Der Mathelehrer mit der verstümmelten Hand (Blumento Pferde)

Kurzgeschichte zum Thema Schule/ Studium

von  Koreapeitsche

Auf dem Gymnasium für Jungen und Mädchen herrschte meistens ein harter, fast schon militärischer Umgangston. Die Lehrerschaft war straff organisiert, die Anzahl der Lehrerinnen war deutlich geringer als die der Lehrer. Dem Direktor wurde nachgesagt, dass er ein Schreckensregime führen würde. Der Konrektor war ein kräftiger untersetzter Mathe- und Sportlehrer, der das Talent besaß dermaßen laut zu schreien, dass die Schüler anfingen zu zittern und nicht mehr wussten, ob sie lachen oder weinen sollten. Er galt als der strengste Lehrer an der Schule. Sein Unterkiefer schaute ein wenig hervor und beim Sprechen hörte man ihm manchmal an, dass er sich beim Schreien verausgabt hatte. Er konnte den Mund nicht richtig öffnen, da seine Kiefermuskulatur ständig verkrampft war. Doch das erschreckende an ihm war: er hatte eine verstümmelte Hand. Ihm fehlten zwei Finger, und es hieß, er hätte diese im Krieg verloren. Das wäre auch alles gar nicht so schlimm gewesen, denn zu der Zeit hatten noch viele ältere Männer Kriegsverletzungen. Doch das fiese an diesem Mathelehrer war, dass er sich häufig ein paar Schüler herauspickte, denen er selektiv oder präventiv mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Zwar wussten alle, dass er eine verstümmelte Hand hatte, jedoch wusste niemand der so geschlagenen Schüler später noch, ob er mit der heilen oder der versehrten Hand zugeschlagen hatte, weil alles so schnell ging. Wenn in der Schule etwas vorgefallen war, das nicht aufgeklärt werden konnte, so suchte sich der Mathelehrer einfach jemanden aus der Klasse heraus, fragte noch:

„Warst du das?“
und schlug diesem mit voller Wucht ins Gesicht, egal ob der Schüler mit nein oder überhaupt nicht antwortete.
Er wurde von allen Schülern gefürchtet, zumal sich bei ihm Brutalität und Sanftmut abwechselnd zeigten. Er konnte durchaus liebevoll mit den Schülern sprechen, hatte auch Humor und konnte einige Schüler zum Schmunzeln, ja sogar zum Lachen bringen.
Doch sein Humor war häufig fehl am Platze, da seine Wortspiele mit Mathematik überhaupt nichts zu tun hatten. Er brachte zwar viele Standardsprüche, die zum Mathematik-Unterricht passten, so sagte er häufig:

„Ausnahmen bestätigen die Regel.“
Doch er äußerte auf der anderen Seite Sprüche wie

„Man lernt alles, auch den Genitiv.“ Berühmt-berüchtigt waren seine Denksprüche wie

„Was sind Blumentopferde?“
Er sprach dabei das Wort so aus, als handelt es sich dabei um Pferde. Doch die Lösung war „Blumentopf-Erde“ und nicht Blumento Pferde“. Ein weiteres Rätsel, das er im Mathe-Unterricht aufgab war:

„Die Kuhliefumdenteich.“ Die Schüler verstanden

„Die Kuhlie fumden Teich,“
und wunderten sich, was sich dahinter verbergen könnte. Die Schüler, die von ihm nie geschlagen wurden freuten sich schon, während die anderen bereits den nächsten Tobsuchtsanfall des sich ständig wandelnden Lehrers fürchteten. Schließlich verriet er die Lösung:

