Georg Meier, Eigentümer eines kleinen Baugeschäftes, sitzt auf seinem Klo in der selbsterbauten Villa im Stadtteil Herdern in Freiburg. Die Auftragslage ist dürftig. Es sind kaum noch Bauplätze zu bekommen. Sein Geschäft macht ihm Sorgen. Er drückt und drückt - hat mal wieder Verstopfung. Da nichts geschieht greift er erst einmal zur Lektüre, die seine 24-jährige Tochter Ulrike bei ihrem Wochenendbesuch versehentlich liegengelassen hat. Es ist der vor längerer Zeit herausgekommene Bestseller „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche, der jetzt sein Dasein auf dem Klo fristet. Georg erinnert sich an eine sehr kontroverse Diskussion über das Buch im Fernsehen, in der auch Lesungen mit der Autorin vor vollen Sälen gezeigt wurden. Das Publikum bestand überwiegend aus jungen Frauen in den Zwanzigern.
Er schlägt das Buch auf und vertieft sich in die Lektüre. Beim Lesen vergisst er den eigentlichen Zweck seiner Sitzung. Roche berichtet unter anderem von ihren bisherigen sexuellen Erfahrungen, ihrer Einstellung zu Menstruationsblut, Urin, Eiter, Sperma und von ihr angewendeten Selbstbefriedigungspraktiken. Die Drastik bei der Schilderung ekelt, aber fasziniert ihn auch. Ein mutiges Buch. Nach sechzig Seiten quer durch fällt ihm ein, dass er scheißen wollte. Hurra, es klappt endlich. Auch Bücher können anregen. Plötzlich hat er eine bizarre Idee. Er geht zurück ins Wohnzimmer und setzt sich in den Sessel gegenüber dem Sofa, auf dem seine Frau sitzt und ihren Nachmittagstee trinkt.
„Was hast du denn solange auf dem Klo gemacht“, fragt Erna.
„Ach, ich mache mir solche Sorgen wegen unserer Auftragslage und konnte meine Scheiße im wahrsten Sinne nicht loslassen. Kennst du das Buch „Feuchtgebiete“?“
„Wie kommst du denn darauf? Ich hab es nicht selber gelesen, aber Ulrike hat mir davon vor einiger Zeit erzählt. Ich ekelte mich davor, was sie erzählt hat. Aber sie fand das Buch interessant, weil die Autorin endlich mal Themen angesprochen hat, die junge Frauen beschäftigen. Sie meinte auch, unsere Generation sei so verklemmt.“
Georg erzählt ganz aufgeregt: „Du, ich habe eine Idee. Wenn ich freitags nach dem Tennisspielen anschließend in der Sauna sitze, komme ich mir irgendwie auch sehr altertümlich und etwas verklemmt vor. Da sitzen junge Frauen und Männer aus dem Fitnesszentrum mit völlig blanken und glatten Körpern, keine Haare weit und breit, außer auf dem Kopf. Männer manchmal selbst das nicht. Meistens noch ein oder mehrere Tattos an Stellen, die du dir nicht vorstellen kannst. Ich komme mir dann wie ein behaarter Affe vor. So eine frisch rasierte Scham hat doch was, oder?“
„Nun lass mal gut sein“, empört sich Erna.
Georg fragt völlig euphorisiert: „Was würdest du zu einem Doppelklo sagen?“
Erna ist perplex und lässt ein imaginäres Fragezeichen in die Luft entschweben.
„Ein Doppelklo“, wiederholt Georg.
„Du meinst ein Gästeklo?“
„Nein, ein Doppelklo!“
Georg ist jetzt nicht mehr zu bremsen und erläutert seine Idee: „Wegen der Räume, man braucht größere Räume dafür.“
Erna bleibt der Mund offen stehen.
