Wie reagieren Sie auf Kitsch zu Weihnachten?

Ansprache zum Thema Weihnachten

von  EkkehartMittelberg


Als Jugendlicher reagierte ich sehr allergisch auf Kitsch. Diese Abwehr wurde dadurch ausgelöst, dass meine Eltern, beginnend mit dem 1. Advent bis Silvester, mit mir und meinen Geschwistern süßliche Weihnachtslieder rauf und runter sangen, weil sie glaubten, uns einen Gefallen damit zu tun. Meinem jüngeren Bruder gefiel das, meine kleine Schwester war indifferent und meine Einwände gegen das Übermaß verhallten erfolglos. Ich musste mitmachen, was mich besonders nervte, wenn unser Familienchor durch Bekannte ergänzt wurde, die falsch sangen.

Wenn man der Definition von Kitsch durch Walter Killy folgt, der Kitsch im Wesentlichen durch ein Übermaß gefühlsauslösender Reize definiert sieht, wurde ich damals doppelt für meinen Protest „bestraft“, einmal durch den Kitsch selbst und zum anderen durch dessen übermäßige Wiederholung.

Als ich später Literaturwissenschaft studierte, wurde ich toleranter gegenüber Kitsch, weil ich erkannte, dass der meistens als Gegensatz zu Kunst verwendete Kitschbegriff deshalb auf unsicherem Fundament steht, weil die Auffassungen von Kunst sich sehr unterschieden.

So sehen übrigens derzeitige Versuche aus, Kitsch zu definieren:


Als psychologische oder soziale Attribute solcher als kitschig bezeichneten Empfindungen nennt die Kritik: Konfliktlosigkeit, Kleinbürgerlichkeit, Massenkultur, Verlogenheit, Stereotypisierung, Zurückgebliebenheit, Wirklichkeitsflucht, falsche Geborgenheit oder etwa „dümmlich Tröstende(s)“ (Adorno). Hans-Dieter Gelfert unterscheidet in Was ist Kitsch? den niedlichen, gemütlichen, sentimentalen, religiösen, poetischen, sozialen Kitsch, Naturkitsch, Heimatkitsch, Blut-und-Boden-Kitsch, mondänen, sauren, erotischen Kitsch, Gruselkitsch, erhabenen Kitsch, Monumentalkitsch, patriotischen, ideologischen Kitsch und Einschüchterungskitsch.[...]

Vielmehr erscheint die Definition von Kitsch an die Definition von Kunst unauflöslich gebunden. Je undeutlicher der Begriff von Kunst, desto unfassbarer der Kitsch, denn es ist schwer bestreitbar, wie etwa Umberto Eco einwirft, dass die der Kunst zugeschriebenen Wirkungen – wie Anstöße zum Denken, Erschütterung, Emotionen – ebenso von Kitsch ausgehen können.“ (Wikipedia)

Sie sehen, ich bin weit davon entfernt, in bildungsbürgerlicher Tradition Kitsch als Totschlagargument zu benutzen.

Dennoch war ich über mich selbst überrascht. Ich wachte dieser Tage auf mit einem kitschigen zu Weihnachten daheim oft gesungenen Lied auf den Lippen „Aber Heidschi Bumbeitschi“. Dies gehörte zu den Ohrwürmern, die zur Weihnachtszeit in meiner Jugend zuhause bis zum Abwinken (meine Empfindung) gesungen wurden. Ich war neugierig, wie das Lied heute interpretiert wird und habe es bei Spotify gegoogelt. Dazu fand ich folgende Erläuterung:

Heidschi Bumbeidschi

Heidschi Bumbeidschi ist ein deutschsprachiges Volkslied in bairischer Mundart, das seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Bayern und Österreich überliefert ist. Es wird häufig als Wiegen- oder gelegentlich auch fälschlich als Weihnachtslied bezeichnet. Allerdings ist das Lied textlich mehrdeutig“ (Wikipedia)


Hier haben sie den leicht modernisierten Text, falls Sie sich nicht mehr erinnern:

."Aba Heidschi Bumbeidschi"Hier haben sie den leicht modernisierten Text, falls Sie sich nicht mehr erinn


Aber heidschi bumbeidschi, schlaf lange
Es ist ja dein Mutter ausgangen
Sie ist ja ausgangen und kommt nimmer heim
Und lässt das klein Büabele ganz allein
Aber heidschi bumbeidschi bum bum
Aber heidschi bumbeidschi bum bum

Aber heidschi bumbeidschi, schlaf süße
Die Engelein lassen dich grüßen!
Sie lassen dich grüßen und lassen dich frag'n
Ob du in Himmel spazieren willst fahr'n
Aber heidschi bumbeidschi bum bum
Aber heidschi bumbeidschi bum bum

Aber heidschi bumbeidschi, in Himmel
Da fährt dich a schneeweißer Schimmel
Drauf sitzt a kleins Englein mit einer Latern
Drein leucht' vom Himmel der allerschönst' Stern
Aber heidschi bumbeidschi bum bum
Aber heidschi bumbeidschi bum bum

Der Heidschi bumbeidschi ist kommen
Und hat ma mein Büable mitnommen
Er hat ma's mitnommen und hat's nimmer bracht
Drum wünsch' ich meim Büaberl a recht gute Nacht
Aber heidschi bumbeidschi bum bum
Aber heidschi bumbeidschi bum bum


Helene Fischer & Heintje - "Aba Heidschi Bumbeidschi" songtext | Lyrics at AZLyrics.com


Wenn dies auch kein Weihnachtslied ist, ist es dennoch typisch, dass es immer wieder zusammen mit süßlichen Weihnachtsliedern gesungen wird.


