Frecher Franzose, alter Schwede

Groteske zum Thema Idee(n)

von  eiskimo

Wir sind in Frankreich, „en province“, also weit weg von den Großstädten und der Vielfalt ihrer Unterhaltungsmöglichkeiten.Wenn der Pensionär Jules Chantedoux Abwechslung sucht, kann er nur 25 Kilometer herunter fahren aus seinen Morvan-Bergen, nach Orges-Ville, in diese 15Tausend-Seelen-Agglomération, um da die Supermärkte unsicher zu machen.

Das macht er regelmäßig. Französische Supermarchés sind – auch en province – größer als die deutschen. Selbst in Orges-Ville hat der Mammouth dreihundert Parkplätze, die meist sehr gut ausgelastet sind. Es kommen ja auch unfassbar viele andere Pensionäre und Rentner in die Agglomération, runter von ihren verschlafenen Bergnestern. Sie schieben sich dann zur besten Vormittagszeit munter die charriots in die Hacken; viele kommen auch nur, um mit ihren Supermarché-Bekannten zu quatschen. Hunderte Grauhaariger unter sich.

Jules Chantedoux findet das langweilig. Er geht auch lieber in das andere Centre commercial, zum noch größeren Hypermarché Leclerc. Der hat sogar fünfhundert Parkplätze.

Aber so ein Vormittag ist ja lang; insofern sind für Jules gerne auch mal beide Spielstätten im Programm.

Bloß einen Charriot nehmen, um da die Supersonderangebote des Tages hinein zu verfrachten, das ist für ihn längst völlig witzlos. Er sucht sich in der Außen-Stellage dieser rollenden Metallkäfige darum mit geschultem Auge immer den aus, der eben nicht mehr sauber rollt. Da ist fast immer einer bei, der ein blockiertes oder wild flatterndes Rädchen hat – Jules lebt dann förmlich auf. Denn so ein charriot en musique garantiert ihm höchste Aufmerksamkeit.

Gerne belädt er ihn dann mit ein und demselben Produkt. Turmhoch gestapelte Tiefkühl-Hähnchen sind dann ein weiterer Blickfang, den Jules mit innerem Wohlgefallen genießt – nach außen markiert er natürlich den seriösen Großkunden, der weiter sehr geplant einkauft.

Dabei braucht er längst den nächsten Kick. Er nutzt die Unaufmerksamkeit seiner älteren Zeitgenossen, um das eine oder andere Tiefkühlhähnchen diskret in deren unbewachten charriot verschwinden zu lassen. Für ihn ein tropfnasses Vergnügen am Rande.

Eher trockenen Spaß hat unser Spezi dann an der Frische-Theke, immer ein dicht belagertes Highlight eines jeden Supermarché. In Frankreich geht das deshalb sehr reglementiert vor sich. Da ist zum einen viel Platz für eine große Zahl von Kunden. Zum anderen gibt es einen „Distributeur de tickets“, der jedem Ankömmling ein Zettelchen ausspuckt mit der Nummer, mit der er dann aufgerufen wird. Oft dauert es zehn, zwanzig Minuten, bis man dran kommt. Viele Kunden besuchen in dieser Wartezeit noch andere Abteilungen im Markt. Das ist natürlich für Jules der willkommene Spaßfaktor. Er stellt sich stets ohne Ticket an, sondiert nur kurz die Lage. Und wenn dann eine Nummer aufgerufen wird, schreit er entschlossen „Voilà!“, hebt die Hand als zeige er das entsprechende Ticket … und schon kommt er dran.

Zugegeben, das klappt nicht immer. Aber so ein Vormittag, der an und für sich lang werden kann, der bietet ja immer aufs Neu die Gewinnchance bei dieser Lotterie.

Auch hier braucht unser Pensionär aber bald neue Anreize. Wieder kommt ihm da das französische Frische-Theken-System entgegen. Denn da gibt es alles, von lecker gemachten Salaten über Pasteten, Wurst, Schinken bis hin zu den … Chutes. Das sind die Stücke, die beim Aufschneiden übrig bleiben. Durchaus stattliche Teile, die nicht schlechter sind als ihre Abkömmlinge, dafür aber nur noch die Hälfte kosten. Jene chutes sind begehrt; und oft sieht Jules noch, dass andere Käufer ihm da tatsächlich zuvorkommen.

Kommen sie das wirklich? Nein, nur für kurze Zeit. Denn unser Supermarché-Pirat verfolgt die Glücklichen und erkennt natürlich den Moment, wo die ihren charriot unbeaufsichtigt lassen. Schwupp - wechselt das ausgeguckte Chutes-Paket den Inhaber.

Unerkannt damit zur nächsten Kasse entschwinden, ist für Jules dann ein Leichtes.

War sein kleiner Griff in den fremden charriot eigentlich Diebstahl?

Hier rüber können sich Juristen gerne den Kopf zerbrechen. Denn unser erfolgreicher Pirat bezahlt die Beute ja – und wer am Ende den Kassenbon in der Hand hält, ist Besitzer. Sagt zumindest unser Monsieur Chantedoux.

Und dann steigt er zufrieden in seinen alten Dacia Duster und fährt zum anderen Supermarché, neuen Frechheiten entgegen.

Soll einer sagen, man könnte sich en province nicht intellektuell fordern und fit halten.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (09.06.24, 06:09)
Ganz recht.
Und die (philosophische) Sinnfrage stellt sich gar nicht erst! :D

 eiskimo meinte dazu am 09.06.24 um 11:52:
Doch! Der Sinn wäre, auch mal frech zu sein. ;)

 Graeculus (09.06.24, 11:04)
Fast hoffe ich, daß Du Dir das ausgedacht hast oder es sich um den Plot einer französischen Komödie handelt, aber nein ... ich fürchte ...
Wie hast Du das dann beobachtet?

 eiskimo antwortete darauf am 09.06.24 um 11:49:
Alles der Reihe nach schon ausprobiert - Quatsch! Ein Dacia Duster käme mir nie unter den Hintern....
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