„Die Kuh lief um den Teich.“
Diese Witze, die er von sich gab, wirkten auf einige der Schüler diabolisch. Es schien, als wollte er die nach einem seiner Tobsuchtsanfälle verspielte Aufmerksamkeit und Sympathie zurückbeordern. Doch es schlug fehl, auch wenn einige der Schüler gezwungen lachten. Einer der Schüler wagte es einmal, nachdem er von ihm geschlagen wurde, im Affekt zurückzuschlagen. Er war einer der größten in der Klasse und brachte endlich den Mut dazu auf. Er flog postwendend von der Schule. Keiner der Lehrer setzte sich für ihn ein, und er wurde auf die Realschule querversetzt. Ein anderer Schüler behauptete einmal, dass der Mathelehrer unter einem Kriegstrauma leide und deshalb regelmäßig seine Aussetzer habe. Er sagte es nicht ohne Furcht vor diesem Lehrer.
Doch das fürchterlichste war, dass er den Schülern mit seiner kaputten
Hand kleine Spielchen vorführte. Er hielt die Hand wie ein Puppenspieler vor den Oberkörper, so dass jeder sie sehen konnte, nahm die Unversehrte und faltete einen Finger ein und legte diesen auf die Abtrennstelle eines der verlorenen Finger, so dass es aussah, als säße ein neues Fingerglied auf dem Fingerrumpf. Jetzt hob er den unversehrten eingefalteten Finger mehrmals nach oben, so dass der Täuschungseffekt entstand, als trenne er fortwährend ein Fingerglied ab und setzte es danach wieder auf die Bruchstelle. Er sagte dazu einen Spruch auf. Dasselbe machte er schließlich mit einem anderen Finger an einem weiteren abgetrennten Glied. Es war ein kleines Horrorszenario und die Schüler wussten nicht recht, wie sie darauf reagieren sollten. Einige der Schülerinnen lachten eher aus Anstand und Schamgefühl. Die meisten Jungen hingegen hüllten sich in Schweigen. Unmittelbar nach diesem makaberen Intermezzo ging es mit dem Mathematik-Unterricht weiter: Assoziativ- und Kommutativgesetz.
„Punktrechnung kommt vor Strichrechnung.Aber: erst die Klammer ausrechnen!“

Der schlagende Mathelehrer konnte bis zur Pensionierung an der Schule weiter unterrichten, zuletzt eben als Konrektor. Er lebte mit der Schulsekretärin zusammen und galt als die autoritäre Kraft in der Schule. Er vermochte das Lehrerkollegium mit seiner brutalen Art zu prägen. Und er fand unter den männlichen Kollegen viele Nachahmer. Auch nicht ein einziger der Lehrer wagte es, den Brutalo-Lehrer zu kritisieren. Niemand verstand, dass dieser Pauker sich regelmäßig strafbar machte, als sei die Schule ein Ort, an dem das Strafgesetzbuch keine Gültigkeit besitzt. Wenn überhaupt, wagten es die Schüler sich erst nach dem Schultag über den Lehrer kritisch zu äußern. Andere verherrlichten seine Brutalität und lästerten über seine Opfer. Erst Jahre später wurde festgestellt, dass von den misshandelten Schülern nur die wenigsten ihr Abitur an dieser Schule schafften, sie alle galten als Außenseiter, die beim Lehrerkollegium unten durch waren. Die Bestrafungen vom Mathelehrer galten als fortwährender Makel.

Es reichte damals aus, mit einem unakzeptablen Haarschnitt, einem politischen T-Shirt oder einem markanten Outfit in der Schule zu erscheinen, um den Zorn des Mathelehrers auf sich zu ziehen. Erst nach dem Tod des Lehrers fühlten sich viele der Ex-Schüler stark genug, über ihre Negativerlebnisse an dieser Schule zu berichten.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (29.05.22, 09:27)
Nun, ordentlich runtererzählt, aber es fehlt das Besondere oder ein Antagonist oder irgendeine Klimax, whatever: Der Text ist ein wenig fade, wenn auch viel besser als das meiste, was derzeit bei kV zu lesen ist.

Kommentar geändert am 29.05.2022 um 09:28 Uhr

 Quoth (29.05.22, 11:17)
Hallo Koreapeitsche, was mir gefällt, ist die verwundert staunende Haltung des Erzählers, der den Tyrannen zwar verurteilt, aber auch ein wenig, ein ganz klein wenig widerwillig bewundert. Eine lesenswerte Schulerinnerung!
Gruß Quoth
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