In meiner Nachbarschaft gibt es Weihnachtsbeleuchtung, die das ganze Repertoire illuminiert vom Weihnachtsmann mit den niedliche Rentieren bis zum scheuen Rehlein. Ich weiß, dass das Kitsch ist und frage mich, ob es Kitsch gibt, der sich selbst parodierend wieder schön ist, und ich sehe das ganz gelassen, ja ich genieße es.




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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (17.12.22, 01:22)
Ich erfreue mich jedes Jahr am weihnachtlichem Kitsch und diejenigen, die ihn bereit stellen machen es gern. Es werden weder Stromkosten gescheut noch am künstlichem Schnee gespart. Umwelt ade, aber mir gefällt es trotzdem. Dieser Kitsch erzeugt in mir ein Staunen, Wärme und immer ein Lächeln.
Zuviel davon erzeugt in mir beim Freuen ein schlechtes Gewissen. Es ist halt auch Verschwendung.

Weihnachtliche Grüße
Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.12.22 um 10:56:
Grazie, Alma Marie. Mir geht es genau so. Vielleicht gehören kleine Inkonsequenzen zu einem lebenswerten Leben.
Weihnachtliche Grüße zurück
Ekki
Taina (39)
(17.12.22, 09:02)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 17.12.22 um 10:58:
Merci, taina,
sehr  knapp, sehr treffend, sehr amüsant.

 Dieter_Rotmund (17.12.22, 09:46)
Jedes Jahr wieder:

 Sylvester ->  Silvester

 lugarex schrieb daraufhin am 17.12.22 um 09:59:
...auch umgekehrt: Silvester = Sylvester

Bsd. am Sylt :P

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 17.12.22 um 11:03:
Dieter_Rotmund

damit du Ruhe gibst, mein Bester,
ändere ich zu Silvester.

 AZU20 (17.12.22, 11:07)
Kitsch gehört Weihnachten wohl irgendwie dazu. Daran hat jeder im Kreise seiner Familie so seine Erinnerungen, oder? LG

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 17.12.22 um 11:17:
Gracias, Armin. so scheint es zu sein. Wir haben ja das ganze Jahr bis Weihnachten Zeit, uns am Kitsch abzuarbeiten.  :)

LG
Ekki

 niemand (17.12.22, 11:48)
In meiner allerfrühesten Kinderzeit, war mir der Weihnachtskitsch sehr willkommen, lag aber wohl an der Armut und dem Mangel, so dass alles Bunte
was Besonderes war. Hat sich aber dann ziemlich gelegt, bis hin zur Ablehnung. Dennoch kann ich eine Vorliebe für Besagten durchaus Verstehen,
so als Flucht aus zu viel Sachlicheit/Realität. Dies zu Weihnachten. Was mir aber zunehmend auf den Senkel geht ist nationaler/patriotischer Kitsch. Was ich allerdings bei nicht wenigen beobachte ist, dass sie den Innlandkitsch (Heimat bezogen) ins Lächerliche ziehen (Beispiel: Wenn der Beyer seinen Sepplhut
voller Stolz trägt) aber patriotischen Auslandskitsch (Beispiel: Einer sogenannten Identität geschuldete Trachten und anderes Gedöns) mit einem verzückten "OoooH" und "Aaahh" quitieren. Mir ist, als tobte so mancher das aus, wofür er sich inlandbezogen schämt. Wie ein Kind, welches ein auf fremdem Terrain serviertes Essen mit Appetit vermampft, wenn es solches aber von Muttern serviert bekäme, ins Nörgeln geriete. Der Mensch will beschissen werder, zudem bescheisst er sich aber freiwillig auch noch selbst und das nicht selten mit wachsender Begeisterung  

Mit lieben Grüßen, Irene

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.12.22 um 12:15:
Hallo Irene,
merci für die kluge Kritik des nationalen Kitsch und des patriotischen Auslandskitsch, die ich gerne teile. Viele Deutsche kommen mir vor wie Musterschüler, die Kritik aus dem Ausland sogar antizipieren und nicht merken, dass man sich über ihre Ergebenheit lustig macht.

Liebe Grüße
Ekki
Teolein (70)
(17.12.22, 12:45)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.12.22 um 13:38:
Gracias Teo,
das mit den dicken Geschenken macht mich ganz umtriebig.  Ich werde mir auch eine Lichterkette umwerfen und zwar eine bunte, damit das Christkind auf keinen Fall übersieht, wo ich wohne. :D
Leuchtende Grüße
Ekki

 uwesch (17.12.22, 16:58)
kitsch as kitsch can - nicht auszutreiben :angry:  LG Uwe

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.12.22 um 17:11:
Wenn das stimmt, stellt sich die Frage: Wieviel Kitsch braucht der Mensch? :)
LG
Ekki

 Saira (17.12.22, 20:13)
Lieber Ekki,

mit Liedern von Heintje könnte man mich foltern. Ich habe sein „Maaama“ als Kind so oft hören müssen. Glücklicherweise musste ich dazu nicht singen!

Ich finde, es darf zu Weihnachten gerne etwas kitschig sein. Ich mag Lichterketten, einen bunt geschmückten Weihnachtsbaum, Weihnachtsmusik, schön verpackte Geschenke und eine festlich gedeckte Tafel und meine Familie liebt die Filme, die ich aus Fotos und bewegten Bildern, erstelle.

Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.12.22 um 01:36:
liebe Sigi,
Konsequenz ist bewundernswert, aber
Wer immer Prinzipien reitet,
einsam durchs Nirwana schreitet.

Herzliche Grüße
Ekki

 harzgebirgler (19.12.22, 17:48)
hallo ekki,

kitsch liegt der volksseele nah
und hat seine herberge da.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.12.22 um 19:17:
Gracias, Henning. Deshalb heißt es achtzugeben; denn das Volk kann mit Kitsch verführt werden.

LG
Ekki
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