Meine Fresse, wirklich, früher, unter der SED war alles irgendwie doch besser, jedenfalls wenn man in der Partei war und schön das Maul gehalten hat. Einmal im Jahr mit der Betriebsgruppe zum Platensee, und wenn du alle Beschlüsse des ZK abgesegnet hast, dann gab`s sogar ein Automobil in Aussicht gestellt, so in zehn, zwölf Jahren. Aber wehe, du hast nicht pariert, dann ab nach Bautzen in die Senffabrik. Das wollt ihr alles zurückhaben! Diese Knechterei, das Ducken, das So-schlimm-war`s-ja-gar-nicht und dieser elende Opportunismus. Wer hätte denn aus dem Osten gegen den Staat so das Maul aufgerissen, wie es heute der Fall ist. Und alles immer nur Scheiße! Fahr´ doch `mal in andere Länder, wo es keinen ÖPNV gibt, keine Rentenversicherung und keine Krankenkasse für alle, das könnt ihr ja jetzt machen, die ihr alle dauernd schimpft, fahrt doch `mal hin! Da sieht die Welt anders aus, und die beschweren sich nicht dauernd.
Früher war alles besser – am Arsch! Das ist doch gelogen. Das sagen doch nur die, die durch die Partei ein gutes Auskommen hatten, wenn sie nur die Fresse gehalten haben zu allen Verbrechen, zu der Denunziation, zu dem Spitzelwesen, zu der Gängelung und zu den Toten an der Grenze, die kein Bock mehr auf die Scheiße hatten.
Komm´, sag´ nochmal, dass man hier nicht alles sagen kann und darf, dass Demokratie nicht so funktioniert, wie du das kennst aus der Täterätä, dass alles ungerecht ist und dass „das Volk“ von denen da oben verarscht wird. Lauter, ich höre nichts.
Ja, klar, früher war alles besser, als man noch selbst im ZK gesessen hat und „denen da unten“ sagen konnte, wo es lang geht. Und wenn die nicht pariert haben – keine Wohnung, keine Karriere, kein garnix und die soziale Ächtung, die Familie hingemacht und die Kinder zu Handlangern degradiert – so ist das im Namen des sozialistischen Vaterlandes, Sieg Heil, äh, nee, wie heißt das noch gleich, im Namen des neuen sozialistischen Menschen. Fuck!
Also, ich will`s nicht, viele wollen das nicht, und das ist das Problem an der Demokratie – die Mehrheit will die Scheiße auch nicht mehr.
© Rainer M. Scholz
