Der Weg eines neuen Buches auf dem Markt der Herausforderungen

Erzählung

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  Abenteuer Lesen und Schreiben

Die Lesung
 

Seine feinen Hände ließen Annes Frauenherz bei der Lesung in ihrer Stammbuchhandlung höher schlagen - so dezent-grazil wie er die Seiten des vorgestellten Romans umschlug.

Sie kaufte das Buch und las es in den nächsten Tagen zweimal kurz hintereinander, denn die Handlung verlor des Öfteren ihren roten Faden, war eher so eine Art lässigen Schlenderns. Außerdem fehlte ihr das Gefühl, vergleichbar mit dem Sound einer Musik, in die sie sich fallen lassen könnte - so wie eine schützende Wolke aus Klang, in der Verletzungen durchschimmerten.

Sie musste sich eingestehen, dass es ein Fehlkauf war, denn sie war eine Frau, die hohe Ansprüche an Romane stellte. Doch ihr fiel gleich ein befreundeter Chirurg ein, dem sie mit dem Buch sicher eine Freude machen könnte.

 

Der Chirurg

Mehrere Wochen lag der Roman, ihr Fehlkauf auf der Lesung des Autors mit den feinen Händen, nun schon auf ihrem Schreibtisch herum. Am späten Freitagabend klingelte plötzlich das Telefon. Es war einer ihrer Freunde, der Chirurg, dem sie das Buch schenken wollte.
„Hallo, wie geht es dir Anne? Wir haben uns so lange nicht gesehen.“
„Ja das stimmt. Ich dachte schon du hättest mich ganz vergessen.“
„Nein um Gotteswillen, ich hatte nur sehr viel zu tun, weil ein Kollege länger ausgefallen war und sich im Winter viele Menschen bei Stürzen was brechen. Ich wollte dich fragen, ob du zu meinem 50-ten Geburtstag kommen magst. Am Samstag nächste Woche soll die Party starten. Ich habe bisher sechs Freundinnen und Freunde eingeladen. Wir wären dann zu Acht.“
„Oh super“, reagierte sie spontan und dachte dabei, dass sie endlich dieses Buch loswerden könnte.
„Das freut mich ganz besonders, dass du kommst. Du wirst alle Gäste mögen.“
„Ja, ich freu mich, bis dann.“
„Also, bis dann.“
Sie setzte sich gleich hin, schrieb eine Geburtstagskarte, packte diese mit dem Buch in ein schönes Geschenkpapier und freute sich, dass sie es endlich im wahrsten Sinne des Wortes an den Mann bringen konnte.

Als er am Samstag die Tür öffnete gab es wechselseitige Küsschen auf die
Wangen. Sie reichte ihm das Geschenk und er war so neugierig, dass er es gleich auspackte. Als er den Titel las fiel sein Kinn fast unmerklich eine Nuance nach unten. Er meinte:
„Du, das Buch habe ich mir vor zwei Wochen gekauft und schon gelesen. Mir fehlte so etwas wie ein roter Faden. Die Handlung läpperte vor sich hin, wirkte eher wie bei einem Sachbuch, ohne Gefühlshintergründe, ohne ein Aufzeigen von Freuden und inneren Verletzungen der Figuren.“
Er hatte schon beschlossen, es weiter zu verschenken.
„Ach, das ist aber schade“, seufzte Anne.
Hannes nimmt sie in den Arm und meint: „Gräm dich nicht, ich habe schon eine Idee, wem ich es weiterschenken könnte. Meinem Vater wird es sicher gefallen.“
„Oh, das ist aber super“, sagte sie erleichtert und nahm ihn in die Arme.

Hannes überlegte, wie er nun schon zwei Leute mit dem Buch beglücken könnte – irgendwie Scheiße dachte er.


 

Hannes stellt sich die Frage, ob sich schon erste Anzeichen von Altersschwäche und Unkonzentriertheit bei ihm bemerkbar machen

 

Nach seiner gestrigen Geburtstagsfeier, bei der sich die letzten Gäste gegen Mitternacht verabschiedet hatten, warf er noch einen Blick auf die Geschenke. Das übliche Päckchen von seiner Mutter war dieses Jahr noch nicht angekommen.
Nach Feierabend am Montag brachte ihm eine Nachbarin die Postsendung, die sie netterweise angenommen hatte. Das Päckchen kam natürlich wieder einmal zu spät - typisch für Mutter. Ob sie dieses Mal ein Geschenk ausgesucht hatte, mit dem er etwas anfangen könnte? Er öffnete den Karton. Obenauf lag wie jedes Jahr eine Packung Niederecker-Marzipan. Darunter von der Form her vermutlich ein in Geschenkpapier mit Herzchen eingeschlagenes Buch. Er befreite es vorsichtig, denn er hatte schon früh in seiner Kindheit gelernt, dass man Geschenkpapier wiederverwenden sollte. Nur musste man darauf achten, dass nicht der Schenker sein Papier zurückbekommt, denn das wäre peinlich, was ihm die Mutter einschärfte. Vorsichtig entfaltete er das Papier und entnahm ein Buch. Als er den Titel las, lachte er laut auf. Es war wieder dasselbe, das er schon zweimal besaß, der Roman des noch weithin unbekannten Autors.
Nun blieb ihm nichts anderes übrig als sich zu überlegen wie er nun schon drei Bücher unter die Leute bringen könnte. Es hieß doch . Wer hatte sich das bloß ausgedacht, wenn auch alle schlechten Dinge Drei sein können. Da scheint ein Stereotyp nicht richtig durchdacht oder nicht mehr aktuell in unserer übersättigten Wohlstandsgesellschaft zu sein, sinnierte er vor sich hin.