„Wenn die Leute Doppelklos wollen, müssen sie größere Räume installieren. Bauen lassen! Von uns!“, erläutert Georg. „Schau doch mal, die jüngeren Menschen haben doch einerseits immer weniger Schamgefühl und zeigen sich blank ohne jede Behaarung und andererseits jubeln junge Frauen Charlotte Roche zu, da sie auf bestehende Tabuisierungen in der Gesellschaft hinweist und übertriebene Reinlichkeitsvorstellungen kritisiert. Das Hauptproblem vieler Frauen neben Komplexen bezüglich ihrer Figur und Hemmungen im Umgang mit ihrer eigenen Körperlichkeit wird durch sie entlarvt. Das gefällt den jungen Frauen. Roche fordert einen offenen und weniger verkrampften Umgang mit der Sexualität und dem eigenen Körper.“
„Da ist, wenn ich an unsere Tochter so denke, wohl etwas dran“, muss Erna zögerlich zugestehen.
Georg fährt fort: „Die Bevölkerung ist komplett mit Smartphones und anderen Internetutensilien gerüstet, sozusagen total kommuniziert. Alle haben viele Netz-Freunde, nur körperliche Nähe findet kaum mehr statt.“
„Na, nun mal halblang“, wirft Erna ein. „Mit deiner Nähe zu mir ist ja auch nicht mehr viel her.“
„Die, die noch Arbeit haben und viel Geld dazu, leben so dahin und wissen nicht recht, was noch anzuschaffen sich lohne“, übergeht Georg die Bemerkung. „Das Doppelklo ist sozusagen die Erlösung. Es müssen neue Räume, größer als je zuvor, geschaffen werden - für diesen Ort der Einkehr und Besinnung. Bleibt nur noch die Frage: Wie können wir erreichen, jeweils zu zweit diesen Ort zu besuchen. Da muss ein ausgeklügeltes Werbekonzept her.“
„In unser Haus kommt kein Doppelklo“, empört sich Erna, lenkt dann aber seufzend ein: „Na, vielleicht …, dann mach´ mal.“
Georg geht in sein Büro und überlegt: Die Pfadfinder- und Militärzeiten mit ihren primitiven gleichgeschlechtlichen Donnerbalken sind längst vorbei. Doch unsere Notdurft gemeinsam verrichten! Das hat doch was und passt in diese verrückte Zeit. Düfte sich mischen, Geräusche sich treffen, Blicke umgehen oder intim verschmelzen an diesem Ort des Loslassens ins Klo.
Die Wirtschaft, sanitär betrachtet, würde expandieren, die Bauindustrie gar sich extrapolieren. In jede zweite Wohnung ein Doppelklo. Für die Reichen auf Abstand, die Distinguierten Rücken an Rücken, die Armen eng beieinander, die Verliebten verschachtelt. Oder drehbar flexibel, wenn die Gefühle sich ändern. Bleibt das Problem des sychronisierten Fäkalierens, Urinierens oder auch Kotzens im Doppel.
Georg kehrt ins Wohnzimmer zurück und fragt Erna: „Wie können wir nur erreichen, dass die Menschen gemeinsam aufs Klo gehen?“
Erna nun doch angetan von der Idee meint: „Gleichzeitig essen und trinken löst nicht das Problem. Da sind vielleicht Biologen und Ärzte gefragt, die Gene entsprechend zu manipulieren.“
Georg gerät ins Schwärmen. „Welch´ Märkte tun sich da auf! Nur, was ist, wenn beide wollen aufs selbe Klo?“
„Dann gibt es wohl Streit oder man muss eine Regel finden.“
„Was ist mit Gästen, mit denen man nicht gern intim?“
„Da gibt es das dritte, ein Notklo für Gäste in einer Extrakammer, veraltet als Einsitzer wie im vorigen Jahrhundert.“
„Was macht die Industrie mit den vielen Singles?“
Jetzt bekommt auch Erna einen fraulich-kreativen Schub: „Die Hochzeitswelle wird angekurbelt. Wenn das im einzelnen Fall nicht klappt, dann wird es den Singles schmackhaft gemacht, mal das eine, mal das andere vom Doppelklo zu benutzen. Vielleicht der eine Sitz golden, der andere silbern, oder der eine aus Holz, der andere in Plastik, der eine nackt, der andere flauschig mit Stoff überzogen. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt.“
Georg ist begeistert, meldet sämtliche Ideen als Patente an und versichert:
„Der Po bleibt auf dem Klo“.