Als Deutsche in Verdun

Kurzprosa zum Thema Historisches

von  eiskimo

Mann, haben wir Verdun verflucht! Den ganzen Tag hatten wir gekämpft; es war an diesem Juni-Tag extrem heiß gewesen, und die Franzosen mochten uns offenbar nicht: Drei, vier Mal war es ganz knapp gewesen. Sie hätten uns fast erwischt, als sie auf der Route Nationale an uns vorbei donnerten, haarscharf. Dabei sind Klaus und ich weitgereiste Radtouristen, die besonders vorausschauend fahren, gerade auf diesen schnurgeraden Landstraßen in Lothringen.
Nein, Verdun wollte uns zwei Deutsche nicht. Endlich hatte uns die Maas in das 20000-Einwohner-Städtchen geführt, da gingen die Negativ-Erlebnisse schon weiter. Alle Gästezimmer waren ausgebucht. Fünf Adressen hatte uns die junge Frau im Office de Tourisme mitgegeben, fünf Mal bekamen wir eine Absage, und das, nachdem wir noch einmal viele Kilometer mit dem Stadtplan in der Hand abgestrampelt hatten.  Ein älterer Herr, der uns in Chambre d´hôte Nummer Fünf nicht aufnehmen konnte,  bot uns immerhin etwas zu trinken an. Er wusste auch, warum wir wohl an diesem Tage nichts finden würden. „C´est  Des Flammes à la Lumière“(Von den Flammen zum Licht) Da würden Ereignisse der Schlacht um Verdun im Ersten Weltkrieg  in einer großen Lichter-Schau nachgestellt; das zöge immer Tausende von Zuschauern an.
Na klar, die Erinnerung an 1916: Damals wurde die deutsche Offensive bei Verdun gestoppt. Von Februar  bis  Dezember tobte um die Kasematten links und rechts der Festung ein erbitterter Stellungskrieg – über 300000 Soldaten ließen dabei auf beiden Seiten der Front ihr Leben.
Wir hatten schon den ganzen Tag über links und rechts unserer Fahrrad-Route endlose Soldatenfriedhöfe ausgemacht. Geometrisch angelegt mit Tausenden von Kreuzen, die da soldatisch in Reih und Glied stehen – weiße für die französische Seite und schwarze für die deutsche. Unsere Groß- und Urgroßväter hätten dabei sein können.
Wir hingegen haben dann Verdun schnell hinter uns gelassen. Nach militärischem Spektakel war uns nicht zumute. Vielmehr suchten wir uns abseits der Landstraße ein stilles Plätzchen zum Campen. Für den Notfall hatten wir auch Isomatten und eine Plane dabei. Zwanzig Kilometer hinter Verdun  verbrachten  wir also dann die Nacht im Graben.  Es war keine schöne Nacht. "Vor uns die haben hier im Schützengraben gelegen!" brachte Klaus es geschichtlich auf den Punkt. Da mochte ich nicht weiter meckern. Exakt 104 Jahre nach der „Blutmühle von Verdun“  war der fehlende Schlaf-Komfort zweier deutscher Radtouristen da wirklich nicht der Rede wert.

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Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (25.11.20)
Exakt dein letzter Satz bringt es auf den Punkt, eisi.
1994 war ich mit meinen Jungs in Verdun. Trotz umfänglichen Versuches der dortigen Verantwortlichen, diesen Ort zu erhalten, vermag ein Besucher nicht einmal zu erahnen, was sich dort abgespielt haben muss. Das Grauen, das ober- und unterirdisch abgelagert ist, wiederspiegelt eine Hölle, die niemand von uns mehr nachempfinden kann. Wir können nur auf die ausgestellten Knochen und Schädel glotzen, die dort aufgestapelt wurden.

Dein letzter Satz erzählt mehr als tausend Worte.
Sehr gut!

