Mein kleiner Ausflug in die Hölle

Bericht zum Thema Horror

von  eiskimo

Ich weiß jetzt, wo die Hölle liegt. Ich war auch drin. Es war nicht ganz einfach, sie zu finden. Sie ist gut getarnt, und das gleich als Warnung: Man muss schon ganz gut zu Fuß sein.

Dabei ist die Anlage und Einrichtung verteufelt gut gemacht – und zwar von Menschenhand!

Es muss in den 1860er oder 70er Jahren gewesen sein, da hatten französische Ingenieure die Eisenbahn nach Nolay geführt. Heute wäre man damit schon dicht an den teuren Weinlagen, denn kaum 30 Kilometer entfernt von Nolay liegt Beaune. Wir sind also mitten im schönen Burgund.Und wir sind auch gleich in der Hölle, bitte noch ein bisschen Geduld.

Um Kohle und Baustoffe aus Epinac heranzubringen und auch Passagieren die mühselige Anreise durch sehr hügeliges Gelände zu erleichtern, musste damals ein ca. drei Kilometer langer Tunnel gebaut werden, grob gesagt: von einer Ortschaft namens Saisy bis dicht an Nolay heran.

Diese Eisenbahn aber, die gibt es schon seit fünfzig Jahren nicht mehr. Zur Hölle mit dieser unrentablen eingleisigen Strecke, wird man wohl gesagt haben, zumal gar nicht weit weg davon jetzt der superschnelle TVG sein breites Supergleis-Bett bekommen hat, der natürlich nicht so ein Städtchen wie Nolay ansteuert.

Was geblieben ist vom „Tacot“- so hieß das frühere Bähnchen -, das ist seine alte Trasse. Und die haben die Tourismus-Promoter der Region Bourgogne-Franche-Comté zu einem sehr schönen Fahrradweg umfunktioniert. Schnurgerade, kaum Anstiege, von alten Bäumen beschattet und mit Anschluss an alle kleinen Dörfer dort.

Was beim Umwandeln von Eisenbahn in „véloroute“ offenbar zu teuer gewesen war: Den besagten Tunnel kurz vor Nolay mit einzubauen in das Projekt.

An dieser Stelle hätte ich als Leser spätestens eine leise Ahnung, wie wir jetzt endlich zum Thema Hölle kommen. Nochmals aber: Geduld!

Wie auch immer: Statt die Fahrradpiste glatt weiter zu führen durch einen schön erleuchteten Tunnel, hat man zwei Kilometer vor Beginn einfach mit deren Ausbau aufgehört. Hier beginnt sozusagen das Fegefeuer. Denn plötzlich rollt der Fahrrad-Wanderer nur noch auf grobem Schotter.

Auf den Fahrradkarten, wo man die Route vorher hätte anschauen können, gibt es für diesen Streckenpunkt zwei gestrichelte Umgehungen. Die führen einen beide in sehr steile und kurvige Profile.

Auch kein Paradies, wie der Tourenradler schnell erkennt. Ich für meinen Teil hatte die erste Umgehung ignoriert, weil es auf dem Schotter leidlich gut lief. Mein Rad hatte „breite Socken“ drauf, also geländetaugliche Reifen, und kurz vor dem Tunnel, so meine Berechnung, käme dann ja auch die andere Umgehung.

Stattdessen wurde der Schotterweg immer enger, er war auch immer dichter zugewachsen, so dass ich schieben musste.

Nach zwanzig Minuten der Plackerei fragte ich mich zum ersten Mal: Umkehren? Nein, beschloss ich. Da war ja noch eine Umgehung. (oder hatte mich beim Karten-Studium bereits der Teufel geritten?)

Zehn Minuten später – die Beine waren zerkratzt, die Ellbogen von der Schieberei schon taub, fragte ich mich dasselbe wieder, aber …nein, jetzt erst recht nicht, nach so viel Aufwand.

Dann stand ich plötzlich vor der Tunneleinfahrt.

