Immer im Kopf

Text

von  Mondscheinsonate

Als sie damals in das Taxi stieg, regnete es stark, aber es war warm. Aus ihren Augen kamen Tränen. Sie drehte sich noch einmal um und sah ihn langsam im Nass verschwinden. Frühling. Wenn es Winter war, war es schlimm mit der Mutter. Sie trank mehr zu Hause und stolperte manchmal. Einmal schlug sie sich den Kopf auf und blutete. Die Rettung wollte nicht kommen, weil das Wort „Alkohol“ fiel. Der Nachbar ließ seine Beziehungen spielen und dann kam sie doch – mit etwas Verspätung. Es war ein Schreien durch das ganze Haus zu hören. Im Frühling saß sie auf der Fensterbank und erkannte die Gefahr nicht. Die Birke im Innenhof begann zu knospen und es roch nach frischem Speck. Die Mutter begann mehr ohne Geld auszugehen und sich bezahlen zu lassen. Sie wusste das. Manchmal kam sie tagelang nicht nach Hause. Sie saß inzwischen auf der Fensterbank und las, oder wartete auf ihn. Er kam zumeist spät und seine Schritte waren lautlos. Wenn der Baum die vollen Blätter hatte, war es fast Sommer. Mit nackten Sohlen lief sie ein paar Stufen hinab und setzte sich auf den kalten Boden. So saßen sie Beide und rauchten eine Camel. Miteinander. Auch er wartete auf den Vater. Aber, er gab es nicht zu, er war ein stiller Freund. Ein schöner, stiller Freund. Sie liebte ihn. Er war das Haus in dem sie wohnte. Der Herbst brachte Leiden. Die depressive Zeit ließ die Grenzen zwischen Erträglichem und Unerträglichem fallen. Jetzt wurde jede Woche Krach gemacht. Der Baum verlor seine Blätter. Restlos alle. Manchmal, wenn es zu schneien begann, sah man noch ein braunes, totes Blatt auf der Schneedecke. Es knackte, wenn man darauf stieg und es zerbröselte in unzählige Einzelteile. Aber, auf jeden Winter folgte ein Frühling und der Frühling brachte die Wärme – zumindest auf der Straße. Drinnen war es kalt, es war düster und es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer. Sie sehnte sich nach Sonnenstrahlen. Frühling im Kopf. Und sie sehnte sich immer mehr nach ihm. Sie war für ihn unantastbar. Er brauchte sie und sie ihn. Sein Vater starb, ihre Mutter nicht und sie war auch nicht mehr da. Sie ging und begann zu leben. Eine Kopfbewegung in seine Richtung, bevor das Auto um die Ecke bog. Das Fenster war offen und es hörte auf zu regnen. Es blies ihr ein frischer Duft des Flieders in die Nase. Jetzt sitzt sie auf dem kalten Steinboden in ihrem Haus und raucht eine Camel. Sie bläst den Rauch langsam aus und blickt in die Ferne, so viele Jahre später



Anmerkung von Mondscheinsonate:

Siegertext 3. Platz 2013 Abendgymnasium Wien von mir.

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Kommentare zu diesem Text

Agnetia (66)
(30.07.24, 00:00)
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 Mondscheinsonate meinte dazu am 30.07.24 um 05:27:
Das waren Deutschlehrer. :D Danke, das ist lieb von dir. Ich bessere es aus.

Antwort geändert am 30.07.2024 um 05:43 Uhr
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