Lotta

Kommentar geändert am 25.11.2020 um 09:31 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 25.11.20:
Danke für Deine so positive Rückmeldung. Ich sehe das wie Du: man kann sich dieses Inferno nicht wirklich ausmalen. "Im Westen nichts Neues" öffnet einem so ein bisschen die Augen...
Was ich mir immer wieder sage: Es geht uns verdammt gut heute!
lG
Eiskimo

 EkkehartMittelberg (25.11.20)
hallo Eiskimo, das ist es, was ich an deinem Stil so mag. Du erzählst einfach, wo andere moralisieren und erreichst damit viel mehr Nachdenklichkeit.
Liebe Grüße
Ekki

 eiskimo antwortete darauf am 25.11.20:
Danke, lieber Ekki!
Ich versuch´s . Ich habe ja immer Angst, dass mir einer "moralinsauer" drunter schreibt. Und ein bisschen hilft das auch.
heitere Grüße
Eiskimo

 Graeculus (25.11.20)
Diese von Falkenhayn ausgedachte Taktik des Ausblutens hatte durch ihr völliges Scheitern etwas Gutes: Sie ist mit solcher Konsequenz und Brutalität nicht mehr angewendet worden.

Übrigens war mein Großvater dabei, den ich, Jahrzehnte später, als sehr in sich gekehrten, schweigsamen Menschen erlebt habe. Meine Großmutter sagte dazu: "Vor Verdun war er nicht so."

 eiskimo schrieb daraufhin am 25.11.20:
Meines Wissen nach soll Falkenhayn erst im Nachhinein von einer "Taktik des Ausblutens" gesprochen haben, nachdem das monatelange Anrennen zuvor ergebnislos geblieben war. Wie auch immer: Ein Wahnsinn war es so oder so.
In Burgund komme ich immer an einer winzigen Lokalität vorbei, die trägt den Namen "Le Fou de Verdun" (Der Irre von V.) - offenbar hat es da einen Überlebenden dieses Wahnsinns hin verschlagen.
Und noch etwas in diesem Zusammenhang: Den Prix Goncourt in Frankreich 2014 bekam Pierre Lemaître für "Au revoir là-haut" (Wir sehen uns im Himmel wieder) - da beschreibt er, wie ein skrupelloser Armeeangehöriger aus dieser "Grande Guerre" richtig Kapital schlägt. Auch wieder ... Wahnsinn!

 AchterZwerg (26.11.20)
Für mich ist stets der Vergleich der mit Blumen geschmückten jungen Männer auf den Fotos - anlässlich ihrer Mobilmachung - mit den Endlosfriedhöfen das Allerschlimmste.
Dazu deren strahlende Freundinnen oder Frauen. Und die stolzen Eltern.

Liebe Grüße
der8.

 eiskimo äußerte darauf am 26.11.20:
Dieser Kontrast - letztlich eine völlig verdrehte Reaktion - macht das Grauen noch heftiger. Irgendwie war es aber auch Voraussetzung dafür....
salut
Eiskimo

 AvaLiam (26.11.20)
Ich bin ja der Meinung, dass solcher historischen Punkte in der Legende häufiger in den Schulen thematisiert werden sollten. Kurz und bündig, zur Kenntnisnahme - so wie dein Text beispielsweise.
Ob es alte Schlachten, das Mittelalter und die Kreuzritter, das World-Trade-Center, die Juden und Hitler oder oder oder sind - nichts davon sollte vergessen werden.

Gut erzählt - ohne emotional zu überladen. Ich kann beim Lesen selbst entscheiden, ob und was ich für Emotionen teile/hege oder ob ich mit Sachlichkeit mir einen Überblick über das Ausmaß verschaffen möchte.


Ich habe nur ganz wage am Rande irgendeiner anderen Geschichte von Verdun gehört/gelesen?! - doch werde ich mich auf jeden Fall noch näher damit befassen, angeregt durch deine Erzählung.

LG - Ava

 eiskimo ergänzte dazu am 26.11.20:
Das sehe ich auch so. Wir dürfen unsere Geschichte nicht vergessen, egal, wie schrecklich sie war.
Am faszinierendsten ist für mich, mit Älteren (Zeitzeugen) zurückzuschauen und aus erster Hand das Erle bte vermittelt zu bekommen.
LG
Eiskimo

 Teichhüpfer (26.11.20)
Da ist kein Hitler und kein lieber Gott, sorry.
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