Nero

Glosse zum Thema Ruhm

von  Graeculus

Ich behaupte nicht von mir, ein genialer Künstler zu sein. Auch habe ich mir kein Riesendenkmal in der Mitte der Stadt errichten und ebensowenig ein Porträt von mir auf eine 35 m hohe Leinwand malen lassen. Erst recht nicht habe ich meinen Lehrer in den Suizid getrieben oder gar meine Mutter ermordet. Ferner kann man von mir nicht behaupten, ich hätte einen jungen Mann geheiratet und ihn zu diesem Zweck operativ einer Frau annähern lassen. Und niemals hat man mir nachgesagt, ich hätte die größte Stadt der Welt in Brand gesetzt und dafür auch noch einer kleinen religiösen Sekte die Schuld gegeben.

Insofern darf ich von mir behaupten, ein relativ moderater, nicht zu Exzessen neigender und halbwegs erträglicher Mensch zu sein.

Aber nicht über mich wird man noch 2000 Jahre nach meinem Tode sagen können, daß ich weltberühmt bin.


Z


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Kommentare zu diesem Text


 Regina (28.07.24, 05:29)
International bekannt wird, wer sich lebenslang entweder auf eine einzige Fähigkeit spezialisiert, Beispiele sind: Elvis - neun Stunden täglich singen, Yuzuru Hanyu "I was born to skate": Eislauf, Franziska von Almsick: nicht mal Hauptschulabschluss, aber Schwimmen, Boris Becker: Tennislegende, aber nicht mal richtig sprechen können usw. oder aber wie Nero ganz schreckliche Taten verübt. Dazu musste er aber zuerst an der Spitze des Staates angekommen sein.
Tja, Graeculus, da werden wir wohl früher oder später in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, weil wir uns verzettelt haben oder einfach die mit extremen Verhaltensweisen einhergehende Berühmtheit nicht unser Schicksal war.

 Graeculus meinte dazu am 28.07.24 um 16:46:
Nein, das ist nicht unsere Veranlagung, und ich bedauere das auch nicht.
Von den Persönlichkeiten, die Du nennst, spricht mich allerdings keine so an wie Nero (warum auch immer), und ich glaube - sieht man einmal von Elvis ab - auch nicht, daß in 2000 Jahren von ihnen noch die Rede sein wird.
Bei Nero ist es schon spannend herauszufinden, was er von all dem, das man ihm unterstellt, wirklich gemacht hat. Eine Legende zu sein, bedeutet ja auch, allerlei Unterstellungen ertragen zu müssen.

 AchterZwerg (28.07.24, 06:29)
Mach dir keinen Kopp, Graec,
heutzutage ist es viel leichter unsterblich zu werden: Das Netz vergisst nichts. :D ---

Viele der Taten, die Nero angeblich begangen haben soll, sind reine Erfindung, insbesondere das Anzünden Roms ...

 Graeculus antwortete darauf am 28.07.24 um 16:50:
Stimmt, sowohl das Anzünden Roms als auch die Verfolgung der Christen (die es als unterscheidbare Religion zu seiner Zeit noch gar nicht gab) sind Erfindungen.

Wie lange mag "das Netz" als kollektives Gedächtnis der Menschheit durchhalten? Vierzig Jahre sind ja noch nix.
Außerdem, so meine ich, kann man auch in der Masse der Daten ganz gut verschwinden, während Nero sicher auch bei Google einen prominenten Platz einnimmt.

 S4SCH4 (28.07.24, 09:08)
Diese profan wirkende Mittelmäßigkeit ist sicher hart erarbeitet, aber es ist niemals genug, oder...?!


 Graeculus schrieb daraufhin am 28.07.24 um 16:55:
Mittelmäßigkeit erreicht man, so meine ich, nicht durch harte Arbeit, sondern durch Unterlassen von Exzessen. So schwierig ist der Weg des Herostraten (zum Beispiel) ja nicht, wie uns viele Amokläufer demonstrieren.
Da schaue ich mir liebe den Nero aus der Distanz an.

 hehnerdreck (28.07.24, 09:31)
Zwischen Fishing for Compliments und tendenziösem Kokettieren mit dem Traum von absoluter Macht in der Maske eines vorsichtigen Gedankenexperiments?

