lutheranern begann, beschloss mein Lehnsherr, der kurz nach der Jahrhundertwende zum reformierten Glauben des Calvinismus konvertierte und dementsprechend seine Gefolgsleute nach dem Prinzip "cuius regio, eius religio" einschwor, in das Kriegsgeschehen einzugreifen und ließ mir deshalb bereits eine militärische Ausbildung zukommen, wegen der ich mein Studium an dieser Universität bei Kriegsbeginn für drei Jahre unterbrechen musste; eigentlich bin ich nur hier, mein militärisches Wissen durch ein wissenschaftliches zu ergänzen, um anschließend als Kriegsberichterstatter Verwendung zu finden.
Glücklicherweise lernte ich heute einen calvinischen Kommilitonen kennen, den ich für einen baldigen Studienabbruch begeistern konnte, indem ich ihm die kulturellen und konfessionellen Vorzüge des akademischen Gymnasiums in Danzig schilderte, einer Stadt, die zudem vor den Irrungen und Wirrungen des Krieges durch ein Bollwerk und das Protektorat des polnischen Königs geschützt liegt, sowie ein Zentrum des europäischen Handelsverkehrs verkörpert, dessen von calvinischer Hand geführtes Akademikum ebenso eine Grundlage für die Karriere eines angehenden Gelehrten seines Glaubens darstellt wie die reformierte Führung seines Stadtrates.
Da ich das Danziger Gymnasium bereits besucht hatte, versuchte mein neuer Bekannter erst gar nicht, mich davon zu überzeugen, ihn umgehend nach Danzig zu begleiten, sondern nahm ohne zu zögern meinen Vorschlag an, mich im Zuge seiner Abmeldung für ein geringes Beigeld gegen einen Obulus in Höhe von zwölf Kreutzern als "Johannes Plavius, Tyrigotanus" zu immatrikulieren, einer anschließenden Prüfung zufolge verlief der erste Schritt meiner Strategie recht erfolgreich.
Sobald ich also den Universitätsabschluss unter meiner alten Identität errungen habe, werde ich noch zwei Jahre ins Land ziehen lassen und dann mit neuem Namen bei meinem gerade gewonnenen Freund in Danzig vorstellig werden, natürlich in der Hoffnung, dass er bis dahin dort Fuß gefasst hat, damit ich von seinen Beziehungen profitieren kann.

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Kommentare zu diesem Text

Stelzie (55)
(09.06.21)
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 FrankReich meinte dazu am 09.06.21:
Danke, werte Dame,

auch im Namen des Protagonisten, dessen Plan zwar aufging; mit dem jedoch, was die Stadt Danzig auf Dauer für ihn bereit hielt, konnte er wohl kaum rechnen.

Ciao, Frank
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