3. Nur eine Nacht

Text

von  Elisabeth

Es war stockdunkel, als unbändiger Harndrang mich aufweckte. Neben mir schnarchte es leise - Liane, ja, das war der Name gewesen. Und anders als in jüngeren Jahren, als ich mich trotz viel größerer Mengen Alkohol auf meine Manneskraft verlassen konnte, war ich gestern abend in ihrem Bett einfach eingeschlafen. Ich stand auf und tastete mich durch den finsteren Raum, bis ich die nur angelehnte Tür der Naßzelle fand und einen Lichtschalter. Es mußte noch mitten in der Nacht sein, und ich könnte mich einfach anziehen und in mein Zimmer verschwinden. Schließlich hatte ich ihr nur versprochen, morgens nicht ohne Verabschiedung zu gehen, von der Nacht war nie die Rede gewesen. Aber daß sie mich in ihrem Bett hatte schlafen lassen, zeugte doch von erheblichem Vertrauen mir gegenüber. Schon deswegen sollte ich das Versprechen vielleicht eher dem Sinn als den Worten nach verstehen, und so ließ ich das Licht an und schlüpfte wieder unter die Decke, neben Liane. Meine Jungfer hatte sich in meine Richtung gedreht und sah aus, wie ein schlafender Engel. Ihr dunkles Haar lag in wie gemalt wirkenden Wellen rund um ihren Kopf auf dem Kissen und nun war der Alkoholspiegel in meinem Blut niedrig genug, um mein Begehren nach dieser hübschen Frau nicht mehr zu behindern. Und doch betrachtete ich sie nur, die sanft geschwungenen Augenbrauen, die langen, schwarzen Augenwimpern, die ein bißchen breite Nase, die eine Idee zu dünnen Lippen, auf denen noch der rote Lippenstift haftete, der zarte Hals, die leicht vorspringenden Schlüsselbeine, die glatte, makellose Haut. Ihre Brüste waren von der Decke verhüllt, ebenso ihr Schoß, der mir schon vor Stunden offengestanden hätte. Das Blut pochte erwartungsvoll in meinem Genital und ich erinnerte mich der Kondome, die ich gewöhnlich in der Hosentasche mit mir trug, in meiner Jeans zumindest, doch ich hatte für die Reise den Anzug gewählt, weil Felix auf angemessene Kleidung bestanden hatte. Hausschlüssel und Brieftasche hatte ich umgepackt, aber nicht den Haufen Notizzettel, der sich in den rückwärtigen Taschen regelmäßig ansammelte, und auch nicht die zwei Kondome, die ich in der Uhrentasche mit mir herumtrug.

Liane schlug die schönen, dunklen Augen auf. "Ah", sagte sie und strahlte, "du bist ja wirklich noch hier." Und so plötzlich, daß ich kaum wußte, wie mir geschah, hatte sie mich unerwartet umarmt und küßte mich lang und innig. Es heizte mich noch zusätzlich an, als sie ihren warmen Körper an mir rieb. Wie ich mich danach sehnte, meiner Jungfer zu Diensten zu sein! Seufzend löste ich den Kuß.

Erschrocken öffnete Liane ihre genießerisch geschlossenen Augen. "Was ist los, Michael?" fragte sie mit verhaltener Panik in der Stimme.

"Ich habe sonst immer Kondome bei mir, aber gerade heute..."

"Ach", lachte Liane befreit, "wenn das alles ist, was dir Sorgen macht! Ich habe welche." Sie warf die Decke beiseite und drehte sich, um nach ihrem Handtäschchen zu greifen, das neben meiner Brille auf dem Nachttisch lag. Sie rupfte das Buch heraus, wühlte in der Tasche und zog dann ein kleines, rechteckiges Plastikpäckchen aus der Tasche. "Siehst du!" rief sie triumphierend, "alles in Ordnung." Und sie lachte wieder so zauberhaft, ließ ihren Blick so zufrieden über meinen nackten, erregten Körper wandern. "Soll ich es dir überziehen?" fragte sie mit einem schelmischen Lächeln.

Ich lehnte mich zurück. "Was immer dir beliebt", lud ich sie ein.