 Graeculus äußerte darauf am 28.07.24 um 16:57:
Kein "fishing for compliments", da kommt nichts, da muß ich mich schon selber loben. Ich habe auch nicht den Traum, ein Nero zu sein oder zu werden.
Ruhm hat seinen Preis - das möchte ich eigentlich sagen. Und: Manche Menschen haben wirklich etwas Faszinierendes an sich, so seltsam sie auch sein mögen.

 Quoth (28.07.24, 10:41)
Wenn ich die Macht dafür gehabt hätte, ich hätte bestimmt meine Heimatstadt mal ein bisschen angezündet und anderen die Schuld dafür in die Schuhe geschoben, und einen Lehrer, um ihn in den Selbstmord zu treiben, hätte ich auch gefunden. Meine Mutter eher nicht, aber meinen Vater hätte ich bestimmt ermordet! Ich will damit nur sagen: Ein bisschen Nero steckt auch in mir. Es ist besser, mich nicht mit zu viel Macht auszustatten! 8-)

 Graeculus ergänzte dazu am 28.07.24 um 17:01:
Das nehme ich einmal als ehrliche Aussage, nicht als "tendenziöses Kokettieren mit dem Traum von absoluter Macht" (hehnerdreck).
Aber es stimmt, gäbe man uns "normalen Menschen" viel Macht, könnte das Resultat schockierend sein. Dabei braucht man nur - siehe Nero - in die richtige Familie hineingeboren zu sein und eine sehr ehrgeizige Mutter zu haben.

 Quoth meinte dazu am 28.07.24 um 18:12:
Ich behaupte sogar: Die Faszination berüchtigter Menschen beruht zu einem gut Teil darauf, dass sie getan haben, wovon wir nur gelegentlich träumen! In jedem, auch in einem Gutmenschen wie mir, steckt ein Stück Nero! :devil:

 Graeculus meinte dazu am 28.07.24 um 23:40:
Diese Annahme hat viel für sich! Nun kann ich nicht in die Köpfe anderer Menschen schauen, was konkret sie an Nero fasziniert. Für meine Person wäre hin und wieder eine kleine Orgie à la Nero oder ein Haus in der Art der Domus aurea interessant gewesen. Kein Mutter- oder Lehrermord. Das mag bei anderen anders sein.

Alexander Demandt hat einmal geschrieben, die Cäsaren seien ein interessantes anthropologisches Experiment in Sachen Allmacht. Was tut ein Mensch (und nehmen wir an, diese Caesaren waren an sich ganz normale Menschen ihrer Zeit) unter der Bedingung, daß sie sich alles erlauben dürfen? Jedenfalls bis sie emordet werden.
Da kommt einiges zum Vorschein über ganz normale Menschen.

 Graeculus meinte dazu am 30.07.24 um 15:46:
Ich frage mich, ob Deine Annahme erklären kann, daß Caligula keine gleichermaßen große Popularität genießt. Caligula geht zu weit, mit dem kann man sich nicht identifizieren. Ähnlich steht es mit Elagabal.

 Quoth meinte dazu am 30.07.24 um 16:05:
Hat nicht einer der beiden mal sein Pferd zum Senator ernannt? Eine wundervolle Maßnahme - wenn man bedenkt, wieviele Schwatzbasen und Dummköpfe sich in so Gremien tummeln! Ein Pferd ist weder schwatzhaft noch dumm - also ist es auch der bessere Senator!

Antwort geändert am 30.07.2024 um 16:06 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 30.07.24 um 16:14:
Das war Caligula - einer seiner witzigeren Einfälle. Aber beim Essen Folterungen und Hinrichtungen zuzuschauen, das ganze Arsenal seines Sadismus, seines Genusses daran, andere Menschen zerbrechen zu können, das meinte ich mit: geht zu weit.

