Grimmer

Dokumentation

von  Fridolin


Gestern nach einer gemeinsamen Besprechung am Elterngrab ging ich durch die Reihen des Friedhofs und vorbei am früheren Grabplatz guter damaliger Nachbarn: dem Ehepaar Albert & Kätchen Grimmer, denen immer ein Memento meinerseits gehört. Ich musste feststellen: das Grab ist eingeebnet. Darum ist es mir ein Bedürfnis über die beiden etwas zu hinterlassen, ist doch – nach meiner Meinung – ihr Leben in großen Zügen gerade für die heutige Zeit von beispielhafter Bedeutung.

Grimmers waren Nachbarn in Amorbach beim Schuhgeschäft Löhrstr., dem Elternhaus von Vater. Verbunden waren die beiden Häuser durch einen gemeinsamen Hofraum und die entsprechenden Hinterausgänge. Für „sie“ das Elternhaus – in dem noch der betagte Vater Fertig lebte und von ihnen betreut wurde. Seine geräumige Wohn/Schlafstube mit 2 Fenstern zur Straße war der ideale Austrag. Man würde heute das Dasein als im besten Sinn des Ausdrucks „betreutes Wohnen“ bezeichnen. Grimmer selbst, von Beruf Postbote, war nicht allein von Berufs wegen stadtbekannt, sondern mehr noch durch seinen langjährigen Dienst im Roten Kreuz. Für das kinderlose Ehepaar war das kein Hobby oder Freizeitbeschäftigung, sondern etwas wie eine Lebensaufgabe. Wenn in seiner Familie irgend ein gesundheitliches Problem entstand (meist beim Nachwuchs) dann zog man Grimmers zu Rate und fand dort Rat und Hilfe. Erst wenn man es ihrerseits für angezeigt hielt, zog man den Arzt, meist unsern unverdrossenen Dr. Meyer zu Rate. Ob es nun Bauchweh oder ein aufgeschlagenes Knie, ein eitriger Finger oder Ohrenschmerzen waren, „Grimmer“ wusste Rat und Hilfe und das kostenlos. Mir ist als ob ichs heute noch höre : „schnell, geh zum Grimmer“. Und trotz allem – Grimmer kannte seine Grenzen. Darüber hinaus waren beide hübsche, sympathische Menschen und meist guter Laune. Ich sehe sie vor mir: „Sie“ eine eher etwas rundliche Schwarzhaarige, wellige Haare, mittlerer Größe – er groß, schlank und gesunde Gesichtsfarbe, aber weißhaarig.

Gäbe es heute mehr „Grimmers“, dann existierte wohl kein Problem mit der Krankenkassenreform. Gelegentlich ein kleiner Betrag fürs R.K. konnten selbst die ärmsten Familien aufbringen und war zudem keine Vorbedingung für erste Hilfe.

Für mich persönlich waren Grimmers darüber hinaus noch etwas mehr. Als sechstes unter 8 Kindern fand ich wohl bei allem guten Willen von Mutter und Tante nicht immer das rechte Maß von Zuneigung daheim. Dann war Grimmers Küche meine Zuflucht. Auf ihrem Schoß wurde dann mein Weltbild wieder klar und in der Wärme ihrer Umarmung und einem fröhlichen Wort von ihm wurde alles wieder gut. Ich erinnere mich deutlich eines Vorfalls.

Die jüngste Schwester meines Vaters „Tante Anna“ heiratete. Eine Hochzeit war für uns Kinder etwas ganz besonderes und ich sollte als Blumenmädchen vor dem Paar im Hochzeitszug Blumen streuen. Wunderbar für mich, wenn – ja wenn nicht der Bräutigam gewesen wäre. Den konnte ich nämlich partout nicht leiden. Es gab keinen rationalen Grund dafür. Ich wehrte mich zum Unverständnis meiner Familie dagegen. Da schlug Frau Grimmer vor, ich könnte nach der Trauung doch bei ihnen – also im Nachbarhaus bleiben. Und so geschah es dann auch. Mein Hochzeitsessen usw. wurde mir ins Nebenhaus gebracht und mein Festtag war es also, einen ganzen Tag bei Grimmers bleiben zu dürfen. – Wenn ich auch ihr Grab nicht mehr besuchen kann – in meinem Herzen werden Grimmers immer einen ganz eigenen Platz behalten.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (14.03.22, 05:47)
Dieser Nachruf ist gut gelungen und würde in einen Roman passen. Da müsste dann als nächstes irgend ein signifikantes Ereignis stehen.
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