Also, rein höllen-technisch, um das hier gleich einzufügen, schien mir das in der Situation noch völlig harmlos. Ein schwarzes Loch, sauber ausgemauert. Kein kratziger Bewuchs mehr. Und die Einfahrt war breit ausgelegt mit Schotter. Irgendwelche Tafeln oder Schilder, die informierten, auf was man sich da eventuell einließ – nix. Keine Warnung betreffs Lebensgefahr oder so – nix!

Nur das schwarze Loch vor einem. Ein Tunnel halt. Und – Achtung, hier beginnt der schwarze Zauber – ganz weit hinten, wenn man sich denn hineintraute in das Loch -, schimmerte das Ende: Ein winziges Fenster, nicht größer als der kleine Fingernagel, ein weißes Licht...

Mir schien damit völlig logisch und klar: Der Tunnel ist nicht nur gerade, wie mit dem Lineal gezogen, sondern auch offen: Ich konnte schließlich das Ende sehen.

War es der schwarze Zauber, die Magie der Hölle oder einfach nur meine menschliche Überheblichkeit? – ich ging los, wie von allen guten Geistern verlassen. Hatte da irgendetwas in mir „Egal!“ gerufen? „Das ist jetzt mal ein echter Kick!“ ..“Trau dich...“

Kann sein. Ich wusste dabei jedenfalls nicht, dass es schlappe drei Kilometer wären, die ich da diesem Licht hinterher rennen müsste. Ich wusste auch nicht, ob im Inneren des Tunnels irgendwelche Hindernisse, Löcher oder schlimme Geister auf mich warteten. Denn nochmal: Da war es stockfinster drin.

Was ich aber durchaus wusste: Das Licht an meinem Fahrrad war defekt; eine separate Lampe hatte ich nicht bei, und mein Steinzeit-Händi hat keine Taschenlampen-Funktion. Rief diese Stimme da schon wieder locker „Egal!“.... „Das ist jetzt mal ein echter Kick!“ ...“Trau dich...“

Treffender wäre gewesen, die Stimme hätte gesagt: „Hölle, du darfst beginnen.“ Oder „Das hast du jetzt davon!“

Stockdunkel. Pechschwarz. Wie gesagt: Winzig, das Lichtlein ganz weit hinten. Ich ging tatsächlich los. Und ich ging auch weiter, als ich gar nichts mehr sah.

Es begann mit kleineren Karambolagen mal links, mal rechts – Ich hatte Packtaschen am Rad, die ich in meiner Blindheit immer wieder antitschen ließ an nicht sichtbare Wände.

Dann kamen die Pfützen. Im Nu hatte ich beide Füße klatschnass. Auch von der Decke kamen immer mal wieder kalte Tropfen. Nichts davon konnte ich sehen oder vorausahnen. Schwärzeste Nacht.

Das Vorderrad rutsche weg. Im Schotter waren auch mal dickere Steine. Ich war längst total verkrampft. Und als ich zurückschaute: Auch da war nur ein weißes Fenster, viel größer. Aber alles andere: Schwarz.

Meine Augen begannen zu tränen. Das winzige weiße Fensterchen vorne, das mein ausgemachter Orientierungspunkt war, fing an zu tanzen. Wieso wurde es nicht größer? Verdammt – ich ging und ging, und es wurde nicht größer!

Bewegte ich da nur ein riesiges Hamsterrad, das mir nur ein Fortschreiten vorgaukelte? Ist es gar eine optische Täuschung?

Sollte ich mal versuchen, mit dem Fahrrad zu rollen? Es schien mir leicht bergab zu gehen. Aber schon brach der Lenker wieder weg. Nein, keine Chance.

Jäh wurde mir klar: Wenn du da jetzt umknickst oder böse hinfällst, dir etwas brichst …. Und das Händi hätte da im tiefsten Höllenkeller eh keinen Empfang.

Weiter schlurfte ich, blind tastend, und es wurde kühl. Ich fühlte meine nassen Füße, die nassen Klamotten. Vor den Augen tanzte weiter dieses weiße Fensterchen. Ansonsten: Schwarz!