Immerhin, Du weißt es sicher, hat Camus ein gutes Drama über ihn ("Caligula") geschrieben. Als Experiment in Sachen totaler Macht und als Scheitern dieses Experimentes.

 Augustus (28.07.24, 12:25)
Eine Person, die in aller Munde ist, könnte berühmt sein, wenn sie ausschließlich positive Ehrungen empfangen hat aufgrund überdurchschnittlicher Leistungen. 
Ein Kaiser, der durch Geburt Kaiser wird, hat als Kaiser erst mal nichts geleistet, sodass die Bedeutung „berühmt“ mE. gar nicht ernstmal passt. Verstehe ichs richtig, steckt im berühmt auch Ruhm darin. Ruhm musste man sich ja verdienen. Fraglich bleibt, ob jemand der ausschließlich durch negative Leistungen gleich berühmt genannt werden kann, weil der Ruhm an sich positiv konnntoniert ist. Es könnte die Begrifflichkeit „berüchtigt“ für eine solche Person verwendet werden. So kann eine Person wie Boris Becker gleichzeitig berühmt-berüchtigt sein. Schurken sind somit ausschließlich nur berüchtigt, während Elvis berühmt ist. 

Schurken und Helden in einem Topf zu werfen, indem man sie alle als berühmt nennt, finde ich unpassend. 

Daher können die unbedeutenden Menschen gegenüber den berüchtigten Personen bessere Menschen sein; weil es die berüchtigten als Beispiele braucht, wie man es nicht macht.

Kommentar geändert am 28.07.2024 um 12:25 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 28.07.24 um 17:09:
Eine Richtigstellung: Nero ist nicht durch seine Geburt, sondern durch eine Intrige seiner Mutter Kaiser geworden. Da diese zu diesem Zweck (mutmaßlich) ihren Gatten, den Kaiser Claudius, vergiftet hat, ist ihr mit ihrer eigenen Ermordung vielleicht "recht geschehen".

Nero ist weltberühmt (gemeint: weltbekannt und auch heute noch für viele interessant) nicht durch klassische Leistungen. Er war z.B. kein bedeutender Künstler, und seine spektakulären Bauten (z.B. die Domus aurea in Rom) sind nicht erhalten geblieben. Die Verbrechen, die man mit ihm verbindet, sind zum Teil Unterstellungen.

Was also fasziniert an ihm?
Vor einigen Jahren gab es in Trier eine Dreifach-Ausstellung über ihn, die geradezu überlaufen war mit Besuchern.

Daß die Christen ihn als das mythische "Tier" der Apokalypse gedeutet haben, als die Verkörperung des Bösen, hat sicher dazu beigetragen. Das Böse fasziniert.
Das erklärt freilich nicht alles, denn was abgrundtiefe Bosheit angeht, waren ihm andere, z.B. Caligula, überlegen.

 TrekanBelluvitsh (28.07.24, 17:36)
Du musst nur Menschen finden, die auch über dich dreiste Lügen verbreiten.

 Graeculus meinte dazu am 28.07.24 um 23:43:
Über wen werden dreiste Lügen verbreitet? Nero mußte sich zu diesem Zweck mit der Senatsaristokratie verfeinden, und er mußte sich als Projektionsfigur für die Christen anbieten.
Beides zusammengefaßt: Man muß jemandes Feind sein, und man muß als Feindbild geeignet sein.

Ich nehme an, daß viele Politiker der Geschichte (und der Gegenwart) diesen beiden Umständen ihren Ruhm verdanken.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 29.07.24 um 00:08:
In ihrem Buch "SPQR: Die tausendjährige Geschichte Roms" führt Mary Breed überzeugend aus, das die römische Geschichte, so wie sie von den Römern selbst erzählt wird, sehr formelhaft ist, sozusagen viele Standardfolien genutzt werden. Dies gilt besonders für die Kaiser. Jene, deren Herrschaft als erfolgreich bewertet wird, werden als moralisch integre Personen dargestellt. Umgekehrt werden jenen, deren Herrschaft eher negativ beurteilt wird, auch als moralisch-ethisch zweifelhafte Personen dargestellt.