Liane setzte sich auf die Bettkante und öffnete vorsichtig die Verpackung, entnahm das aufgerollte Kondom und prüfte, wie herum es sich entrollen ließ, bevor sie federleicht mein bestes Stück mit der dünnen, rötlichen Latexschicht verhüllte. Dann erhob sie sich, kniete sich über meine Beine und lehnte sich so weit vor, daß sie mich küssen konnte und mein Blut noch mehr in Wallung brachte. Ich griff um ihre schmale Taille und zog sie näher

Wir begannen es langsam, genossen die Nähe des anderen. Irgendwann flüsterte sie: "Hilf mir mit der Decke, mein Rücken wird kalt", und kichernd wie Halbwüchsige legten wir mit einigen Schwierigkeiten die Hotelbettdecke um uns. Doch bald vergaß Liane, daß ihr kalt war und die Decke rutschte immer weiter nach unten. Ich kam vor ihr, heftig, traumhaft, senkte mein Gesicht an Lianes duftenden Busen, wurde von ihrem Haar umschmeichelt. Kein süßliches Parfum, wie Chantal es benutzte, auch nicht eines der viel teureren, ebenfalls penetrant riechenden Parfums, wie Reneé sie liebte, es war Lianes Lust die ich roch, ihre warme Haut, der dezente Geruch ihres Haarshampoos.

"Wie wunderbar", seufzte sie, kuschelte sich an mich, während ich für uns nach der Decke angelte, die halb vom Bett gerutscht war.

"Ja, es war wunderbar", bestätigte ich leise und versuchte, von dem Gefühl ihres warmen, schlanken Körpers neben mir so viel in mich aufzusaugen, daß die Erinnerung daran noch möglichst lange zuverlässig abrufbar war.

"Worum geht es bei deinem nächsten Mord denn?" fragte sie nach einer Weile, als ich angesichts ihres ruhigen Atems schon vermutet hatte, sie würde schlafen.

Nahm sie ihre Beschäftigung als Muse tatsächlich ernst? "Ich dachte an einen zufälligen Mord, wobei es aber genügend Verdächtige gibt, die einen Grund hätten."

"Du willst also die Leser in die Irre führen", stellte Liane fest. "Das gefällt mir. Aber wie stellst du sicher, daß dein Detektiv trotzdem alles aufklären kann? Durch Spuren oder ein Geständnis?"

"Tja", sagte ich nur, denn das war gerade der problematische Teil des Projektes. Wenn ich die Spuren zu offensichtlich gestaltete, war die Spannung dahin, ein Geständnis hatte aber auch viel zu häufig den ebenfalls unbefriedigenden Charakter eines 'deus ex machina'. Und ich versuchte, Liane mein Problem zu erläutern.

Ich sah sie im Lichtschein der Naßzelle weise nicken. "Tja, das wird problematisch", stimmte sie mir zu. "Was wäre denn mit mehreren Geständnissen, vielleicht aus religiösen Gründen, weil einer sich an dem Mord schuldig fühlt, weil er ihn sich wünschte, auch wenn er ihn nicht selbst beging? Dazu noch jemand, der so verwirrt ist, daß er wirklich glaubt, den Mord begangen zu haben oder sich nur wichtig machen will - so daß du am Ende ein Nadelkissen voller Geständnisse hast, in dem du deine Geständnisnadel des wahren Mörders verstecken kannst."

"Das klingt gut", stimmte ich ihr zu. "Vielleicht... ach, ich könnte aber verstehen wenn du...", stotterte ich.

"Was ist, Michael? Bis eben warst du um Worte doch nicht verlegen." Sie stützte sich auf einen Ellbogen und sah auf mich hinunter, strich mir ein paar Haare aus der Stirn. "Wolltest du mich fragen, ob wir uns noch einmal wiedersehen können, nach dieser Nacht?" fragte sie dann hellseherisch.

"Ja, das meine ich. Es hat mir so gut gefallen, mit dir...", 'Sex' war kein angemessenes Wort dafür, nein, "... mit dir Liebe zu machen", vervollständigte ich meinen Satz also. "Außerdem hast du vielleicht noch mehr so gute Ideen für meine Story, bei deren Planung ich mir zur Zeit selbst im Weg zu stehen scheine. Ich würde am liebsten noch den ganzen Tag mit dir verbringen, aber ich hab... ich hab meinem Sohn versprochen, diesen Tag ganz für ihn dazusein."