Zum Abschluss des Tages schaute er lange in den Spiegel und dachte, dass inzwischen das Thema Alter für ihn ein näherliegendes Problem sei als irgendein Geschenk. Faltige Haut, nachlassende Konzentration und Momente der Kraftlosigkeit bis hin zu depressiven Anwandlungen wurden häufiger. In seinem Beruf als Chirurg, in dem ständig eine hohe Konzentration gefordert ist, könnte sich das zu einem schwerwiegenden Problem entwickeln.

Er packte das dritte Buch auf die zwei anderen, sodass ihn ein Dreierstapel anguckte, wenn er am Schreibtisch saß. Aber ihm würde schon eine Idee über ein Weiterschenken hinaus- kommen, um diese Dinger zu entsorgen. Da war er sich sicher.

 

Der Besuch der Tochter mit ihrem Sohn

 

Es stand der 60-te Geburtstag von Hannes an einem Sonntag bevor. In diesem Jahr beschloss er, keine große Feier zu veranstalten. Nur seine geschiedene Tochter Hannelore aus Hamburg wollte ihn mit ihrem 16-jährigen Sohn Olaf besuchen, denn sie hatten sich lange nicht gesehen.

Am Samstagnachmittag stiegen sie aus dem Taxi und klingelten. Nach großem Hallo übergab der Junge ihm als Geschenk eine topmoderne Schreibtischlampe. Seine Mutter hatte ihm erzählt, dass die alte sehr heruntergekommen aussah und nicht schwenkbar war. Außerdem stand die Lampe auf einem Stapel von drei Büchern, die schon sehr angestaubt aussahen.

Olaf machte sich gleich daran, die Lampe auszutauschen, legte die Bücher beiseite und schloss das Kabel an. Plötzlich juchzte er laut auf und sagte:

„Oh Opa, was hast du da für interessante Bücher. Wir nehmen gerade genau diesen Titel im Deutschunterricht durch. Unser Lehrer gibt uns immer wieder Ausschnitte per Kopie, die wir dann besprechen. Leider ist das Buch nicht mehr im normalen Buchhandel erhältlich und wurde auch nie nachgedruckt.

Was hältst du davon, wenn ich mir mal eines bei dir ausleihen würde? Du bekommst es bestimmt wieder.“

„Ach Junge, du machst mir ein Geschenk, wenn du alle drei mitnimmst. Ich lese doch nicht mehr darin. Vielleicht kannst du dann zwei an Mitschüler verteilen.“

„Oh super Opa, du bist der Beste. Ich will nämlich meine Abitur-Abschlussarbeit in Deutsch über diesen Autor schreiben und dann Germanistik studieren.“

„Mensch Junge, das ist ja prima. Ich bin froh, wenn die Bücher noch eine gute Verwendung finden. Die Lampe gefällt mir auch und der Schreibtisch wirkt gleich viel aufgeräumter.“

Die Drei strahlten sich an. Hannelore war froh, dass der Junge sich mit seinem Opa so gut verstand.




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Kommentare zu diesem Text


 lugarex (03.05.23, 08:02)
Generationen von Studenten defilieren vor dem alternden Chirurg ;)

elgé Luga

 uwesch meinte dazu am 03.05.23 um 14:04:
Chirurgen sind für manche Menschen so etwas "gott"ähnliches, weil sie mit viel Erfolg am Körper des Patienten herumklempnern können. Für meinen Chirurgen-Vater ergaben sich da viele Freundschaften kurz nach dem Krieg, was, wenn es Bauern waren, zu einer Versorgung mit Fleisch führte und bei Flensburger Fischern von Fischen, was so auf dem Markt nicht zu bekommen war.
Dank Dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

 harzgebirgler (03.05.23, 15:59)
zu chirurg und buch fällt mir prompt ein:
konnt' einst nur DAS WAR MEIN LEBEN sein
von dem professor sauerbruch geschrieben -
ist lange zeit ein bestseller geblieben! :D lg vom harzer

 uwesch antwortete darauf am 03.05.23 um 16:55:
Ah, der Sauerbruch mit dem bedeutsamen Namen. Ich habe das Buch nie gelesen.
Dank Dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

 EkkehartMittelberg (03.05.23, 20:41)
Hallo Uwe, dass Bücher so wandern, zeugt immerhin von Respekt gegenüber den Autoren.

LG
Ekki

 uwesch schrieb daraufhin am 03.05.23 um 20:54:
Na ja, im besten Falle stimmt das. Nur wenn es weitergegeben wird, weil man es nicht mag wird es zwiespältig. Wenn man es mag, dann ist natürlich die "Entsorgung" von Duplikaten sinnvoll.
Dank Dir für Kommi und Empfehlung und LG Uwe
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