Hotel de France

Text

von  Mondscheinsonate

Fast jeden Tag gehe ich an dem "Hotel de France" vorbei, das 1872 erbaut wurde. Ein 5*- Hotel, ja, ich liebte es, fand es chick und die Küche war exquisit. Natürlich kam es in die Jahre, die 5* waren zu hoch gegriffen, aber es war DAS Hotel schlechthin. Nun, ich gehe fast jeden Tag vorbei und es beschlich mich ein komisches Gefühl, ich wusste von nichts, irgendwie ging die Nachricht an mir vorüber, dass es seit zwei oder drei Jahren geschlossen ist, ich sah nur arme Menschen ohne Zähne, sichtlich gezeichnet davor, rauchend, jeden Morgen dieselben. Heute blieb ich stehen, las die neuen Zettel an den Fensterscheiben: "Wir suchen dringend Kühlschränke!" - Samariter Bund. Ich dachte: "Was ist das?" 

Ich fragte meinen Chef, er sagte: "Ja, ja, das ist jetzt ein Flüchtlingsheim für ukrainische Flüchtlinge." 

Obwohl ich das recht praktisch finde, Zimmer sind ja da, Bad, eine riesige Gemeinschaftsküche, Pool (das wird leer sein), ein Speisesaal, das, mitten am Ring, der nobelsten Adresse, tat mir das Ende des "Hotel de France" extrem weh. Es überlebte alles, den Ersten Weltkrieg, danach im Zweiten auch die Arisierung, danach die Rückgabe, aber, der Chef sagte: "Corona überlebte es nicht." Der Besitzer machte ein neues Hotel auf, ein Boutique-Hotel. 

Es nervt, der alte VfGH ist ein Nobelhotel geworden, das Palais Coburg, das alte Handelsgericht eine Großbaustelle, das nächste Nobelhotel. Was heißt Nobel! Nobelstes Hotel! Aber, das "de France" musste weichen. 


Tradition weicht der Geldgier in Wien. Die alte Blumenhandlung in der Tuchlauben wird neu vermietet, 25 qm² um 4.500 Euro Miete im Monat. Am Graben das nächste Traditionsgeschäft weicht, Miete 125.000 Euro im Monat. Was glaubt der werte Leser, das können sich nur Ketten leisten, alles vergammelt zu einem Einheitsbrei. Der Charme geht flöten. 

Einzelhandel gibt einer Stadt eine Seele, überhaupt Gebäude. Wenn ich etwas liebe, dann frisch renovierte Gründerzeithäuser. Wenn alles über die Bühne gegangen ist, habe ich drei, frisch renoviert und ich liebe sie jetzt schon, gestern bekam ich eine Führung. Ja, das macht den Charme, nicht Louis Vuitton, Gucci und Chanel  sondern der Schuster, der alle kennt, die kleine Parfümerie, die die Wünsche ihrer Kundinnen erahnt, die kleine Galerie, mit Klim Bim in der Auslage, der Juwelier  wo noch eine Standuhr dumpf begrüßt, das Papiergeschäft, das die Briefpapiere vor einem liebevoll ausbreitet und nicht die sterilen, überglänzenden Böden mit den überzogen unhöflich überheblichen Verkäufern und Verkäuferinnen, die nur auf Provision aus sind. Pfui, Teufel! 


Das Hotel de France hat nun dreckige Scheiben im Eingangsbereich, es ist dunkel und nur eine Frage der Zeit, bis ausländische Investoren daraus das Nobelste machen, vielleicht unleistbare Appartments, vielleicht ist es ja schon verscherbelt. Charme verblasst, wenn die Lichter ausgehen. 


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Kommentare zu diesem Text

Agnetia (66)
(02.08.24, 19:34)
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 Mondscheinsonate meinte dazu am 02.08.24 um 20:05:
Tradition geht flöten, muss weichen für Neues. Alte Häuser sind das Schönste. Es gibt eine Geschichte von Dostojewski, wo ein Mann traurig ist, dass sein Lieblingshaus nicht mehr dieselbe Farbe hat.

 eiskimo (07.08.24, 19:35)
Gefragt sind nicht Geschichte, Authentizität, Nähe zum echten Leben..... vielmehr: Ihr wisst schon. Denn es ist überall so.
Der Text liefert dazu überzeugende Bilder.
Die Samariter werden nicht lange bleiben.
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