Veni, Vidi, Ver.di

Alle Uhren stehen auf 10,5. Und um Punkt 10,5 stehen wir mit unseren Trillerpfeifen vor den Rathäusern und Finanzämtern. Ein ohrenbetäubender, schriller Lärm geht los. Wir vereinigen uns wie im Rausch mit den jubelnden Friday-For-Future Jugendlichen, skandieren „Zehn Komma Fünf, Zehn Komma Fünf!“  Dann kommen die Streikhelfer. Wie Derwische tänzeln sie heran in ihren orangefarbenen Westen und verteilen lachend und tanzend kleine Tuben voller Sekundenkleber. Die Tuben sind flammrot, und in Weiß aufgedruckt steht darauf Ver.di.

Ein Lautsprecher ertönt krachend, eine sich überschlagende Stimme intoniert rhythmisch den Slogan: „Wir gehen nicht weg, Wir gehen nicht weg!“ Die Masse wogt. Nur lachende, zukunftstrunkene Gesichter. Und wie in Trance folgt das kollektive Break-Out: Die kleinen Tuben platzen auf, Finger und Handteller werden vollgerieben mit einer hellgelben Flüssigkeit. Wie in Trance hocken sich alle hin, begeben sich in den Langsitz,  die Hände hinter der Hüfte fest auf den Asphalt gepresst. Die Lautsprecherstimme ist verstummt. Zirkusmusik erschallt, beschwingte Zirkusmusik wie bei Roncalli. Aber es ist nicht Roncalli, Es ist Verdi. Nein, Ver.di!

Ich wache etwas benommen auf. Verdammt, viel zu früh. Es ist längst nicht 10,5. Es ist noch nicht mal 7.