Welcher Teufel hat dich geritten, dass du hier hinein getrabt bist? „Egal!“ hatte er dir eingeflüstert. „Alles egal?“

Es könnte dein Ende sein, wurde mir bewusst. Einfach so in diesem schwarzen Schlauch ...verenden. Keiner würde mich da finden. Ich hatte ja auch keinem vorher mitgeteilt, welche Route ich da wählen würde. Ein nasses Ende – nix Höllenfeuer, kein Angeflämmt Werden über dem ewigen Teufels-Rost. Nein: Nass!

Ob Gott mich hier unten in diesem Schlauch sieht? Ob er Mitleid hat und – bitte, bitte! - mich nur einmal klein und hässlich sehen will nach meiner ganzen Überheblichkeit … um mich noch einmal – bitte, bitte!- davonkommen zu lassen??

Gott hat sich verdammt viel Zeit genommen für seine Entscheidung. Drei Kilometer. Ich war noch gegen eine Art Pfeiler gestoßen, hatte mir den Lenker das Rades in die Hüfte gerammt, den Fuß an der Pedale blutig geschrammt. Irgendwann hatte ich auch mal laut geschrien:“Ich Idiot!“ Und voller Wut „Fuck!“

Aber dann war das Fensterchen echt größer geworden. Schrittweise wuchs meine Hoffnung, ja, mein fast sicheres Gefühl, dass ich es schaffe.

Hatte dieses Licht eine Sogwirkung gehabt, war es magnetisch? Auf den letzten Metern konnte ich die Pfützen sehen, Schatten an den Wänden, ein paar Konturen, Reste von Kabeln …

Einmal draußen, hörte ich dann nur eine Stimme „Danke“ sagen, und „Mannomann!“ und noch ein paar Mal „Ich Idiot!“

Danach wurde ich erstaunlich schnell überaus geschäftig: Trockene Sachen anziehen, ein paar Schrammen erstversorgen, das Rad checken.

Und dann: Himmel, war das schön, wieder auf einer asphaltierten, glatten Fahrbahn zu rollen. Bei Licht und tausend schönen Sachen, die da zu bestaunen waren! Nach allen Richtungen. Visuelle Wiedergutmachung. Oder anders ausgedrückt: Leben!







Anmerkung von eiskimo:

Inzwischen habe ich das Licht an meinem Rad repariert.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (19.09.24, 00:46)
Ist ja eine seltsame Konstruktion, dieser Fahrradweg. Naheliegend, daß man darauf hereinfällt. Christen werden behaupten daß genau so der Weg in die Hölle sei: anfangs sehr angenehm und gut hergerichtet ...

Kommentar geändert am 19.09.2024 um 00:46 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 19.09.24 um 21:15:
Vielleicht war ich nur zu stolz umzukehren. Ich meine das auch im übertragenen Sinn. Der mahnenden Worte gäbe es ja genug...

 Regina (19.09.24, 01:08)
Purgatorium. Nur ein Durchgang. auf der anderen Seite wartet das Paradies.

 eiskimo antwortete darauf am 19.09.24 um 21:25:
Auch dem Gedanken kann ich viel abgewinnen. So  ein bisschen war es dann ja auch so, als ich den Himmel wieder sah.

 EkkehartMittelberg (19.09.24, 11:52)
Hallo eiskimo,

in der Hölle ist es nie langweilig. Dein höchst spannender Text beweist es.

LG
Ekki

 Graeculus schrieb daraufhin am 19.09.24 um 16:48:
Stimmt. Auffallend eigentlich, daß Menschen sich die Hölle nie als Hölle der Langeweile vorstellen. Funktionieren würde das ja auch.

 eiskimo äußerte darauf am 19.09.24 um 21:26:
Es war ja Gott sei Dank nicht das Hamsterrad, auf dem ich endlos ins Leere gestapft wäre - da hätte das irgendwann mit der langeweile gegriffen....
LG
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