Zum Todestag

Text

von  Mondscheinsonate

Mein Großvater verlangte weder nach Autorität, stellte sich auch niemals mit Worten über andere, machte auch nie andere herunter, geschweige denn verlangte er, dass man ihn mit "Herr Doktor" anredete, kotzte niemals seine Bildung heraus, drängte sich nicht auf, ertrug es auch, wenn er einmal nicht im Gespräch im Mittelpunkt stand und dennoch war er eine Autorität, das Oberhaupt, der Herr Doktor, die Bestimmung im Haus. Er betrat einen Raum und war präsent, ein interessantes Phänomen, alles horchte auf ihn, ohne Befehle, auch erntete er nie Widerstand, zumindest sah ich es nie. Er lachte nie unter seinem Niveau, war stets überpünktlich und bestand auf Überpünktlichkeit, sonst wurde er nervös, sagte nichts, sondern ging nervös hin und her, hielt einem aber niemals etwas vor. Die Stimme des Großvaters hatte stets Gewicht. 

Wenn er allerdings aus dem Raum ging, sagte die Großmutter:"Der alte Trottel." Das tat mir in der Seele weh. Aber, sie sagte es erst, als sein Gehör schlechter wurde, die Großmutter ertrug Gebrechen nicht, ganz und gar nicht. Ich bemerkte es, als sie auch so schlecht über Nachbarn redete, die mit ihr alt wurden und erste körperliche Gebrechen zeigten. Überhaupt war die Großmutter ganz anders, hatte den Drang, sich überall bemerkbar zu machen, schrie über alle Köpfe hinweg, aß die Suppe schlürfend, das Salzstangerl (längliches Gebäck mit Salz) brach sie über dem Tischtuch, bröselte alles voll, schob es in den Mund und redete mit vollem Mund. Anders der Großvater neben ihr, der immer gesittet aß und erst sprach, wenn er fertig gegessen hatte. Auch stand sie immer während des Essens auf, machte alle nervös mit ihrer Unruhe, nahm sich kein Blatt vor den Mund, redete wie ein Bierkutscher, war vulgär, aber trotz allem sehr hilfsbereit. Kurz, sie war das glatte Gegenteil meines Großvaters. Der Zusammenschluss der beiden war ein Rätsel. Im Nachhinein weiß ich, dass sie ihm alles abnahm und er nur präsent sein musste, das überall, so konnte er sein, was er wurde und war, auch dankbar. Er musste sich nicht mit dem Alltag beschäftigen, sondern nur mit seiner Arbeit und später widmete er sich seinen Studien. In der Rente schickte sie ihn einkaufen, damit er unter Menschen kam und das tat ihm gut, denn in jedem Geschäft fand er jemanden zum Plaudern. Er hatte immer einen Anzug an, auch zuhause, war von großgewachsener Gestalt, trug Hut.  Auch schickte sie mich mit dem Großvater spazieren, dann redete er, er erzählte mir von Gott, den Göttern, der Geschichte, Geschichten von Kameradschaft im Krieg und Krankheiten. Die stundenlangen Spaziergänge lehrten mich viel, vorallem das Zuhören. Der Großvater und meine ehemalige Chefin, (auch ein Widder) waren die einzigen Menschen in meinem Leben, die mich automatisch zum Schweigen brachten, ohne, dass sie etwas sagen mussten, und ins genaue Zuhören, bei beiden fühlte ich mich niemals unwohl in ihrer Gesellschaft, hatte großen Respekt und Ehrfurcht vor ihrem Wissen ohne Furcht. Ich denke, es ist eine Kunst, es zu schaffen, auf gleicher Augenhöhe zu sprechen, dennoch aber automatisch höher gestellt zu werden. 

Mein Großvater hatte es niemals nötig, laut aufzutreten, Späße auf Kosten anderer zu machen, musste niemals sein Ego aufpolieren, sich unangenehm bemerkbar machen. 

Die Großmutter war großzügig, schmiss das Geld zum Fenster hinaus, der Großvater drehte es dreimal um und ich erinnere mich nicht, dass er jemals Geld gab, er ließ die Großmutter geben. Er überließ ihr die Show, immer. 

Auch gab er nur einmal seine privaten Gedanken preis, da sagte er: "Du hast einen schönen Kranz für die Theres' gekauft." 

Und einmal ging er mit mir meinen Füllhalter kaufen, ließ sich nicht lumpen. Ich denke, weil er wusste, dass er durch das Schreibgerät bei mir blieb. 

Und, bevor er starb, sagte ich, dass ich ihn lieb habe, da sagte er: "Ich dich auch." Das erste und einzige Mal. Aber, wir mussten uns das nicht sagen, denn ich war die Einzige, die den Großvater immer als ich klein war voller Liebe umarmte und mich auf seinen Schreibtisch setzte, während er erzählte, das hätte sich niemand getraut. Ich war die Jüngste, die anderen waren schon groß, ich pfiff mir da nichts. Das mochte der Großvater, er lächelte. Ich lächle jetzt auch. 




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Kommentare zu diesem Text


 franky (05.07.24, 11:13)
Hi liebe Cori

Ein wunderschöner Text, der mich von Anfang bis Ende mitnahm, hast es toll erzählt.

Grüße von Franky

 Lluviagata meinte dazu am 05.07.24 um 21:12:
Gegensätze ziehn sich an - ein alter Hut!

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 05.07.24 um 21:19:
Dass diese 55 Jahre bestehen aber nicht.

 uwesch (05.07.24, 21:13)
Die Großmutter hat das wahre Leben nicht begriffen.
LG Uwe

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 05.07.24 um 23:55:
Das wahre Lieben, Korrektur, nein, das nicht.

