Großvater Berberich

Dokumentation

von  Fridolin


Beim Blättern in meiner Familienchronik bringt mich ein Blatt immer besonders zum Nachdenken und zwar der Eintrag über meinen Großvater Berberich, Ignaz, *21 Sept. 1842, gest. 27. Okt. 1905.

Was mir Mutter und Tante über ihren Vater erzählten, bringt mich zu der Annahme, er war eine Persönlichkeit eigener Prägung, und ich bedauere sehr, nicht mehr nach ihm gefragt zu haben, als seine Kinder noch lebten. Immerhin weiß ich doch genug, um mir ein Bild zu machen. Von Beruf Schreinermeister arbeitete er erfolgreich und offenbar mit Lust und Liebe in seiner Werkstatt in einem älteren Haus mit Werkstatt, das gegenüber unserem Elternhaus lag und in meiner Kindheit von einer Frau Riffler (die Rifflers-Bas) bewohnt wurde. Das war wohl kein Maschinentempel. Hier entstand exklusive Handarbeit. Ja selbst Großmutter musste oft mitarbeiten, wenn es ums Polieren von solchen Stücken ging. Im Lauf der Zeit erweiterte sich sein Kundenstamm über Mundpropaganda über den Odenwald bis zum Rhein nach Ludwigshafen und Mannheim und weiter.

Beachtenswert, unter welchen Umständen sich der Geschäftsverkehr abspielte. Bestellung erfolgte persönlich oder später schriftlich aufgrund seiner Zeichnungen. Bezahlung bei Erhalt der Möbel. Die Lieferung musste per Fuhrwerk erfolgen und wurde teils von ihm persönlich begleitet und abgewickelt. Dazu fuhr er nun nicht mit dem Fuhrwerk, sondern er ging zu Fuß die ganz Strecke. Ich kann nur vermuten, was seine Gründe dafür waren. Eisenbahnverbindung gab es erst mal noch nicht, noch viel weniger Benzinkutschen. Pferde besaß er auch nicht. Allerdings lag am Wege die Walkmühle bei Kirchzell, und über die verwaisten Kinder auf diesem Besitz war er Vormund. Also hielt er dort Einkehr und sah „nach dem Rechten“. Es muss ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden haben, denn ich erinnere mich, dass die Nachkommen dieser Kinder mit Mutter und Tante freundschaftlichen Verkehr pflegten.

Dieser Mann hatte selbst 4 Kinder und betreute amtlich autorisiert eine wechselnd große Zahl Waisen, und zwar intensiv, wie mir von Mutter und Tante versichert wurde. Zum anderen muss ihm der Fußmarsch durch den Odenwald wohl gefallen haben und eine Freude gewesen sein. Der Rückweg freilich war doch etwas gefährlich, denn er führte ja die Bezahlung mit sich, die er kassiert hatte. Nicht zu vergessen – er sparte dabei auch einiges und kam mit den Jahren zu einem beachtlichen Vermögen. Aus seiner Werkstatt kamen künstlerisch wertvolle Möbel, was man aus den Stücken, die noch heute in der Familie und in bestem Zustand sind und mit Schnitzereien (wie damals Mode war) verziert. Auch die Schnitzereien kamen teilweise aus seiner Hand, teilweise auch aus einer anderen Werkstatt. Ich besitze noch zwei Engelsköpfe aus Nussbaum, die als Kopfstücke die Ehebetten meiner Eltern krönten. Die Gestelle aus Nussbaum waren wurmig und unbrauchbar, die Schnitzereien nach Behandlung noch schön und zieren nun die nüchtern glatten Bettgestelle unserer Ehebetten. Es existieren außerdem noch ein wunderbarer Schreibschrank im Besitz von Neffe NN, ein Waschtisch (Nussbaum) mit Marmoraufsatz, dazu ein dito Nachttisch, bei mir eine polierte Nussbaumkommode, und bei Elli ein Schreibtisch (geschnitzte Löwenfüße und eingelegte Platte), dazu ein Schreibsessel in der gleichen Ausführung und geschnitzter, lederbezogener Kopf- und Armlehne im Besitz von Bruder Karl, und einige sonstige Stücke. – Ja – man kann diesen Stücken ansehen, was damals Usus war. Man schaffte Möbel an, die eine Familie durchs Leben begleiteten, und die heute noch Atmosphäre besitzen.

Dieser Mann musste – so meine Vermutung – durch den Kriegsdienst 1866 und 1870/71 zur Teilnahme am öffentlichen Leben motiviert worden sein. Zum Amt des Waisenvormunds kam für 14 Jahre der Dienst als Stadtrat in Amorbach.

Um die Jahrhundertwende wagte er, da er in seinem Sohn Josef einen Nachfolger hatte, noch die Mechanisierung seines Betriebes. Voraus ging der Erwerb des stattlichen Wohnhauses (Fachwerkbau) mit Garten Miltenbergerstr. 23 gegenüber dem alten Betrieb. Neben der Einfahrt „Hotel Badischer Hof“ entstand auf einem Teil des Gartengrundes ein Wohnhaus mit Werkstatt im Erdgeschoss und im Rückbau über zwei Stockwerke mit den damals modernen Maschinen ausgerüstet. Dazu ein zweistöckiges Holz- und Materiallager.

Über den Fortgang der Fertigung ist mir nicht viel bekannt. Er erfolgte unter seinem Sohn Josef. Ignaz Berberich erhielt bei einer Faschingsveranstaltung im Badischen Hof mit einer der damals üblichen Holzpritschen“ einen Schlag auf den Kopf. Seit dieser Zeit quälten ihn über sechs Jahre lang unsägliche Schmerzen. Die ärztliche Diagnose: Gehirnerweichung. Ich vermute, es war wohl ein Tumor. Seine Töchter Anna und Maria pflegten ihn, mit seiner Frau Barbara. Am 27. Okt 1905 schloss er die Augen und wurde im Tode wiedervereint mit seiner Frau Barbara geb. Link, die am folgenden Tag, am 28. Okt 1905, nach einem Hirnschlag starb.

Wie aufgeschlossen er für die Emanzipation der Frau schon damals war, erhellt aus der Tatsache, dass er strikt auf die Ausbildung seiner Töchter achtete, was zu dieser Zeit in einer Kleistadt nicht unbedingt Usus war, und die Möglichkeiten zudem begrenzt. Elise (später Müssig) wurde im Hotelfach (Kochen usw.) ausgebildet, Maria (unsere Tante) erlernte Wäsche nähen, die sogenannte Weißnäherei in Miltenberg. Wenn sie mich im Internat in Miltenberg besuchte, stand meist auch ein Besuch im Haus ihrer Meisterin Breitenbach auf dem Programm. Frau Burkard, deren Tochter, erzählte mir oft, wie man diesen Beruf damals schätzte. Meine Mutter erlernte den Beruf der Damenschneiderin bei Frau Jakob in Amorbach und legte ebenfalls die Prüfung darin ab. Bis auf wenige Ausnahmen wurde unsere Kleidung im Haus hergestellt. Wie sehr sich das rechnete, wird einem bewusst, wenn man sich vor Augen hält, dass unsere Familie lange Jahre dreizehn Köpfe zählte. Ich erinnere mich, dass ich im Alter von 16 Jahren zum ersten Mal ein fertig gekauftes Kleidungsstück bekam, nämlich einen Wintermantel.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (14.03.22, 10:56)
Hinweis: "die ganz Strecke"
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