Mein Studium war kein Zuckerschlecken

Anekdote zum Thema Geld

von  EkkehartMittelberg

Ich habe sehr gerne studiert und blicke insgesamt auf eine glückliche Studienzeit zurück. Aber ich war in den Jahren 1958-1964 oft in einer beengten finanziellen Lage, in der der kleine Wechsel meiner Eltern gerade so reichte.
In eine solche Lage konnten Studenten geraten, deren Eltern zu viel verdienten, um staatliche Unterstützung durch das Honnefer Modell zu erhalten, deren Familien aber zum Beispiel durch krankheitsbedingte Ausgaben nur die unbedingt erforderliche Unterstützung für das Studium möglich war.
In den ersten Semestern war dieses finanzielle Problem relativ gering, weil es in den Semesterferien leicht war, als Student einen gut bezahlten Job zu erhalten. Doch spätestens ab dem 6. Semester stieß man an eine Grenze, wo man die für die Jobs verwandte Zeit brauchte, um sich die fürs Examen erforderliche Wissensbasis zu schaffen.
Als ich den Punkt erreicht hatte, wo ich permanent studieren musste, um mein Examen zu bestehen, reichten meine finanziellen Mittel nicht mehr für einen Mensa-Besuch aus und ich erinnere mich in
dieser Zeit ein leichtes Hungergefühl verspürt zu haben, an das man sich freilich gewöhnte.
Ich werde zuweilen daran erinnert, weil ich mit meiner Frau in Marburg eine Pizzeria in einem Haus besuche, in dem ich als Student eine Zeitlang wohnte. Was meinen Sie wohl, wie gut es mir bei diesen Restaurantbesuchen in Erinnerung an jene karge Zeit schmeckt?
Aber dann ergab sich eine glückliche Wende durch einen Studienfreund, dem es materiell besser ging. Wir konnten mein Problem mit den Kosten des Mensaessens einfach lösen. Die betrugen damals 1,30 DM. Man konnte jedoch für eine Nachschlagsmarke für 0,30 DM eine ebenso große zweite Portion erhalten. Mein Freund holte sich die normale für 1,30 DM. Ich kaufte mir die preigünstige Nachschlagsmarke und holte mir mit seinem Teller sehr preiswertes Essen. Mein Studienkollege konnte mich aber noch weiter unterstützen, denn er war bereits verlobt und erhielt von seiner Braut des öfteren kulinatische Pakete, zu deren Verzehr er mich immer einlud. Ich konnte mich dafür revanchieren, indem ich ihm bei der Examensvorbereitung half.
Aber dann ergab sich ein Jahr vor meinem Examen eine glückliche Wende. Ich wurde der gutbezahlte Cerberus (Aufpasser) des Altphilologischen Seminars, der die Taschen derer kontrollierte, die das Institut verließen. Da diese nur alle paar Minuten meinem Argusauge ausgesetzt waren, konnte ich studieren und war am Ende gefühlt ein Krösus.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (19.08.21)
Ich bin mir sicher, dass finanzielle Engpässe ebenso zur Geschichte der Student*innen seit dem Mittelalter bis heute gehören, wie das Bücherwälzen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.08.21:
Merci, Trekan, wahrscheinlich haben die, denen es finanziell schlecht ging, die Zeit, die ihnen fürs Studium verblieb, mit größerer Leidenschaft genutzt.

 Willibald (19.08.21)
Das ist lustig, ich hatte ähnliche Probleme: Meine Eltern hatten mit erheblichen Schulden eine Eigentumswohnung gekauft. Das Stipendiumamt sah das als Vermögen.

Ich verdingte mich als Hauslehrer bei einem reichen Pelzhändler für seine zwei begabten Söhne, bis zu deren Abitur. Im altphilologischen Seminar sass ich an der Aufsicht im obersten Stockwerk, las in der Ars Poetica und trieb physiognomische Studien.

Wir waren eher seltsame Gestalten , schien mir. Als endlich eine Ausnahmerscheinung auftauchte, die einem BWL-Studenten glich, wollte ich gerade Ausnahmen in meiner Hypothese zulassen . Da kam er zum Ausgang, wandte sich nach dem Taschenkontrollblick zur Tür und warf die Füße so hoch, dass ich die Schuhsohlen sehen konnte. Sie waren feuerrot wie Teufel.