Und Liane nickte wieder, beugte sich dann zu mir, um mir einen Kuß auf die Stirn zu geben, einen weiteren auf die Lippen, den sie in höchst anregender Weise intensivierte, aber dann doch beendete. "Ich würde auch gerne viel länger mit dir zusammenbleiben, aber ab neun Uhr habe ich mehrere wichtige Termine, die mich vermutlich bis heute abend beschäftigen. Wie lange bist du noch hier?"

"Morgen früh wollte ich mich wieder auf den Weg nach Hause machen", gestand ich ihr, auch wenn ich zu überlegen begann, was denn überhaupt dagegen sprach, meinen Aufenthalt noch ein bißchen zu verlängern.

"Vielleicht könnten wir uns ja im Laufe des Abends noch mal treffen oder wenigstens morgen zusammen frühstücken?" fragte Liane fast zaghaft.

"Ich könnte auch noch ein paar Tage länger bleiben", ließ ich sie wissen.

Und Liane ließ plötzlich die Mundwinkel hängen. "Aber ich leider nicht. Ich habe nur bis morgen Urlaub. Laß uns auf jeden Fall Adressen und Telefonnummern austauschen", bat sie dann.

"Aber jetzt laß uns doch noch ein bißchen kuscheln", bettelte ich und zog sie wieder in meine Arme. Und so lagen wir noch ein paar Minuten in den Armen des anderen, bis plötzlich ein Wecker klingelte.

"Es ist acht", erklärte Liane seufzend und streckte sich, bis sie den Wecker auf dem Nachttisch erreichte und ausschalten konnte. Dann sprang sie aus dem Bett, grub eine kleine Karte aus ihrem Handtäschchen und steckte sie in die Brusttasche meiner Anzugjacke. "Ich muß mich beeilen", erklärte sie dabei. "Hast du auch eine Visitenkarte?" Als ich den Kopf schüttelte, deutete sie auf einen kleinen Tisch an der Wand. "Schreib mir doch deine Adresse auf. Da liegen ein paar Blatt vom Hotel-Briefpapier." Meine nackte Jungfer verschwand in der Naßzelle und ich hörte, wie sie zunächst die Toilette und dann die Dusche benutzte. Ich erhob mich also, setzte meine Brille auf und holte meinen Stift aus dem Jackett. Ich griff nach einem Bogen Briefpapier, als mein Blick auf 'Bollwicks letzte Reise' auf dem Fußboden fiel. Ich hob das schon recht ramponiert aussehende Taschenbuch auf, dann schrieb ich auf das Titelblatt: "Meiner schönen Azurjungfer und Muse Liane zur ewigen Erinnerung an Ihren Michael." Den Briefbogen, auf den ich meinen vollen Namen, die Adresse und Telefonnummer schrieb, legte ich in das Buch, und das Ganze dann neben ihr Handtäschchen, so daß sie es gleich finden mußte.

Liane war noch unter der Dusche, als ich mich angezogen hatte. Ich stellte mich in die Tür, sah das Wasser innen vom halbdurchsichtigen Duschvorhang perlen, Lianes schlanke Gestalt dahinter in Bewegung. "Ich hoffe, wir sehen uns heute abend", verabschiedete ich mich mit erhobener Stimme, um das Wasserrauschen zu übertönen.

"Ja, das hoffe ich auch", antwortete Liane, "bis dann."

Mit meinem Ordner unter dem Arm erreichte ich mein eigenes Zimmer ein Stockwerk höher. Draußen begann es nun langsam zu dämmern, aber nach Frühstück war mir noch nicht, also zog ich den Anzug wieder aus und setzte mich auf mein bisher noch unbenutztes Bett. Ich freute mich schon auf den Abend mit Liane, aber jetzt, wo die quirlige Jungfer sich nicht mehr an mich schmiegte, griff die Müdigkeit nach mir. Also rief ich die Rezeption an und bat um einen Weckruf. Mit der Aussicht auf ein abendliches Treffen mit Liane würde ich sogar eine Schiffstrauung nebst Essen und Feier mit Reneé aushalten. So legte ich mich entspannt hin und schloß die Augen.

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