 BeBa (06.07.24, 01:18)
Eine wunderschöne Erinnerung. Meine Erinnerungen an die Großeltern sind nicht so klar wie bei dir, denn sie lebten ca.250 km von uns entfernt, was damals noch eine große Entfernung war, die man nicht so oft auf sich nehmen konnte ans Familie.
Aber was Opa und Oma anging, waren die Charaktere ähnlich wie bei deinen Großeltern. Sie war laut, eine Diva, die übrigens gern die Wienerin, die sie ja tatsächlich war, heraushängen ließ. Der Opa war ein Ruhiger, ein deutscher Prager, und den musste ich einfach liebhaben. Aber eigentlich hatte ich beide lieb in ihrer Art und war gerne bei ihnen.

Besonders schön bei deinem Text finde ich den letzten Teil, wo es um dein Verhältnis zum Großvater ging. Bei dem Füllhalter und auch beim letzten Satz kamen mir beinahe die Tränen. Daher ist das meine liebste Stelle:


Und einmal ging er mit mir meinen Füllhalter kaufen, ließ sich nicht lumpen. Ich denke, weil er wusste, dass er durch das Schreibgerät bei mir blieb

Und, bevor er starb, sagte ich, dass ich ihn lieb habe, da sagte er: "Ich dich auch." Das erste und einzige Mal. Aber, wir mussten uns das nicht sagen, denn ich war die Einzige, die den Großvater immer als ich klein war voller Liebe umarmte und mich auf seinen Schreibtisch setzte, während er erzählte, das hätte sich niemand getraut. Ich war die Jüngste, die anderen waren schon groß, ich pfiff mir da nichts. Das mochte der Großvater, er lächelte. Ich lächle jetzt auch.

 BeBa äußerte darauf am 06.07.24 um 01:22:
So ein wenig erinnert mich dein Text auch an die autobiografischen Texte von Peter Henisch, der auch sehr menschlich und voller Gefühle u.a. über seine Oma und über seinen Vater schrieb. Kennst du ihn, er ist ja Landsmann von dir.

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 06.07.24 um 08:47:
Nein, kenne ich nicht. Ist das nicht der Schriftsteller, den Handke gepusht hat? Dank dir. Ja, ich hatte auch beide gerne, sie sind ein Teil von mir. Ich sah sie auch immer nur in den Ferien, sie lebten 72km entfernt.

 DerHerrSchädel (06.07.24, 01:34)
Präzise und einfühlsam geschrieben!

 Mondscheinsonate meinte dazu am 06.07.24 um 08:47:
Dankeschön!

 Verlo (06.07.24, 11:59)
Mondscheinsonate, falls das die Eltern deiner Mutter waren, haben sie deine Mutter geprägt.

Deine Mutter ist nicht als die auf die Welt gekommen, als die du sie hier mehrmals (ablehnend) beschrieben hast.

Außerdem wäre dein Großvater ohne seine Ehefrau nie der Großvater geworden, den du so sehr liebst. 

Großmutter und Mutter "eher negativ", Großvater und Vater "eher positiv" darzustellen, ist vereinfacht und vermutlich falsch.

#

Dein Text war Anlaß, zweimal von meiner Jugendliebe zu träumen, allerdings nicht, wie sie war (platonisch, von meiner Seite), sondern erfüllt von beiden Seiten.

Das erstaunt mich, denn ich weiß, daß sie mich im Grunde "im Auftrag" ihrer Mutter mich "liebte". 

Davon abgesehen hat meine Jugendliebe, obwohl zweimal verheiratet und drei Kinder, nie die große Liebe erfahren. Sie kennt dieses Gefühl nur aus dem Fernsehen.

Sie hat sich die große Liebe selbst verboten, durch die sie und ihre Schwester gezeugt wurden, aber die von der Mutter verteufelt wird: der leibliche Vater der beiden Schwestern ist ein italienischer Trinker.

Beide Schwestern konnten sich nie vom Erbe der Mutter befreien (Stand vor einigen Jahren, als sie bereits über 50 waren.)

 Mondscheinsonate meinte dazu am 06.07.24 um 12:08:
Lieber Verlo,
spannend, was du schreibst, ich gebe dir Recht, nur in einem Punkt nicht: Der Großvater brannte sich ein, der war so. Gerade eben blätterte ich bei meiner Schwester in einem altes Fotoalbum und er war EXAKT so beschrieben. 
Aber, ich entdeckte etwas, was ich nie sah, das Album ist von 1950-ca. 1960 und auf jedem Foto lacht meine Oma. Ich sah sie NIEMALS lachen, ich versank in dem fröhlichen Gesicht und meine kleine Mutter, so glücklich mit Hündchen.

 Verlo meinte dazu am 06.07.24 um 12:44:
Mondscheinsonate, ich schrieb: 

Außerdem wäre dein Großvater ohne seine Ehefrau nie der Großvater geworden, den du so sehr liebst.
Das kann so extrem sein, daß du niemals geboren worden wärst, weil deine Mutter nicht geboren wurde.

Aber darum geht es nicht, sondern daß Kinder immer ihrer Eltern beerben und dadurch geprägt werden.

Will man die Wahrheit herausfinden, muß man das berücksichtigen.

Und: es gibt keine zwei Wahrheiten.

Ich gebe dir ein Beispiel, das nichts mit dir und deiner Familie zu tun hat:

Mein Mutter hat in zweiter Ehe einen Mann geheiratet, der Kinder mehr mag als Frauen. Mein Bruder war über zehn Jahre Lustknabe seines Vaters. Ist meine Mutter deshalb böse? Oder ist mein Stiefvater der Böse?
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