Nero ist ein Musterbeispiel. So gehen z.B. keine ernsthaften Historiker*innen heute noch davon aus, dass er für den Brand in Rom verantwortlich war. Umgekehrt wird die Brutalität der Herrschaft von Octavian/Augustus von den Römern selbst in der Geschichtsschreibung - d.h. von der römischen Oberschicht - eher selten thematisiert.

Dass diese Verleumdungen Nero letztlich unsterblich gemacht haben - ob es diese oder, für unsere Zeit, seine Darstellung durch Peter Ustinov es waren, lasse ich mal dahingestellt - war für die römischen Geschichtsschreiber nicht absehbar. Und da sie tot sind und das römische Reich schon lange untergegangen ist, wäre es Ersteren wohl auch gleichgültig.

Darum finde ich persönlich es auch gar nicht schlimm, wenn sich niemand an einen erinnert, wenn diese Erinnerung auf Lügen, Selbstdarstellung oder Verklärung beruht. Denn an was da erinnert wird, ist letztlich gar nicht die Person. Nicht meine Kragenweite.

 Graeculus meinte dazu am 30.07.24 um 15:44:
Das ist klar und gilt vor allem für Nero. Es wird allerdings auch in den Nero-Biographien reflektiert. In der neuesten z.B. schreibt Alexander Bätz, daß Nero gar keine Christen habe verfolgen können, weil es zu seiner Zeit noch gar keine Christen gab, sondern lediglich innerhalb der Juden ein Gruppe, die Jesus als den Messias ansah. Eine innerjüdische Kontroverse. Die Evangelien waren noch nicht geschrieben, und Paulus begann gerade erst mit seiner Idee, auch Nichtjuden als Anhänger zuzulassen. Wie hätte Nero, der ja kein Theologe war, "Christen" als eigene Religionsgruppe identifizieren können?

Die aber über die Ereignisse berichteten, Sueton und Tacitus 50 bzw. 60 Jahre später, die kannten Christen und konnten aufgrund ihrer Kenntnis Nero eine solche Vorgehensweise unterstellen.

In dieser Weise über die Quellen zu reflektieren, finde ich schon interessant; aber ich habe ja auch - wie Du weißt - eine Neigung zur Antike.

 eiskimo (28.07.24, 18:17)
Ich hatte Nero mal auf dem Computer, zum Brennen von CDs...
Hab ich nie gebraucht, hätte wahrscheinlich auch nicht funktioniert, wenn der Namensgeber gar kein Brandstifter war...
So wird Falsches aber in die Hirne der Leute gebrannt.
Gut, dass Du hier ein bisschen Aufklärung betreibst.

Kommentar geändert am 28.07.2024 um 18:19 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 28.07.24 um 23:46:
Das Programm kenne ich; es hat sogar funktioniert. Die Namensgebung erfolgte über die Assoziation mit "Brennen". Daß sie populär war, reichte; daß sie historisch aller Wahrscheinlichkeit unrichtig ist, daß nämlich Nero Rom nicht angezündet hat, störte nicht.

Sicherlich wird der Ruhm Neros für alle Zeit mit diesem Gerücht verbunden bleiben.

 FrankReich (17.08.24, 15:42)
Kaum eine Sau verbindet heutzutage mit Nero noch einen ehemaligen römischen Kaiser, sondern eher das; eine logische Assoziation zwar, aber für einen Nutzer sicherlich belanglos; Brennprogramm der gleichnamigen Firma. 👋😂

 Graeculus meinte dazu am 17.08.24 um 17:19:
Meines Wissens ist das Brennerprogramm zugleich mit den CDs verschwunden. Computer mit CD-Laufwerk werden selten. Was junge Leute angeht, die mit CDs nichts mehr am Hut haben, so hoffe ich, daß sie doch noch eine vage Assoziation mit einem römischen Kaiser haben. Vermutlich kommt er sogar in Computerspielen vor.

Antwort geändert am 17.08.2024 um 17:40 Uhr
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