An jenem Tag ging ich nicht in die Mensa zum Mittagessen, sondern genehmigte mir in der "Hexenküche " der Amalienstrasse ein körniges Schnitzel.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 19.08.21:
Hallo Willibald, die Parallelen sind erstaunlich. Ich war übrigens Hauslehrer auf einem großen Bauernhof bei Münster, der 7km von der Uni entfernt war.. Mittags musste ich wegen der zu unterrichtenden Kinder selbstverständlich wieder auf den Hof zurück. Nachmittags fuhr ich zu den Seminaren und wenn ich abends meine Freundin in Münster noch besuchte, fuhr ich an solchen Tagen mit meinem Fahrrad 42 km. Das förderte meine Gesundheit und ich zehre heute noch davon.

 Graeculus schrieb daraufhin am 19.08.21:
Bemerkenswert, wie sich drei Altphilologische Seminare (in Köln: Institut für Altertumskunde, IfA) hier gleichsam die Hand reichen.

 Willibald äußerte darauf am 19.08.21:
Ja, und Regina hat einen lateinischen Glockenspruch.

 Graeculus ergänzte dazu am 19.08.21:
Ein seltsames Latein.

 Willibald meinte dazu am 20.08.21:
Ja, aber du konntest der "Homonymenflucht" doch etwas abgewinnen?

 Regina (19.08.21)
Interessant, das Problem und wie es sich löste. Es ist eine Lebenserfahrung, dass die meisten Probleme sich lösen und man kann darauf einigermaßen vertrauen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.08.21:
Merci, Gina, ja, diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Es kommt freilich darauf an, die Lösung beim Schopf zu ergreifen, wenn sie sich zeigt.

 Moja (19.08.21)
Studium und Zuckerschlecken, lieber Ekki? Oh doch, unser Hauptgericht bestand aus Spagetti begossen mit heißer Margarine und Zucker drüber, wenn wir wieder mal die Essenszeit in der Mensa verschlafen hatten, wo sowieso alles gleich schmeckte. Ansonsten endlos Möhreneintöpfe, aber feiertags gingen wir fürstlich speisen: Bauernfrühstück für 2,30 Mark in der Bahnhofsgaststätte. Mit einer Hauswartsstelle (2 Aufgänge fegen und wischen, Schnee schippen) und nebenbei putzen bei einer alten Dame hielt ich mich über Wasser, Klamotten nähte und strickte ich mir selbst, der Tag hatte damals in den 70ern noch 48 Stunden.

Mit Vergnügen las ich Deine Erinnerungen und grüße Dich schmunzelnd!
Moja

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.08.21:
Grazie, Moja, beeindruckend, dass du deine Klamotten selbst genäht hast. Dazu wäre meines Wissens keiner meiner Kommilitonen in der Lage gewesen.
Tatkräftige Grüße
Ekki

 harzgebirgler (19.08.21)
"Wenn du glaubst es geht nicht mehr,
kommt von irgendwo ein Lichtlein her!"

LG
Henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.08.21:
Merci Henning,
wenn ein alter Spruch an der richtigen Stelle zitiert wird, strahlt er wie neu.

LG
Ekki
Terminator (41)
(19.08.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.08.21:
Hallo Jack,
selbstverständlich können die Inhalte unserer Texte verbinden, aber wenn man so etwas Persönliches erfährt, kommt einem der Autor noch ein bisschen näher.
LG
Ekki

 AZU20 (19.08.21)
Zuckerschlecken war es bei mir auch nicht, doch ich hatte auch ähnliche Glücksfälle. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.08.21:
Merci, Armin, es scheint so, dass die Meisten trotz harter materieller Bedingungen mit ihrem Studium zufrieden waren.
LG
Ekki

 Didi.Costaire (19.08.21)
Mal wieder eine interessante Anekdote aus der "guten" alten Zeit, Ekki.

Schöne Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.08.21:
Merci, Dirk, ich vermute, dass man sich für die Bewältigung von Gegenwartsproblemen den Rücken freihalten will und deshalb zurückliegende Zeiten, die nicht einfacher waren, harmonisiert.
Liebe Grüße
Ekki
Agnete (66)
(20.08.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.21:
Merci,Agnete. Rückblickend ist interessant, dass damals die, die wie wir mit sehr geringen finanziellen Mitteln studieren mussten, nicht im öffentlichen Gespräch waren. Heute würde man mehr Aufhebens um sie machen.
LG
Ekki
Agnete (66) meinte dazu am 21.08.21:
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