Erinnerung an Ralph Giordano

Tagebuch zum Thema Zivilcourage

von  eiskimo

Er war ein wachsamer Kämpfer mit Worten, einer, der was zu sagen hatte und der es auch in aller Deutlichkeit tat.

Ralph Giordano würde jetzt, am 20. März, seinen hundertsten Geburtstag feiern. Geboren wurde der Reporter und Publizist 1923 in Hamburg als Sohn des Pianisten Alphonse Giordano und Lilly Seligmanns, einer jüdischen Klavierlehrerin.

Er erlebte die Verfolgung der Juden hautnah und entkam der Deportation 1944 nur, weil Nachbarn die Familie bis Kriegsende versteckten.

Als Journalist und Autor, der anfangs der 50er Jahre noch der KPD nahestand, setzte Ralph Giordano sich vor allem mit der Aufarbeitung  des Nationalsozialismus auseinander. Er prägte dabei den Begriff der „zweiten Schuld“ – gemeint war der zähe Unwille der Deutschen, die Verbrechen und die Täter der NS-Zeit tatsächlich zu bestrafen.

Nach Mauerfall und Wende und den Vorkommnissen in Hoyerswerda und Mölln warnte er eindringlich vor dem aufflammenden Rechtsextremismus.

Ab 1972 lebte er in Köln. Als dort anfangs der 2000er Jahre  der Bau einer DITIB-Zentralmoschee diskutiert wurde (inzwischen realisiert) fiel Giordano vor allem durch seine sehr harschen islamkritischen Positionen auf. So engagierte er sich 2006 vehement gegen diesen sehr groß angelegten Bau.  Er bezeichnete ihn fast kriegerisch als „Landnahme auf fremden Territorium“. Anders als der damalige Bundespräsident Wulf, der noch proklamierte „der Islam gehört zu Deutschland“, erklärte  Giordano den Koran und die Scharia als eindeutig nicht vereinbar mit dem Grundgesetz.

Hatte Giordano vorher nur den Hass der Neonazis auf sich gezogen, so warf man ihm jetzt Fremdenfeindlichkeit vor und kleinbürgerliche Ressentiments, was den Mann mit den wallenden weißen Haaren aber nicht anfocht. Er blieb weiter kritisch und unbequem.

Neben seinen über 100 Dokumentationen, die er als Fernsehjournalist vor allem beim NDR und WDR produzierte – für  „Hunger – Herausforderung auf Leben und Tod“  erhielt er 1968 den Grimme-Preis -  hat Giordano sich auch einen Namen als Schriftsteller gemacht, insbesondere mit seinem Roman „Die Bertinis“ (1982). Dieses stark autobiographisch geprägte Werk erzählt im Grunde  das, was die Giordanos in Hamburg in der Zeit des Nationalsozialismus erlebten – es ist  eine Reverenz an die Zivilcourage.  

Zivilcourage, das ist wahrscheinlich auch das Wesensmerkmal, das den  2014 verstorbenen  Autoren am besten beschreibt.   Noch heute gibt es den Bertini-Preis, mit dem junge Menschen ausgezeichnet werden, die in besonderem Maße Zivilcourage zeigen und Erinnerungsarbeit leisten – ganz wie Ralph Giordano.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (20.03.23, 04:45)
Als Halbjude kritisierte er alle und alles, Kohl, aber auch die Politik in Israel, und er hatte seine ganz eigene Sicht auf Einwanderung.
Taina (39) meinte dazu am 20.03.23 um 06:02:
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 Regina antwortete darauf am 20.03.23 um 11:27:
Seine Mutter war Jüdin, sein Vater Deutscher. Er nannte sich selbst so.
Taina (39) schrieb daraufhin am 20.03.23 um 12:32:
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Taina (39)
(20.03.23, 06:07)
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 eiskimo äußerte darauf am 20.03.23 um 07:33:
Danke. Ich vermisse in der heutigen politischen Lage Personen, die wie Giordano Autoritäten sind, wenn man so will:Wegweiser...
Taina (39) ergänzte dazu am 20.03.23 um 08:36:
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 Teichhüpfer (20.03.23, 07:01)
Das gibt es in so Großstädten, ein echt interessantes Thema mit dem Namen, Kulturschock.

Kommentar geändert am 20.03.2023 um 07:02 Uhr
Verlo (65)
(20.03.23, 07:51)
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 AchterZwerg (20.03.23, 09:27)
Hier lasse ich mich gern erinnern! <3
Sicherlich hat auch er nicht immer und in allen Punkten das "Richtige" gesagt.
Doch was für mich zählt, sind seine journalistischen Fähigkeiten, die angstfreie Stellungnahme und sein insgesamt couragiertes Naturell.

Liebe Grüße
der8.

 eiskimo meinte dazu am 20.03.23 um 13:35:
Sehr schön nochmals das Wesentliche zusammengefasst!
Danke!
Eiskimo
Verlo (65)
(20.03.23, 09:52)
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Verlo (65)
(20.03.23, 09:56)
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Verlo (65)
(20.03.23, 10:16)
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 Regina meinte dazu am 20.03.23 um 11:33:
Weißt du, auf welche Suren er sich da bezieht.

Judentum ist wie Christentum sind Buchreligionen, die, so viel ich weiß, nicht unter die Ungläubigkeit fallen.
Verlo (65) meinte dazu am 20.03.23 um 12:28:
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 AZU20 (20.03.23, 11:03)
Ja, Zivilcourage, die fehlte ihm wirklich nicht. LG

 Quoth (20.03.23, 19:40)
Er prägte dabei den Begriff der „zweiten Schuld“ – gemeint war der zähe Unwille der Deutschen, die Verbrechen und die Täter der NS-Zeit tatsächlich zu bestrafen.
Das liegt m.E. an den allzu vielen Profiteuren des Holocaust und daran, dass viele auf die Gefälligkeiten (z.B. KdF) der "Gefälligkeitsdiktatur" (Goetz Aly) hereinfallen sind. Gruß Quoth
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